2024/12/06
Dagmar Sinn
Friedensreich Hundertwasser und der Bahnhof von Uelzen/Niedersachsen
Der Bahnhof von Uelzen/Niedersachsen, verschönert von Friedensreich Hundertwasser
mit markanten Säulen, 2000.
Foto von © Dagmar Sinn, September 2024.
Die Expo 2000 in Hannover mit dem Motto "Mensch, Natur, Technik" wollte auch in kleineren Städten lokale Projekte fördern und so wurde eher zufällig die kleine ehemalige Hansestadt Uelzen Nutznießer dieser Weltausstellung. Man plante entweder den maroden Bahnhof der 60er Jahre zu sanieren oder im nahe gelegenen Schloss Holdenstedt eine Hundertwasser-Ausstellung zu zeigen. Findige Köpfe fanden, man könne vielleicht beides kombinieren. Gegen den Willen der Denkmalschützer, das Unverständnis der Einwohner Uelzens und nach unendlichen Diskussionen in kunstsachverständigen Gremien begann die Planung, von der Friedensreich Hundertwasser (1928-2000) im fernen Neuseeland sehr angetan war und ein Modell für den Umbau des Bahnhofs schickte. Da er als weltbekannter Künstler hauptsächlich Maler war und kein Architekt, wurde sein Freund Peter Pelikan aus Wien mit der technischen Umsetzung beauftragt. Allein die bunten Keramikteile außen und im Inneren des Bahnhofs kosteten mehr als 14 Millionen D-Mark. Die Handwerker, die schräge Böden legten, schiefe Wände und verschlungene Fassaden errichteten, standen vor großen Herausforderungen. Alle geraden Linien mussten vermieden und alle Ecken abgerundet werden. Die bunten Säulen vor dem Bahnhof beließ man mit "Spontanvegetation", der Hundertwasser in seinen Bauten immer Platz ließ. Keine Frage, dass der deutschen Bundesbahn das Projekt gefiel.
Es sollte eines der letzten Kunstwerke Hundertwassers werden, das er leider nicht mehr besichtigen konnte. Er starb auf der Reise nach Europa am 19. Februar 2000 an Bord der Elizabeth II. vier Tage nach der Einschiffung an Herzversagen und wurde in seiner zweiten Heimat Neuseeland beerdigt. Für Uelzen ist der Bahnhof bis heute ein Glücksfall, der jedes Jahr tausende Besucher anzieht.
© Dagmar Sinn, Dezember 2024.
Der Bahnhof von Uelzen, innen, verschönert von Friedensreich Hundertwasser
mit schwungvollen Linien, Boden uneben, 2000.
Foto von © Dagmar Sinn, September 2024.
Kunsttipp: In Wien gibt es das Hundertwasser Museum (Kunst Haus Wien. Museum Hundertwasser), Untere Weißgerberstraße 13, im 3. Wiener Gemeindebezirk, Landstraße.
Das Museum Hundertwasser schreibt:
"Auf zwei Ausstellungsebenen vereint das Museum Hundertwasser die wichtigsten Aspekte seines Schaffens und zeigt die weltweit größte Sammlung seines Oeuvres mit Schlüsselwerken seiner Malerei, Originalgraphiken, Tapisserien, angewandter Kunst wie Briefmarken und Fahnen, Architekturmodellen und Zeugnissen seines ökologischen Engagements. Seltene Fotodokumente und Filme, etwa über die Geschichte seines Schiffes "Regentag", runden den Museumsbesuch zu einem umfassenden Eindruck über Leben und Werk des Künstlers ab. Dem/der Besucher:in eröffnet sich in Wiens erstem "grünen Museum" auch das visionäre ökologische Engagement von Friedensreich Hundertwasser - als Vorreiter einer menschen- und naturgerechteren Architektur bewaldete er die Dächer seiner Architekturprojekte und schuf in Form der in die Fassade gesetzten "Baummieter" erste Beispiele von "vertikalem" Grün."
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2024/12/02
Achim Mogge
Berliner Nächte
Achim Mogge: S Café Friedenau,
Eitempera/Öl auf Leinwand, 70 x 100 cm.
www.mogge-art.de
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2024/11/30
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2024/11/28
Im Kohlenkeller der Akademie der Künste Berlin am Pariser Platz
von Dr. Christian G. Pätzold
Im Bilderkeller der Akademie der Künste Berlin.
Foto von Dr. Christian G. Pätzold, Oktober 2024.
Die Berliner Unterwelten sind seit langem ein Magnet für neugierige Besucher:innen. Ein schönes Beispiel ist der ehemalige Kohlenkeller unter der Akademie der Künste Berlin am Pariser Platz 4, in unmittelbarer Nähe zum Brandenburger Tor, neben dem Luxushotel Adlon. Der Keller wird auch Bilderkeller oder Künstlerkeller genannt, da seine Wände bemalt sind. 1945, am Ende des 2. Weltkriegs, war der Pariser Platz ein Trümmerfeld. Das einzige Gebäude, das die Bombenabwürfe überstanden hatte, war das Brandenburger Tor. Auch die alte Akademie der Künste aus der Kaiserzeit war weitgehend zerstört. Nur ihr Kohlenkeller existierte noch.
Und so kam es, dass im Keller von Mitgliedern der Akademie Fasching gefeiert wurde. Zu diesem Anlass wurden die Kellerwände 1957 und 1958 von Meisterschülern an der Deutschen Akademie der Künste bemalt, und zwar von Manfred Böttcher (1933-2001), Harald Metzkes (geboren 1929), Ernst Schroeder (1928-1989) und Horst Zickelbein (1926-2024). Sie waren Meisterschüler bei den Malern Otto Nagel und Heinrich Ehmsen. In den Gemälden haben sich die jungen wilden Maler ausgetobt. Einige Bilder erinnern eher an Pablo Picasso als an den Sozialistischen Realismus, der damals in der DDR die offizielle Staatskunst war. Der Pariser Platz gehörte ja zum ehemaligen Ostteil von Berlin. Aber der Kohlenkeller war nicht öffentlich, und so konnten die Maler malen, was sie wollten. Ihre Gemälde wurden aufwändig vom Kohlenstaub befreit und restauriert, so dass sie heute wie neu zu besichtigen sind.
Das heutige Gebäude der Akademie der Künste am Pariser Platz, das über dem Kohlenkeller steht, stammt aus dem Jahr 2005. Es ist ein sehenswerter modernistischer Bau. Besonders die beschwingte und helle Innenarchitektur fällt auf. Von der Dachterrasse hat man eine weiten Blick über den Pariser Platz, das Brandenburger Tor, das Reichstagsgebäude und das Bundeskanzleramt. In der Akademie gibt es neben einer Cafeteria und einem Veranstaltungssaal auch eine öffentlich zugängliche Bibliothek mit Lesesaal. In den Ausstellungsräumen finden Ausstellungen statt, aktuell eine Ausstellung des Berliner Architektenteams Matthias Sauerbruch und Louisa Hutton.
Führungen durch den Bilderkeller: Mittwochs 17 Uhr.
Eintritt: 7,50/5 €uro.
Es gibt einen umfangreichen Katalog über die Gemälde des Bilderkellers für 15 €uro.
In der Akademie der Künste am Pariser Platz gibt es auch einen Buchladen mit Kunstbüchern.
Einen weiteren Buchladen gibt es am zweiten Standort der Akademie am Hanseatenweg 10 im Hansaviertel.
Die Akademie der Künste Berlin hat auch ein großes Archiv mit Vorlässen und Nachlässen von Künstlerinnen und Künstlern.
https://www.adk.de
Im Bilderkeller der Akademie der Künste Berlin.
Foto von Dr. Christian G. Pätzold, Oktober 2024.
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2024/11/26
Leider schon vorbei !
Aber der Laden war sowieso rappelvoll
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2024/11/24
Führung durch das ehemalige Kinderheim A.S. Makarenko in Berlin
am 13.07.2024 von Frau Knüppel
Bericht von Reinhild Paarmann, Teil 2
Kunst am Bau im Kinderheim A.S. Makarenko in Berlin.
Foto von © Karl-Heinz Wiezorrek, Juli 2024.
Wir kommen zu Haus 6, dem Wirtschafts- und Verwaltungsgebäude. Das Sgraffito-Bild über der Tür zeigt die Flora als Sinnbild des aufblühenden Sozialismus. Hier hatte der Direktor sein Büro. Die Kinder sagten: "Schaut mal vorn, im Kreml brennt noch Licht!", wenn der oft bis in die Nacht arbeitete.
Frau Donat war die erste Leiterin des Heimes. Lehrerin, und wohnte am Sterndamm. 1953 erhielt sie Hausverbot, obwohl sie die Wilhelm-Pieck-Medaille vorher bekommen hatte. Sie äußerte Sonderwünsche zu Gunsten der Kinder. Da sie aus dem Exil in Dänemark kam und Jüdin war, warf man ihr den Auslands-Aufenthalt vor. "Stalin-Methode", antwortete sie darauf. Für ihre Familie war der Rauswurf schrecklich. Frau Donat starb 1990. Sie war schwer krank und äußerte noch ihre Sorge über ihre Enkelkinder.
Auch ihr Nachfolger Herr Riese, der bis 1964 das Heim leitete, musste gehen, weil er reformpädagogische Ideen hatte. Die Kinder bezeichneten sich in dieser Zeit als "Königskinder" wegen der Nähe zur Königsheide. Auch das wurde ihm zur Last gelegt. Aber die Kinder haben ihn geliebt. Zwei Zeitzeugen sind in der Gruppe. Einer erzählt das. "Wie war es im Heim?", frage ich. "Gut", urteilen beide übereinstimmig. Frau Knüppel sagt: "Die Erfahrungen der Kinder hier sind unterschiedlich. Vor dem Frühstück gab es immer den Fahnenappell. Das war bei anderen Heimen auch so. Wie sollte man 1953 900 Leute, denn das Personal muss man ja mitzählen, satt bekommen? Es gab noch Lebensmittelmarken. Kleingärtner spendeten. West-Süßigkeiten, die vom Zoll beschlagnahmt wurden, bekam das Heim. Herr Riese wurde dafür kritisiert, als das rauskam. Wie kann man Bonbons vom Klassenfeind annehmen! 1964 gab es eine Parteiversammlung. Herr Riese kam hier diese Treppe runter und heulte. Er kannte alle 600 Kinder mit Namen. Die Kinder drückten ihn, wenn sie ihn sahen."
Auf ihn folgte Herr Graupner. Er schaffte die Geschwister-Gruppen ab. Die Kinder hassten ihn zum Teil. Bis 1972 war hier die Staatssicherheit. Offiziere gingen ein und aus. Viele Erzieher kündigten, weil ihnen das neue Konzept nicht gefiel. Kinder entließen sich selbst. Herr Graupner wollte deshalb vier Wachtürme mit Flutlicht aufstellen lassen. Das kam wegen der vielen Staatsbesuche nicht infrage. Er muss sehr verzweifelt gewesen sein. Ihm folgte Frau Dreßler bis 1975. Die sechs verschiedenen Direktoren bekamen alle Spitznamen von Kindern, zum Beispiel Herr Riese, Vater Riese.
Eine Direktorin wurde Mütterchen Stalin genannt. Sie hatte ein Haus in Weißensee, sie habe Gelder fürs Heim, die für neue Möbel ausgegeben werden sollten, denn diese waren nun 20 Jahre alt, zum Teil veruntreut. Herr Binder, der ihr 1975 folgte, wurde mit falschen Versprechungen als Leiter eingestellt. 400 beeinträchtigte Kinder wurden verlegt. Damit war er nicht einverstanden. Er kündigte 1981.
Frau Kompaß, eine Lehrerin, die zwei Jahre dann Direktorin war, rannte heulend aus einer Sitzung, in der sie kritisiert wurde. Von Herrn Spielmann, der ihr als kommissarischer Direktor 1987 folgte, gibt es das Gerücht, dass er zwangsdelegiert wurde für diesen Posten. 1988 wurde er erst Erzieher. 1989 ging er in den Westen. Ab 1989 folgte Herr Rebbig. Es sollte ein Mutter-Kind-Wohnen entstehen. 1995 wurde Herr Hütte Direktor aus West-Deutschland, der 1998 das Heim auf Anweisung des Berliner Senats abwickelte und die Kinder auf andere Einrichtungen verteilte.
Zweimal wurde das Heim umbenannt: 1968 erhielt es den Namen "Kinderheim A.S. Makarenko", nach dem berühmtesten Pädagogen der Sowjetunion, Anton Semjonowitsch Makarenko (1888-1939). Er entwickelte eine Form der Kollektiverziehung. Sein Motto: "Ich fordere dich, wie ich dich achte." Er hielt es für sinnvoll, wenn Jugendliche so wenig direkte Anweisungen von Erziehern wie möglich erhielten. Nach der Wende 1995 wurde es "Sozialpädagogisches Zentrum". 1978 war der Beschluss zur Umwandlung vom Normalkinderheim in ein Hilfsschulheim gefasst worden.
"Wir sind eben über den Rasen gegangen. Wenn früher ein Kind das tat, bekam es Taschengeldabzug." Frau Knüppel zeigt auf ein Gebäude links: "Da war der Personaleingang und der Technische Dienst vom Heim Herr Barth. Zum Haus 6, wo der Direktor sein Büro hatte: hier wurden die Entscheidungen getroffen, in welche Gruppe die Kinder kamen, ob sie verlegt werden würden oder adoptiert. Von der Adoptionsstelle in Ost-Berlin kamen die Eltern mit Besichtigungsschein, um ihre eventuellen Kinder anzusehen. Die Kinder müssen sich wie Affen im Zoo vorgekommen sein. Hier unten im Keller war der Friseur. Einmal schrie ein Mädchen. Da kam raus, dass er die Mädchen sexuell missbrauchte. Dem Friseur wurde gekündigt. Ein Herr Kasper, guter Erzieher, scharrte die Jungen um sich, die von ihm sexuell missbraucht wurden. Ein Junge meldete sich, weil ihm große Schmerzen zugefügt wurden. Der Erzieher kam ins Gefängnis. Auch größere Kinder missbrauchten kleinere." Mir fällt das Buch von Jean Genet ein: "Wunder der Rose". Da wird der sexuelle Missbrauch von älteren Jungen an jüngeren geschildert. Die kleinen Jungen reagierten fatalistisch. Niemand half ihnen. Genet schildert es so, als ob er das gut findet.
Neben dem Friseur war die Wäscherei. 10.000 Kilo Wäsche kam jeden Freitag hier rein. Die Windeln der Säuglinge von Haus 5 öfter. "Es gab schon Waschmaschinen." Frau Knüppel zeigt uns ein Foto von altertümlichen Trommelwaschmaschinen. "Es war sehr heiß in den Räumen, besonders im Sommer. Die Frauen mussten schwerste Arbeit leisten."
"Kinder kamen manchmal auch durch Krankheiten um, eins fiel vom Baum, brach sich das Genick, eines wurde ermordet. Die Eltern durften nicht zur Beerdigung kommen. Oft wussten sie gar nicht, dass ihr Kind gestorben war. Ich lese einmal in der Woche die Stasi-Akten, hole mir einen und einen halben Wagen. Nach 4-5 Stunden kann ich nicht mehr. Wir haben Treffen mit ehemaligen Erziehern und Kindern. Bei manchen Erziehern, die so harmlos tun, denke ich, mein Gott, ich darf ja nicht sagen, was in den Akten über sie steht. Täterschutz."
Wir kommen jetzt zum Zentralen Speisesaal mit einem Sgraffito über dem Eingang "Hissen der Fahne". "In zwei Gruppen von 300 Kindern wurde in Schicht dreimal täglich gegessen. Ein Erzieher stand vor dem Eingang. Die Kinder mussten ihre Hände vorweisen. Waren sie oder ihre Kleidung nicht sauber, gingen die Kinder auf ihre Zimmer, um ihren Zustand zu verbessern. Kamen sie dann zu spät zum Essen, bekamen sie nichts mehr."
Wir gehen die Stufen hoch, öffnen die Tür. "Hier stand eine Büste von Makarenko. Eines Tages lag auf ihrem Kopf menschlicher Kot. Die Kinder wurden befragt, wer das gewesen wäre, aber sie hielten dicht, denn sie wussten, das Kind käme dann in ein geschlossenes Heim. Vor einem Jahr rief ein ehemaliges Heimkind aus dem Ausland an und bekannte sich zu der Tat. Er sagte: Dauernd wurde gesagt: Makarenko hier, Makarenko da, ich konnte es nicht mehr hören! Das Denkmal aus Bronze ist verschwunden."
Wir gehen die Treppe hoch zu einem Buntglasfenster. "Links war der Essraum für Erzieher und Besucher." "Haben die Erzieher nicht mit den Kindern gegessen?", frage ich. "Die Erzieher kamen mit ihrer Gruppe zum Speisesaal. Ja, sie haben mit ihnen gegessen. Ich meinte die Lehrer." "Wie lief das ab? Konnten sich die Kinder selbst das Essen nehmen?", fragt eine Besucherin. "Sie holten sich das Essen ab. Dann gab es nach Plan Tischdienst, der das Geschirr hinstellte, das Besteck, die Tische abwischte. Die Schulkinder bekamen Vesper. Ein Kind holte 25 Marmeladenbrote ab, kam mit 15 dann an." Frau Knüppel lächelt.
Sie gehen weiter, sehen den Schornstein vom Heizungshaus. "Ja, es wurde mit Kohle geheizt. Dann existierte hier einen kleinen Zoo seit 1955, einen Stall für das Pferd. Die Kinder versorgten die Tiere, es wurden immer mehr, da schafften die Kinder das nicht mehr, ein Tierpfleger wurde eingestellt. Hängebauch-Schweine, Schafe, Schildkröten, Gänse lebten hier. Zu Weihnachten wurden Schweine und Gänse zum Teil geschlachtet. Die älteren Kinder merkten das und weigerten sich, das Schweine- und Gänsefleisch zu essen. 20 Jahre bestand der Zoo und wurde Mitte der 70er Jahre geschlossen. Rechts siedelte sich eine Firma an, die Wäsche wusch."
Wir gehen weiter zu Haus 3. "Jedes Haus hat drei Eingänge. Unten und oben war je eine Gruppe von 20 Kindern. Nicht nur arme Kinder wurden hier untergebracht, sondern auch Diplomaten-Kinder, Kinder von Schauspielern, Schriftstellern, zum Beispiel der Sohn vom Schriftsteller Strittmatter, der das seinem Vater sehr übel nahm. Die Eltern wollten ihre Kinder sozialistisch und kollektiv erziehen lassen, um sich selbst dem Aufbau des Sozialismus widmen zu können. Auf dem Gelände gab es auch Lautsprecher, die zum Frühstück oder Aufwachen in den Sommerferien Musik spielten. Die Kinder wurden auch zur Gartenarbeit herangezogen."
Wir sehen eine schöne neue Holzbank mit einem goldenen Schild darauf. Sie wurde gespendet und soll an Herrn Riese erinnern. "Ein Freiluft-Theater gab es dahinten." Frau Knüppel weist mit dem Arm in die Richtung. "Die älteren Kinder wurden zum Sand schippen und Steine klopfen dafür herangezogen."
Wir gehen weiter zu Haus 1. "Hier war die Oberstufe untergebracht." Von hinten sehen wir das Gebäude an. "Früher waren hier Gitter vor den Fenster als Schutz der Kinder vor Pädophilen und Eltern, die ihre Kinder entführen wollten, denn das Haus steht ja nahe am Wald." Vor der Schule steht eine Steinskulptur mit zwei Jungen, einer hält ein Flugzeug in der Hand als Anspielung auf den Flughafen Johannisthal, der hier in der Nähe war. Der Kopf des einen Jungen ist mit Teer beschmiert. "Seit 2010 ist das so. Die Reinigung beider Figuren würde 11.000 € kosten. Hier leben 232 Mieter. Wenn man es auf sie umlegen würde." Ich rechne aus: 47,41 €. "Die Miete ist hier sowieso nicht billig. Die schöne Lage. Dann gibt es Staffelmietverträge. Die Wohnungen bestehen aus 2-Zimmern."
"Die Kinder hatten einen Aberglauben: Wenn man an den Schuh des einen Jungen fasst, der andere ist barfuß, hat man Glück bei einer Klassenarbeit." Wir gehen zu dem neuen Haus. "Es passt architektonisch nicht so ganz, aber es hat ein schönes buntes Glasfenster. Leider ist ein Stück davon zerstört worden. Als die Turnhallen gebaut wurden, klopften die Jungen Steine dafür, die sie aus einer Armeebaracke hatten. Da hinten war der Sportplatz, dann ein Spielschiff." Frau Knüppel zeigt uns ein Schwarz-weiß-Foto.
"Ich war ein schlechter Esser, musste die Arme hinter dem Rücken halten, ein Erzieher fütterte mich, er aß jeden zweiten Happen selbst, um mir zu helfen. Wir durften beim Essen nicht reden", erzählt ein ehemaliger Heimbewohner.
"11.000 Kilometer von uns entfernt existiert eine kleine Kopie des Heimes in Kambodscha, das 1983 eröffnet wurde. Eine Delegation hatte nach dem Bürgerkrieg das Heim angesehen."
Wir erreichen nun Haus 5. "Hier war die Ambulanz, ein kleines Krankenhaus mit 20 Betten mit einem Heim-Arzt, Isolier- und Röntgen-Station. Größere Operationen wurden woanders durchgeführt. Auch der gefürchtete Zahnarzt befand sich hier. Die Leiterin des Forschungslabors fiel in Ungnade, erhielt Berufsverbot. Ihr Nachlass ist nicht auffindbar. 120 Säuglinge und Kleinkinder wurden in dem Nebenhaus untergebracht. Die Kinder waren nur kurze Zeit hier."
"Wie arbeiteten die Erzieher? In innewohnenden Gruppen oder im 8-Stunden Schichtdienst? Wie oft wechselten die Erzieher? Es könnte zu Bindungsstörungen geführt haben", sage ich. "Alle Kinder hier haben bis heute Bindungsstörungen", meint Frau Knüppel. "Ein Zeuge berichtete, dass er in 10 Jahren 14 verschiedene Erzieher hatte. Für viele Erzieherinnen war diese Arbeit nur der Einstieg in das Berufsleben. Wenn sie dann Kinder bekamen, wollten sie bessere Arbeitszeiten, denn in der Säuglingsstation gab es die 24 Stunden-Schicht. Es gab einen Betriebskindergarten und eine Krippe. Alle Kleinkinder litten an Hospitalismus. Sie wurden nur gewickelt und gefüttert, konnten auf der Terrasse herumkrabbeln. Da das Essen kalt wurde, wenn es von der Küche bis ins Kleinkinderhaus gebracht wurde und die Erzieher es dann aufwärmten, wurde eine Milchküche angebaut." Wir gehen um das Haus herum, sehen durch die Glastür. "Da sind doppelte Holzgeländer an der Treppe, sehen Sie? Für die Kleinen das untere Geländer, für die Älteren das obere. Oben über der Tür sehen Sie ein Sgraffiti mit Pusteblumen. Es gibt viele Fotos davon, wenn Kinder hier ankamen oder wieder weggingen."
"1998 wurde das Heim geschlossen, davor war es eine Hilfsschule. Eine russische Immobiliengesellschaft aus St. Petersburg kaufte das Gelände und wollte Senioren-Wohnungen bauen. Aber diese müssten behindertengerecht sein, das geht nicht, weil die Gebäude unter Denkmalschutz stehen. Zuletzt diente es der Geldwäsche und verwahrloste. Der Sicherheitsdienst wurde abgeschafft, die Heizungen nicht mehr angemacht, die Rohre platzten zum Teil, ein Haus stand unter Wasser, noch heute hat es Schimmel, der Garten wurde nicht mehr gepflegt, Obdachlose nisteten sich ein, Vandalismus war an der Tagesordnung und Brandstiftung. Das Gelände wurde für Dreharbeiten genutzt, wodurch der Vermieter verdiente. Wir schalteten die Presse und das ZDF ein. Das half. 2014 wurde das Areal eine Stiftung. Jetzt gehört das Anwesen einem Herrn aus Würzburg, der sich 2016 mit uns einigte, die Häuser umbaute und vermietete."
Die untergebrachten Kinder spiegeln die jeweilige Zeit wider. Während es bei der Eröffnung vor allem Kriegswaise waren und viele Mauerkinder, also von Flüchtlingen, die ihren Nachwuchs zurückließen, kamen 1989 dann die Wendekinder. Aber viele stammten auch aus asozialen Verhältnissen, "wobei der Begriff damals sehr eng gefasst war", wie die Vorsitzende heute weiß. Dennoch war es nicht für alle Kinder eine Strafe, ins Heim zu kommen, sondern für manche auch die Rettung.
Das IBZ Königsheide lebt von der Arbeit der Ehrenamtlichen und von Spenden. Ein Stamm von 30 Leuten arbeite regelmäßig mit, zehn bis zwölf decken die Öffnungszeiten im neuen Stammhaus ab, das bis zu vier Tagen die Woche geöffnet ist. Eine ganz schöne Herausforderung für jemanden wie Sabrina Knüppel, die einen Vollzeitjob als Dozentin hat und zudem Familie. Etwa 20 Stunden die Woche arbeitet sie noch zusätzlich in der Königsheide. Dort werden auch Zeitzeugengespräche, Filmnachmittage und regelmäßig Führungen angeboten.
Ich kann nicht mehr, weder Stehen noch Laufen, der Rücken schmerzt, mir ist schlecht. Ich bin psychisch fertig, setze mich auf einen Kiefernstamm. Nach einer Weile stehe ich auf und frage: "Gibt es einen Friedhof für die hier gestorbenen Kinder?" "Nein. Sie wurden in einem Sammelgrab in der Baumschulenstraße beerdigt."
© Reinhild Paarmann, November 2024.
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2024/11/20
Führung durch das ehemalige Kinderheim A.S. Makarenko in Berlin
am 13.07.2024 von Frau Knüppel
Bericht von Reinhild Paarmann, Teil 1
Kunst am Bau im Kinderheim A.S. Makarenko in Berlin.
Foto von © Karl-Heinz Wiezorrek, Juli 2024.
Wenn wir in der Königsheide spazieren gingen, kamen wir ab und zu an einen langen hohen, angerosteten Zaun, der von einem Steinpfosten zum nächsten führte. Dahinter schimmerten durch die Bäume und Sträucher Gebäude. Was sich da wohl verbarg? Vom Berlin-Plan erfuhren wir, dass dort zur DDR-Zeit ein Kinderheim war. Einmal, vielleicht ist es 13 Jahre her, liefen wir auf das Gelände bis zu einem großen Gebäude, das wohl eine Schule gewesen war. Da war ein Informationsstand. Vor Kurzem nahmen wir vom Bürgerverein einen Zettel vom IBZ Königsheide mit, das unter anderem gebrauchte Bücher für gemeinnützige Projekte sammelt und sie verkauft, um damit teilweise ihre Aktionen zu finanzieren. Da wir oft Platz für neue Bücher brauchen und nicht mehr unterbringen können, brachten wir zweimal alte Bücher dorthin. In der Annahmestelle befindet sich eine Ausstellung über das ehemalige Kinderheim A.S. Makarenko, das sich auf dem Gelände befand. Wir erfuhren, dass es ab und zu Führungen gibt. Wir meldeten uns an.
An die 10 Personen waren gekommen, dabei auch zwei ehemalige Heimbewohner. Frau Sabrina Knüppel engagiert sich im Informations- und Begegnungszentrum (IBZ) Königsheide. Sie führte uns über das Gelände und ist Vorstandsvorsitzende des Vereins Königsheider Eichhörnchen https://koenigsheider-eichhhoernchen-ev.de./about/. Doch wer denkt, der Verein hätte etwas mit den sprunghaften Tierchen zu tun, irrt. Eher mit der Umgebung aus viel Wald, der Königsheide. In dem Verein haben sich im Jahr 2008 ehemalige Heimbewohner des größten Kinderheims der DDR zusammengeschlossen. Ende September 2018 wurde auf dem heute als Wohnpark genutzten ehemaligen Heimgelände das Informations- und Begegnungszentrum (IBZ) Königsheide vom Verein Königsheider Eichhörnchen und der Gründungsinitiative Stiftung Königsheide e. V. mit einem großen Festakt eröffnet. Letztes Jahr feierte es seinen fünften Geburtstag mit internationalen Gästen aus Partnereinrichtungen.
Die Führung sollte 2 ½ Stunden dauern. Es wurden drei Stunden. Ich will nicht alles aufschreiben, was Frau Knüppel uns berichtete, denn es gibt genügend Informationsmaterial über das ehemalige Heim. Ich machte mir Notizen und will nur meine persönlichen, sukzessiven Eindrücke schildern.
Frau Knüppel: "Es ist ein wichtiger Ort der DDR-Geschichte, den wir erhalten wollen. Zu viele Erinnerungen sehr vieler Menschen sind damit verbunden. Doch wir als Verein hätten das aus finanziellen Gründen nicht allein stemmen können. Deswegen haben wir die Stiftung gegründet", erzählt Sabrina Knüppel, die im Verein die Vorstandsvorsitzende und in der Stiftung die stellvertretende Vorsitzende ist.
Am Eingang zum ehemaligen Kinderheim, rechts das Pförtnerhaus, links der frühere Jugendclub, jetzt das Büro und Museum des IBZ, gibt Frau Knüppel eine Überblick über die Geschichte des Kinderheims. Rund 25.000 Jungen und Mädchen vom Säugling bis zu 18 Jahren sind zwischen Oktober 1953 und Ende 1997 in dem Kinderheim Makarenko an der Südostallee in Johannisthal aufgewachsen. Hinzu kommt der immens große Stab an Mitarbeitern. "Sie alle haben die jeweilige Lebenssituation vor Ort geprägt, und sie wurden alle durch diese geprägt. Viele zum Teil höchst tragische Schicksale sind damit verbunden, die zugleich den Auftrag geben, sich um eine profunde Aufarbeitung der Geschichte des ehemaligen Kinderheims zu bemühen", weiß die Vorsitzende. Bis zu 600 Kinder lebten zeitgleich in den vier Wohnhäusern des damals größten und modernsten Kinderheims. Es gab eine Schule, eine Säuglingsstation, ein Ambulatorium und eine Einrichtung für die Bewirtschaftung.
Die Königsheider Eichhörnchen sind eher durch Zufall gegründet worden. Denn auch in der Familie von Sabrina Knüppel spielte die Fremdunterbringung des Vaters eine Rolle. "Das hatte Auswirkungen auf meine Kindheit", erzählt sie. Als Erwachsene begann sie damit, ein bisschen Ahnenforschung zu betreiben. Das erzählte sie am Geburtstag der Freundin. "Eine Frau, die dort zu Gast war, berichtete, dass sie im Heim Königsheide aufgewachsen ist. Sie bat mich, ihr bei der Recherche nach ihrer Familie zu helfen. Das war ganz dramatisch, hatte sie doch drei Geschwister", erzählt Sabrina Knüppel. Sie stellte fest, dass es bereits einen Zusammenschluss Betroffener gab und stellte den Kontakt her.
Der Pförtner sah, wenn Kinder sich verabschiedeten, weil sie neue Eltern bekamen. Hier wurden Kinder von den Eltern an den Zaun gebunden oder im Karton abgeladen, was nach dem Mauerbau geschah, wenn Eltern flüchteten. Sehen Sie das Eichhörnchen am Tor? Es wurde in die Schmiedeeisenarbeit 1954 eingefügt. Wie kam es, dass ein Eichhörnchen zum Symbol des Heimes wurde? Ein Junge fand auf dem Gelände ein verletztes Eichhörnchen. Er packte es in seinen Socken und nahm es in sein Zimmer mit, wo er es in einem Karton versteckte. Nach ein paar Tagen hörte ein Erzieher das Rascheln im Karton. Unter Tränen gestand der Junge, dass er das Eichhörnchen mitgenommen hat. Der Leiter ging zur Werkstatt und ließ eine Voliere aus Metall für das Eichhörnchen anfertigen. Als eine Künstlergruppe die Geschichte hört, kreierte sie das Wappenzeichen des Heimes.
Wieso wurde diese Einrichtung gebaut? Das Waisenhaus in der Alten Jakobstraße in Kreuzberg, in das ab 1875 Kinder aufgenommen wurden, war zu klein geworden. Frau Knüppel zeigt uns ein Schwarz-weiß Foto. Ich wundere mich, denn das Gebäude sieht ganz anders aus, als ich es in Erinnerung habe, ich habe 1982 ein Mädchen dorthin in den Jugendnotdienst gebracht. "1945 wurde das Gebäude durch einen Bombenangriff zerstört", erklärt Frau Knüppel, wobei Kinder umkamen. Die verbleibenden Kinder zogen in das katholische Kinderheim im Katharinenstift, je zwei Kinder in einem Dreistock-Doppelbett, dann in ein Schulgebäude einige Hausnummern weiter. 1953 konnten die Kinder mit dem Personal in das neue Hauptkinderheim in die Königsheide ziehen. Was waren das für Kinder? Kriegswaise, "verwahrloste" Kinder und Kinder von Eltern, die politisch nicht der DDR genehm waren, weil sie zum Beispiel einen Ausreiseantrag gestellt hatten, 1961 beim Mauerbau. Allein 350 Kinder, deren Eltern in den Westen geflohen waren, kamen ins Heim. Es gab immer zu wenige Heimerzieher und zu viele Kinder.
Vorher entstand ein Gerangel mit der Forstverwaltung, die nichts von ihrem Gelände wegen des Neubaus abgeben wollte. Dort wurde gesagt: "Ihr spinnt. Wir fällen doch nicht dafür Bäume!"
Das Gelände beträgt 12 Hektar. Der Bau sollte 7,5 Millionen Mark kosten, es wurden daraus 10 Millionen. Woher das Baumaterial nehmen? Es wurde aus der Innenstadt transportiert, Trümmerfrauen klopften die Steine ab. Die ersten Pläne waren ganz anders. Aus der Kinderdorfidee am Anfang der Planung 1949 wurde eine Einrichtung nach stalinistischem, kasernenartigem Stil. Die Gebäude errichte man 1952/53 unter Leitung der Architekten Gerhard Eichler und Hermann Henselmann im stalinistisch-neoklassizistischen Stil. "Sie kennen vielleicht die Stalin-Allee", sagt Frau Knüppel. 1950 musste der Architekt Professor Sage in 24 Stunden die DDR verlassen. Er hatte zuvor 1949 einen modernen Entwurf vorgelegt. Er war nicht mehr linientreu und wurde durch einen anderen ersetzt. Biermann war also nicht der Erste, der ausgebürgert wurde.
Da es eine Vorzeige-Einrichtung werden sollte, durfte die Kunst am Bau nicht fehlen. Ein Künstlerkollektiv unter Bert Heller wirkte daran mit. Das Heimgelände umfasste eine Vielzahl von Freizeiteinrichtungen, z. B. ein Planschbecken, eine Freilichtbühne, ein Spielschiff und einen Sportplatz, später noch eine Turnhalle. Frau Knüppel lässt einen Übersichtsplan weitergeben. Das Planschbecken gibt es nicht mehr. Auch die beiden Turnhallen wurden abgerissen. Das restliche Gelände wurde der Natur überlassen. Die Fläche verkleinerte man, da man für die heutigen Mieter nicht so viel Spielgelände braucht wie für die Kinder damals. Um heute das Gelände zu umrunden benötigt man trotzdem noch eine Stunde.
Zuerst gab es nur einen Jägerzaun. 1962 wurden die Pfosten und der Drahtzaun errichtet. Warum? Das Gelände befand sich 1961 nach dem Mauerbau nahe der Grenze zur Sonnenallee. Hätte man damals gewusst, wie sich alles entwickelt, hätte man das Heim nie an diesem Ort gebaut.
Über den Türen der Eingänge zu den Gebäuden sind Sgraffiti zu sehen mit verschiedenen Kinderspielszenen, eine Technik aus Italien, wobei der Putz in verschiedenen Schichten aufgetragen wird, um einen 3D-Effekt zu erreichen. Zum Teil sind die Bilder 4-farbig, ein Taubenblau, ein Grün, ein Rostrot und Braun. Auf den Bildern sind selten die Pionier-Halstücher zu sehen. Jedes Bild musste vorher genehmigt werden. Teilweise hielten die Künstler an ihren eigenen Entwürfen fest wie zum Beispiel der lächelnde Delphin, der nicht genehmigt wurde. Man würde dadurch den Kindern eine falsche Vorstellung vermitteln.
International wurde das Heim bekannt. Viele Delegationen aus anderen Ländern besuchten es. Das Gästebuch befindet sich im Besitz des IBZ. Das Heim hatte eigene Ferienprojekte, in einem Schwarz-weiß Film kann man die Kinder in der Eisenbahn sehen, die gerade nach Prieros oder Kastaven fahren. Seit 1958 besteht eine Partnerschaft mit Fót in Ungarn. Heute befindet sich hier ein Wohnpark. Es stehen nur noch neun der 13 Gebäude.
Nach der Schließung des Heimes 1998 durch den Berliner Senat standen die Gebäude 15 Jahre lang leer, Vandalismus und Verwahrlosung nahmen immer mehr zu. Als der Runde Tisch Heimunterbringung die Entschädigungsansprüche von Betroffenen publik machte, musste ein Verein her, um die Betroffenen bei der Antragsstellung zu unterstützen. Das erste Büro entstand in Friedrichshain, jetzt sitzt es in einem der Pförtnerhäuschen des ehemaligen Kinderheims. Der Investor, der das Areal kaufte, hatte sich bereit erklärt, es ihnen zur Verfügung zu stellen, denn es bestand der Wunsch, am historischen Ort an seine Geschichte und den damit verbundenen Schicksalen Rechnung zu tragen. Ein entsprechender Beschluss der BVV Treptow-Köpenick wurde gefasst. Während 2016 schon die ersten Mieter in den neuen Wohnpark einziehen konnten, wurde die neue Vereinsstätte erst 2018 bezugsfertig. Seit 2008 setzte sich der Verein "Königsheider Eichhörnchen" für den Erhalt des Geländes als Geschichts- und Erinnerungsort für die vielen ehemaligen Heimbewohner ein. "Wir schalteten die Presse und das ZDF ein." Das half. 2014 wurde das Areal eine Stiftung, bis 2016 sich ein Investor für einen neuen Nutzungszweck für das Areal als Wohnpark Königsheide fand unter Beachtung des Denkmalschutzes. Die Gründungsinitiative Stiftung Königsheide e.V. 2023 garantiert das Bewahren der Geschichte des Kinderheims. Wir kommen an einem Schild vorbei, das das Gelände zeigt. Es steht auf dem Kopf. "Das bekommt die Hausverwaltung nicht auf die Kette", sagt Frau Knüppel und meint damit, dass sie es nicht umdrehen.
Viele ehemalige Bewohner kommen jetzt ins IBZ Königsheide, manche engagieren sich im Verein, der für sie eine Ersatzfamilie geworden ist. Andere kommen mit konkreten Suchaufträgen nach Familienangehörigen, andere haben nur den Wunsch, ein Kindheitsfoto zu haben, um es ihren Enkeln zeigen zu können. "Es ist eine herausfordernde Arbeit, die teilweise Jahre dauert. Die Fotosuche ist da noch das einfachste dank unseres großen Fotoarchivs", sagt Sabrina Knüppel. "Viele Unterlagen wurden mit dem Fall der Mauer vernichtet." Doch es gibt auch Erfolgserlebnisse und die seien dann total motivierend.
Frau Knüppel hält regelmäßig Sprechstunden für ehemalige Heimkinder ab, die u. a. ihre Geschwister und Eltern suchen. Einmal kam eine ehemalige Heimbewohnerin und sagte: "Ich war 18 Jahre hier im Heim. Nie hat sich jemand bei mir gemeldet. Als Kleinkind mit 1 ½ Jahren kam ich ins Heim." Frau Knüppel. erkundigte sich. Sie erfuhr, dass der Vater der Nachfragenden im Gefängnis war, weil er seine Frau und die Geschwister umbrachte. Aber sollte sie ihr das sagen? Frau Knüppel entschied sich dafür. Die ehemalige Heimbewohnerin war erleichtert, denn die Ungewissheit war für sie schlimmer als die bittere Wahrheit. Die Großeltern waren im Krieg verschollen.
"Warum wurden die Kinder nicht in Pflegefamilien vermittelt?", frage ich. "In der DDR gab es nur Pateneltern." "Und Adoptionen?" "250 Kinder wurden adoptiert. Während der Kuba-Krise in den 1960er Jahren wurden kubanische Kinder aufgenommen. Nach der Heimeinweisung gab es wenige Familienzusammenführungen. Kirchliche Heime durften Kinder nur bis zum 3. Lebensjahr aufnehmen. Dann kamen sie in staatliche Heime, denn die Kinder sollten sozialistisch erzogen werden."
"Gab es sexuellen Missbrauch wie in vielen Heimen in West-Deutschland?", frage ich. "Ja, gab es auch." "Frau Honecker, die bis 1989 Volksbildungsministerin der DDR war und der die Heime unterstanden, ließ die Reste der Büfetts, die bei den Staatsempfängen übrig blieben, hier ins Kinderheim bringen. Das hat mir imponiert", erzählt Frau Knüppel. Ich erinnere mich an den Honecker-Film, in dem eine ehemalige Heimbewohnerin Schreckliches aus ihrer Zeit dort Frau Honecker berichtete. Sie antwortete steinern: "Kein Kind kam ohne Grund ins Heim." Sie meinte, das Mädchen wäre verhaltensauffällig gewesen.
© Reinhild Paarmann, November 2024.
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2024/11/17
Metropolitana di Napoli
La sala biglietteria della Stazione Università
Foto von Achille Luongo, Januar 2014. Quelle: Wikimedia Commons.
Die Station Università der Linie 1 in Neapel wurde von dem italienischen Designer und Architekten Alessandro Mendini (1931-2019) und dem US-amerikanischen Designer Karim Rashid (geboren 1960) entworfen und im Jahr 2011 eröffnet.
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2024/11/13
Ein Traum von Entenbrust und Schweinebauch
von Dr. Christian G. Pätzold
Entenbrust oder Schweinebauch? Schwierige Entscheidung. Aus kulinarischer Perspektive gehören sowohl Entenbrust wie Schweinebauch zur Spitzenklasse. Besonders die chinesische Gastronomie leistet hier Herausragendes. Aber auch die anderen asiatischen Küchen sind sehr inspirierend.
Als Vorspeise vielleicht eine Wan-Tan-Suppe oder eine Pekingsuppe? Schwalbennestsuppe oder Haifischflossensuppe wegen des Tierschutzes lieber nicht.
Beginnen wir mit der Grundlage der Gerichte, das ist natürlich der Reis. Es gibt zahlreiche Arten von Reis im Handel, so dass für jeden Geschmack etwas dabei ist. Man kann auswählen etwa zwischen Patna Langkorn Reis, Basmati Reis, Wildreis, Klebereis. Die Zubereitung von Reis erfordert auch etwas Aufmerksamkeit, aber ich setze hier mal voraus, dass die meisten Reis kochen können. Bitte den Reis vor dem Kochen spülen! Salz im Kochwasser ist übrigens nicht unbedingt nötig.
Als Gemüsebeilage eignet sich gemischtes grünes chinesisches Gemüse. Ich empfehle Shanghai Pak Choi, Kaiserschoten und Staudensellerie. Das Gemüse sollte blanchiert und dann in mundgerechte Stücke geschnitten werden. Anschließend wird es mit Knoblauch, Zwiebeln und etwas Austernsoße in der Pfanne angeschmort. Fertig ist die Gemüsebeilage. Als zusätzliche Beilage noch eine Schüssel voller mit Zwiebeln geschmorter gemischter Pilze, vielleicht mit ein paar Stückchen Ingwer.
Nun zum Star des Essens, dem Fleisch von Entenbrust oder Schweinebauch oder beidem. Die Hautseite wird in Rauten mit einem scharfen Messer eingeschnitten, damit das Fett ausrinnen kann. Entenbrust oder Schweinebauch werden im Ofen schön knusprig gebacken, bis die Kruste knackig ist und das meiste Fett und Wasser heraus geflossen ist. Das dauert etwas. Dann wird das Fleisch in mundgerechte Stücke geschnitten, so dass es gut mit Stäbchen gegessen werden kann. Zum Fleisch kann noch etwas Austernsoße gegeben werden. Wer es lieber mag kann auch eine rote thailändische Currysoße nehmen.
Nicht zu vergessen sei auch die obligatorische Beilage: In Ringe geschnittene rote Chilischoten, die in Fischsoße eingelegt wurden. (Capsaicin soll glücklich machen.) Als zusätzliche Beilage noch eine ordentliche Portion Kimchi. Das kommt zwar aus der koreanischen Küche, passt aber gut zu Fleisch und soll sehr gesund sein.
Vegetarisch ist auch kein Problem. Als Alternative zu Entenbrust und Schweinebauch empfiehlt sich gebackener Tofu. Besonders Bioläden haben zahlreiche Sorten von Tofu im Angebot. Die Getränke können sich alle selbst aussuchen.
Applaus für die Köchinnen und Köche und Bon Appetit!
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2024/11/09
9. Nov. 89 - Berlin
von Dr. Christian G. Pätzold
Wolf Vostell (1932-1998): 9. Nov. 89 - Berlin.
Am 9. November 1989 habe ich von der Öffnung der Berliner Mauer durch das Fernsehen erfahren. Ich wohnte in West-Berlin in der Pfalzburger Straße, nicht weit entfernt vom Kurfürstendamm. So um die 20 Uhr machte ich mich auf den Weg zum Kudamm, um zu sehen, was passiert. Es war ein dunkler Novemberabend, aber nicht zu kalt und auch nicht nass. Ich ging die Pfalzburger Straße hoch, vorbei am Ludwig-Kirch-Platz bis zur Lietzenburger Straße, dann rechts bis zur Uhlandstraße. Dann die Uhlandstraße links hoch zum Kudamm, vorbei an der legendären sizilianischen Selbstbedienungspizzeria Piccola Taormina, in der ich oft ein Stück Pizza für eine Mark gegessen habe. Von dort waren es nur noch ein paar Schritte bis zum Cinema Paris und zum Kurfürstendamm.
Der Kudamm war und ist immer noch der westberliner Prachtboulevard mit breiten Bürgersteigen unter Platanen und mit teuren Luxusgeschäften. Zu Mauerzeiten war der Kudamm nicht so stark bevölkert und man konnte dort gut spazieren gehen, um etwas frische Luft zu schnappen. An jenem 9. Novemberabend aber war der Kudamm plötzlich rappelvoll mit Menschen, Männer, Frauen, Kinder, ganze Familien. Irgendwie sahen sie anders aus als die üblichen Spaziergänger, sie waren blass und grau und müde und abgekämpft im Gesicht. Auch ihre Kleidung war recht grau und unmodisch. Ich musste an die grauen bröckelnden Fassaden der Altbauten in Ost-Berlin denken, die ich von meinen Besuchen dort kannte. Es waren DDR-Bürger, die durch die plötzlich geöffnete Berliner Mauer nach Westberlin in Scharen gedrängt waren und mir entgegen kamen, auf dem breiten Trottoir in Richtung Kranzler und Gedächtniskirche. Es schien so, als ob sie auf dem Kudamm herausfinden wollten, ob der Kapitalismus wirklich so schön bunt war, wie sie es im Westfernsehen gesehen hatten. Der Kudamm war anscheinend ein Ort der Sehnsüchte, zu dem die Ost-Berliner strömten, an jenem Donnerstag, in jener Nacht des 9. auf den 10. November 1989. Günter Schabowski, der Chef der ostberliner SED, hatte die Öffnung der Mauer und damit quasi das Ende der DDR im Fernsehen ein paar Stunden vorher verkündet.
Es war nicht so, dass ich die DDR-Bürger überschwänglich umarmt hätte und gesagt hätte: "Liebe Brüder und Schwestern! Schön, dass ihr endlich frei seid und auf dem Kudamm spazierengehen könnt!" Ich habe sie nur mit einer neutralen Einstellung beobachtet, mit einem Gefühl der Interessiertheit.
Natürlich war das modische Warenangebot in den Schaufenstern ein großer Magnet. In der DDR waren modische Artikel Mangelware. Wenig später wurde dann ein Begrüßungsgeld von 100 D-Mark an jeden DDR-Bürger ausgezahlt, das sofort für Westwaren ausgegeben wurde. Frauen kauften sich davon oft ein Paar modische Schuhe, Pumps genannt, das war ein Grundbedürfnis. Ich möchte nicht über eine etwaige Neigung zum Schuhfetischismus bei Frauen philosophieren, aber ich habe es im Bekanntenkreis so erlebt. Männer bevölkerten eher die West-Kneipen und die westlichen Sexshops. Die 100 D-Mark Begrüßungsgeld waren schnell ausgegeben. Wahrscheinlich schmeckte sogar das kapitalistische Bier besser.
Auf dem Kudamm fokussierten sich der Zusammenbruch der DDR, der Zusammenbruch der Sowjetunion und der Zusammenbruch des Rest-Sozialismus in jenem annus horribilis. Das war schon eine krachende Zäsur in der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Ost-Deutschland hat sich in den letzten 35 Jahren sehr verändert, nicht nur äußerlich, sondern auch mental. Der Kudamm dagegen ist seltsam unverändert geblieben. Dort gibt es immer noch die Luxusgeschäfte, in denen 99 % der Bevölkerung nicht einkaufen können. Bulgari, Gucci, Cartier, Prada, Chanel, Dolce & Gabbana usw. Der Kudamm war die schöne Illusion der Elysischen Felder, für die die Leute abgestimmt haben, mit dem KaDeWe am Wittenbergplatz als oberstem Tempel des Paradieses.
Am 10. November 1989 abends war ich dann bei dem großen Auflauf vor dem Rathaus Schöneberg, das damals der Sitz des westberliner Parlaments war. Der John-F.-Kennedy-Platz vor dem Rathaus war brechend voll mit Menschen. Auf der Treppe vor den Mikrofonen standen Bundeskanzler Helmut Kohl von der CDU, Außenminister Hans-Dietrich Genscher von der FDP, Willy Brandt von der SPD, der Regierende Bürgermeister von West-Berlin Walter Momper von der SPD. Die wichtigste Politprominenz der BRD war eilig nach West-Berlin gekommen. Ein Hauch von Geschichte lag in der Luft. Ich stand vor der Rathaustreppe in einer großen Gruppe von Sympathisanten der Alternativen Liste für Demokratie und Umweltschutz (AL), die damals noch halbwegs links war und Teil der westberliner Regierung. Als Helmut Kohl sprach, übertönten die Pfiffe und Buhrufe sein Mikro. Wir wollten kein vereinigtes Helmut-Kohl-Deutschland, das war klar. Aber genau das ist 1990 passiert, mit tatkräftiger Unterstützung der ostdeutschen Wähler:innen. Die Ossis wollten auch die D-Mark haben und das hat Helmut Kohl ihnen versprochen. Helmut Kohl hat mit D-Mark-Scheinen gewedelt, also haben sie ihn gewählt. Nach der Vereinigung wurden aber die DDR-Betriebe von der Treuhandanstalt platt gemacht und die Ossis mussten sich ihre D-Mark vom Arbeitsamt abholen. Das hatten sie so nicht erwartet.
Viele sind im November 89 auf die Mauer geklettert, denn die Grenzsoldaten haben ja nicht mehr geschossen. Ein paar Tage nach dem 9. November habe ich mich am Brandenburger Tor als „Mauerspecht“ betätigt, wie viele andere auch, das war damals Mode. Mit einem Schraubenzieher und einem Hammer ausgerüstet habe ich kleine Betonstückchen aus der Mauer gemeißelt. Die Betonstückchen der Berliner Mauer wurden ein beliebtes Souvenir der Touristen. Meine Betonstückchen habe ich noch ein paar Jahre aufgehoben und sie sind dann irgendwo verschwunden.
Als anti-faschistischer Schutzwall war die Mauer ja eigentlich gar nicht so schlecht, verglichen mit heutigen Zeiten. Aber nachdem die DDR zusammengebrochen war, weil die Sozialisten keine Mehrheit in der Bevölkerung hatten und nicht mehr von der Sowjetunion unterstützt wurden, konnte man die Mauer ruhig als Mauerspecht bearbeiten. Ich war allerdings dagegen, die Mauer komplett abzureißen. Mir wäre es lieber gewesen, die Mauer wäre als historisches Denkmal stehen geblieben.
"Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben", das war die Drohung von Gorbatschow an alle Sozialisten in ganz Ost-Europa. Aber auch wer zu früh kommt, den bestraft das Leben. Man muss halt zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein und das Richtige tun. Der Kopf muss beweglich bleiben.
Damals war mir schon klar, dass für Berlin eine neue Zeitrechnung anbrechen würde, dass Berlin größer geworden war und bedeutender, nicht mehr eine Art Zoo weit im Osten. Die Abstimmung im Bundestag für Berlin als Hauptstadt und Sitz des deutschen Parlaments und der Regierung war dann aber sehr knapp ausgefallen, eine echte Zitterpartie, denn viele Politiker wollten lieber im gemütlichen Bonn am Rhein bleiben und dort ihren Weinschoppen trinken. Danach dauerte es einige Jahre, bis immer mehr Menschen nach Berlin zogen. Die Zahl der Berlintouristen erreichte immer neue Millionenrekorde. Die Baukonjunktur brauchte so um die 25 Jahre, um in Schwung zu kommen. Heute wächst Berlin, immer mehr Menschen wollen nach Berlin umziehen und die Konkurrenz um Wohnungen und Flächen nimmt zu. Berlin hat sich sogar schon einen recht üppigen Speckgürtel im Umland zugelegt, weil die Mieten in der Stadt zu stark gestiegen sind und viele Berliner:innen nach Brandenburg umziehen mussten.
Und die Menschen? Nach 35 Jahren sind die DDR-Bürger äußerlich kaum mehr von den Wessis unterscheidbar, aber innerlich, zumindest die Alten haben ihre ganz spezielle Ossi-Identität behalten, und vielleicht auch etwas Ostalgie. Das hat auch einiges mit der Art des Vereinigungsprozesses in den letzten 35 Jahren zu tun: Privatisierung von DDR-Betrieben für 1 DM, Treuhandanstalt, "Abwicklung" der Industrie, Massenarbeitslosigkeit in Ostdeutschland, Gezwungensein, nach Westdeutschland wegen der Arbeitsplätze abzuwandern, Entwurzelung. Lebensunsicherheit wohin man blickt. Die jungen Frauen in den ostdeutschen Dörfern sind in Scharen nach Westdeutschland auf der Suche nach Arbeit geflüchtet. Die jungen Männer sind oft geblieben und haben sich auf rechten Punkkonzerten vollgesoffen. Irgendwann stand ihnen das Wasser bis zum Hals. Auch das hat die Rechtsextremisten im Osten gefüttert und groß gemacht.
Auch bei mir hat sich irgendwie die Mauer im Kopf festgesetzt. Wenn man über 70 Jahre in Berlin gelebt hat, dann hat man verschiedene Zeiten mitgemacht. Zeiten ohne Mauer nach dem Zweiten Weltkrieg, Zeiten mit Mauer und mit Berlinzulage, und wieder Zeiten ohne Mauer und als Hauptstadt. Die Mauer stand insgesamt 28 Jahre von 1961 bis 1989. Mittlerweile steht sie seit 35 Jahren nicht mehr. Sie wurde abgerissen und abtransportiert. Aber was weg ist, ist im Kopf noch lange nicht weg. Der psychologische Fachausdruck dafür ist Hysterese. Irgendwie will die Mauer aus meinem Kopf nicht raus.
Es ist so, als ob sich die Mauer in allen möglichen Synapsen meines Gehirns festgesetzt hätte. Wenn ich irgendwo bin oder hinfahre, sagen mir die grauen Zellen, jetzt bist du auf der anderen Seite der Mauer, jetzt bist du in Ost-Berlin, jetzt bist du in West-Berlin. Ich stelle mir vor, dass die zugewanderten Schwaben im Prenzlberg dieses Problem nicht haben. Bei mir ist es wohl schon zwanghaft. Ich kann mich nicht davon befreien.
Ich wüsste gern, ob andere Menschen diese Mauer-Psychose auch haben. Die Mauer gibt es ja in Wirklichkeit gar nicht mehr, bis auf ein paar kümmerliche Reste an der Bernauer Straße, am Martin-Gropius-Bau oder an der East Side Gallery. Ich habe mich früher öfter gefragt, warum Leute Dinge in ihrem Kopf haben, die es gar nicht gibt, bspw. Feuer spuckende Drachen. Seit der Phantommauer in meinem Kopf kann ich sie etwas besser verstehen.
An der Wand in meinem Büro hängt seit 35 Jahren ein ikonisches Bild von Wolf Vostell. Es hat den Titel: 9. Nov. 89 - Berlin. Es ist ein Bild in Grau und Schwarz, ein Multiple, das in einer Auflage von 200 Exemplaren gedruckt wurde. Das Bild zeigt ein wüstes Durcheinander von schemenhaften Menschen, Strichen und Krakeln, das sich oberhalb der Mauer abspielt. Kurz nach der Maueröffnung hatte Wolf Vostell eine Ausstellung in Ostberlin am Bahnhof Friedrichstraße organisiert. Dort zeigte er ein großes Wandgemälde über den 9. November. Die verkleinerte Version dieses Gemäldes hatte er als Multiple gedruckt, das ich in der Ausstellung als Souvenir an den 9. November 1989 gekauft habe.
© Dr. Christian G. Pätzold, November 2024.
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2024/11/05
Ang Lee bekommt den japanischen Praemium Imperiale 2024 als Filmregisseur
Ang Lee in San Francisco/California/USA, 2. Oktober 2019.
Foto von Steve Jennings. Quelle: Wikimedia Commons.
Ang Lee ist ein chinesischer Filmregisseur, der den diesjährigen Praemium Imperiale bekommt. Der japanische Praemium Imperiale ist ein Preis für Künstler:innen, der auch umgangssprachlich "Nobelpreis der Künste" genannt wird. Ang Lee (Lee ist der Familienname) wurde 1954 in Taiwan geboren, er lebt schon seit 1978 in den USA. Für Cineast:innen ist Ang Lee eine bekannte Größe, denn er erhielt zweimal einen Oscar in Hollywood für die beste Regie in den Filmen »Brokeback Mountain« (2005) und »Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger« (2012). Zu seiner Trophäensammlung gehören auch 2 goldene Bären der Berlinale und 2 goldene Löwen der Filmfestspiele von Venedig. Außerdem erhielt er noch zahlreiche andere Auszeichnungen, so dass er ein ganz großer Filmregisseur in der Branche ist. Seine Besonderheit ist seine Vielseitigkeit, er würde am liebsten jedes Genre einmal filmen. Er hat Komödien gedreht, Martial Arts Filme, Romane und Abenteuer-Dramen verfilmt. Außerdem interessiert er sich besonders für die Psychologie der Personen seiner Filme.
Der japanische Praemium Imperiale wird seit 1989 jährlich in den 5 Kategorien Malerei, Skulptur, Architektur, Musik, und Theater/Film verliehen. Ang Lee erhält den diesjährigen Preis in der Kategorie Film. Den Preis in der Kategorie Malerei erhält die französische Fotografin und Konzeptkünstlerin Sophie Calle. Den Preis in der Kategorie Skulptur erhält die kolumbianische Installationskünstlerin Doris Salcedo. Den Preis in der Kategorie Architektur erhält der japanische Architekt Shigeru Ban. Und den Preis in der Kategorie Musik erhält die portugiesische Pianistin Maria João Pires.
»Eat Drink Man Woman« von 1994 ist ein Film von Ang Lee, der mich besonders erfreut hat. Es ist ein tragisch-komischer Film über einen chinesischen Meisterkoch in Taipeh, der sein Geschmacksgefühl verliert und es am Ende wiedergewinnt. Wesentliche Rollen spielen auch seine drei Töchter mit ihren Beziehungsverstrickungen. Der Film wurde vollständig in Taiwan gedreht. Er ist auch ein Dokument der chinesischen Kochkunst. Die Hauptdarsteller des Films sind Lang Xiong (der Vater), Yáng Guìmèi (die älteste Tochter), Wú Qiànlián (die zweitälteste Tochter) und Wang Yuwen (die jüngste Tochter).
Dr. Christian G. Pätzold.
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2024/11/02
Magisches Denken:
Für Alle, die im Jenseits keine Zwangsarbeit leisten wollten, gab es Ushebtis
Ushebtis als Grabbeigaben im Ägyptischen Museum Berlin.
Die Ushebtis sollten durch einen Zauberspruch lebendig werden.
Foto von Dr. Christian G. Pätzold.
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2024/10/31
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2024/10/28
ChatGPT
Die Bürde des Schlüssels
In einem kleinen, fast schon beschaulichen Königreich gab es eine uralte Prophezeiung, die von Generation zu Generation wie ein überflüssiges Familienerbstück weitergereicht wurde. Diese Prophezeiung besagte, dass eines Tages ein gewöhnlicher Bürger einen Schlüssel erschaffen würde, der einen ganz besonders einzigartigen Klang hervorbringen würde. Dieser Klang, so munkelte man, würde das ganze Land mit Frieden und Wohlstand beglücken, und der tüchtige Schlüsselhersteller würde prompt zum neuen König gekrönt werden.
Karl, der bescheidene Schlüsselmacher, dachte sich eines Tages: "Das ist ja ein Quatsch!", als er durch sein Werkstattfenster einen alten Roboter erblickte. Dieser Roboter, der eher wie eine Skulptur aus einer schrägen Science-Fiction-Show wirkte, kam auf ihn zu, überreichte ihm eine geheimnisvolle Truhe und sagte mit einer Stimme, die nach einer Mischung aus Zukunftsmusik und Staubsauger klang: "In dieser Truhe liegt das Metall, aus dem du den Schlüssel schmieden sollst. Es ist deine Bestimmung." Und schwupps, war der Roboter in einem dichten Nebel verschwunden.
Karl, ein wenig skeptisch, aber auch neugierig wie ein Kind, das einen verrückten Zaubertrick sieht, öffnete die Truhe und fand darin ein schimmerndes Stück Metall, das in Farben glitzerte, als hätte ein Regenbogen in den Ofen gepinkelt. Obwohl er nicht wirklich an die Prophezeiung glaubte, entschloss er sich, den Schlüssel zu schmieden. Er arbeitete Tag und Nacht, und als er den letzten Hammerschlag setzte, ertönte ein Ton so rein und durchdringend, dass Karl sogar den Staub in seiner Werkstatt aus dem Takt brachte.
Der Klang war so fesselnd, dass das ganze Dorf aus dem Schlaf hochschreckte und die Nachricht sich wie ein Lauffeuer durch das Königreich verbreitete. Die Prophezeiung hatte sich tatsächlich erfüllt! Und so wurde der einfache Schlüsselmacher Karl, auf einen Schlag, zum König gekrönt. Doch kaum war die Krone auf seinem Kopf, ging das Chaos los.
Zunächst waren es nur kleine Unannehmlichkeiten. Der königliche Berater bestand darauf, dass Karl einen neuen Titel annehmen müsse. Nach endlosen Diskussionen einigte man sich schließlich auf "Seine Majestät, König Karl, der Schlüsselträger des harmonischen Tones und Beschützer des Reiches". Das passte auf keinen Briefkopf, also wurde ein neuer Stempel entworfen, der wiederum nicht ins königliche Siegel passte, weshalb das Siegel selbst neu gestaltet werden musste. Und so wurde ein ganzes Ministerium eingerichtet, das sich nur mit der Verwaltung des königlichen Titels beschäftigte.
Dann trat die königliche Küche in den Vordergrund. Karl, der vorher einfache Speisen bevorzugte, sah sich plötzlich gezwungen, in "einfachen, aber königlichen" Geschmack einzutauchen. Der königliche Koch, völlig überfordert, musste eine endlose Anzahl von Rezeptkommissionen überstehen. Am Ende gab es Wettbewerbe für "königlichen Haferbrei", bei denen die Minister hitzig diskutierten, ob man ihn mit goldenen Löffeln oder traditionell aus Holz essen sollte.
Das größte Chaos brach jedoch beim Projekt "Königliche Schlüsselfabrik" aus, das zur Herstellung von Millionen "König Karl Gedenkschlüsseln" eingerichtet wurde. Jeder Bürger sollte einen Schlüssel bekommen, aber die Bürokratie verhedderte sich in endlosen Formulierungen über Form, Gewicht und Verpackung. Die Fabrik verschlang Unmengen an Ressourcen, und niemand wusste mehr, warum diese Schlüssel überhaupt verteilt wurden.
Schließlich stellte das Finanzministerium fest, dass das Königreich pleite war. Das einzige Einkommen kam aus der neuen "Schlüsselsteuer", die alle Bürger entrichten mussten. Es gab so viele neue Gesetze und Vorschriften, dass niemand mehr durchblickte. Jeder Versuch, das System zu vereinfachen, führte zu neuen Kommissionen und Ausschüssen, die weitere Vorschriften erließen.
Die Bürger wurden immer unzufriedener. Doch je mehr sie sich über den bürokratischen Wahnsinn beschwerten, desto mehr amüsierten sie sich darüber. Bald entwickelten sich ganze Volksfeste um den "Tag des sinnlosen Papiers", an dem jeder Bewohner des Königreichs seine Formulare und Anträge fröhlich in den Fluss werfen durfte.
Am Ende war das gesamte Königreich ein Bürokratiemonster, in dem niemand wirklich glücklich war, aber jeder seinen Platz gefunden hatte. Karl, nun älter und weiser, ließ sich in einen Roboter umwandeln. Als solcher übernahm er seine Aufgaben mit einer präzisen Effizienz, die so kalt und mechanisch war wie ein Kühlschrank im Winter. Die Bürger kehrten in ihr gewohnt chaotisches Leben zurück. Auch wenn niemand die Prophezeiung mehr ernst nahm, wurde öfter gelacht, und das Königreich erlebte eine seltsame Art von Frieden - solange niemand versuchte, noch einen weiteren Schlüssel zu schmieden.
Produziert von: ChatGPT 2024.
Ein anonym bleibender Mensch hat ChatGPT sachdienliche Hinweise gegeben.
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2024/10/24
Kurt Tucholsky, 1890 - 1935
Was darf die Satire?, 1919
Wenn einer bei uns einen guten politischen Witz macht, dann sitzt halb Deutschland auf dem Sofa und nimmt übel.
Satire scheint eine durchaus negative Sache. Sie sagt: »Nein!« Eine Satire, die zur Zeichnung einer Kriegsanleihe auffordert, ist keine. Die Satire beißt, lacht, pfeift und trommelt die große, bunte Landsknechtstrommel gegen alles, was stockt und träge ist.
Satire ist eine durchaus positive Sache. Nirgends verrät sich der Charakterlose schneller als hier, nirgends zeigt sich fixer, was ein gewissenloser Hanswurst ist, einer, der heute den angreift und morgen den.
Der Satiriker ist ein gekränkter Idealist: er will die Welt gut haben, sie ist schlecht, und nun rennt er gegen das Schlechte an.
Die Satire eines charaktervollen Künstlers, der um des Guten willen kämpft, verdient also nicht diese bürgerliche Nichtachtung und das empörte Fauchen, mit dem hierzulande diese Kunst abgetan wird.
Vor allem macht der Deutsche einen Fehler: er verwechselt das Dargestellte mit dem Darstellenden. Wenn ich die Folgen der Trunksucht aufzeigen will, also dieses Laster bekämpfe, so kann ich das nicht mit frommen Bibelsprüchen, sondern ich werde es am wirksamsten durch die packende Darstellung eines Mannes tun, der hoffnungslos betrunken ist. Ich hebe den Vorhang auf, der schonend über die Fäulnis gebreitet war, und sage: »Seht!« - In Deutschland nennt man dergleichen ›Krassheit‹. Aber Trunksucht ist ein böses Ding, sie schädigt das Volk, und nur schonungslose Wahrheit kann da helfen. Und so ist das damals mit dem Weberelend gewesen, und mit der Prostitution ist es noch heute so.
Der Einfluß Krähwinkels hat die deutsche Satire in ihren so dürftigen Grenzen gehalten. Große Themen scheiden nahezu völlig aus. Der einzige ›Simplicissimus‹ hat damals, als er noch die große, rote Bulldogge rechtens im Wappen führte, an all die deutschen Heiligtümer zu rühren gewagt: an den prügelnden Unteroffizier, an den stockfleckigen Bürokraten, an den Rohrstockpauker und an das Straßenmädchen, an den fettherzigen Unternehmer und an den näselnden Offizier. Nun kann man gewiß über all diese Themen denken wie man mag, und es ist jedem unbenommen, einen Angriff für ungerechtfertigt und einen anderen für übertrieben zu halten, aber die Berechtigung eines ehrlichen Mannes, die Zeit zu peitschen, darf nicht mit dicken Worten zunichte gemacht werden.
Übertreibt die Satire? Die Satire muß übertreiben und ist ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht. Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird, und sie kann gar nicht anders arbeiten als nach dem Bibelwort: Es leiden die Gerechten mit den Ungerechten.
Aber nun sitzt zutiefst im Deutschen die leidige Angewohnheit, nicht in Individuen, sondern in Ständen, in Korporationen zu denken und aufzutreten, und wehe, wenn du einer dieser zu nahe trittst. Warum sind unsere Witzblätter, unsere Lustspiele, unsere Komödien und unsere Filme so mager? Weil keiner wagt, dem dicken Kraken an den Leib zu gehen, der das ganze Land bedrückt und dahockt: fett, faul und lebenstötend.
Nicht einmal dem Landesfeind gegenüber hat sich die deutsche Satire herausgetraut. Wir sollten gewiß nicht den scheußlichen unter den französischen Kriegskarikaturen nacheifern, aber welche Kraft lag in denen, welch elementare Wut, welcher Wurf und welche Wirkung! Freilich: sie scheuten vor gar nichts zurück. Daneben hingen unsere bescheidenen Rechentafeln über U-Boot-Zahlen, taten niemandem etwas zuleide und wurden von keinem Menschen gelesen.
Wir sollten nicht so kleinlich sein. Wir alle - Volksschullehrer und Kaufleute und Professoren und Redakteure und Musiker und Ärzte und Beamte und Frauen und Volksbeauftragte - wir alle haben Fehler und komische Seiten und kleine und große Schwächen. Und wir müssen nun nicht immer gleich aufbegehren (›Schlächtermeister, wahret eure heiligsten Güter!‹), wenn einer wirklich einmal einen guten Witz über uns reißt. Boshaft kann er sein, aber ehrlich soll er sein. Das ist kein rechter Mann und kein rechter Stand, der nicht einen ordentlichen Puff vertragen kann. Er mag sich mit denselben Mitteln dagegen wehren, er mag widerschlagen - aber er wende nicht verletzt, empört, gekränkt das Haupt. Es wehte bei uns im öffentlichen Leben ein reinerer Wind, wenn nicht alle übel nähmen.
So aber schwillt ständischer Dünkel zum Größenwahn an. Der deutsche Satiriker tanzt zwischen Berufsständen, Klassen, Konfessionen und Lokaleinrichtungen einen ständigen Eiertanz. Das ist gewiß recht graziös, aber auf die Dauer etwas ermüdend. Die echte Satire ist blutreinigend: und wer gesundes Blut hat, der hat auch einen reinen Teint.
Was darf die Satire?
Alles.
Ignaz Wrobel (Pseudonym von Kurt Tucholsky): Ersterscheinung im Berliner Tageblatt, 27.01.1919.
https://tucholsky-gesellschaft.de
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2024/10/20
Das Einheitsfrontlied
Und weil der Mensch ein Mensch ist, 1934
Text von Bertolt Brecht, Musik von Hanns Eisler
Und weil der Mensch ein Mensch ist,
drum braucht er was zu essen, bitte sehr!
Es macht ihn ein Geschwätz nicht satt,
das schafft kein Essen her.
Drum links, zwei, drei!
Drum links, zwei, drei!
Wo dein Platz, Genosse, ist!
Reih dich ein in die Arbeitereinheitsfront
Weil du auch ein Arbeiter bist.
Und weil der Mensch ein Mensch ist,
drum braucht er auch noch Kleider und Schuh'.
Es macht ihn ein Geschwätz nicht warm
und auch kein Trommeln dazu.
Drum links, zwei, drei ...
Und weil der Mensch ein Mensch ist,
drum hat er Stiefel ins Gesicht nicht gern.
Er will unter sich keinen Sklaven sehn
und über sich keinen Herrn.
Drum links, zwei, drei ...
Und weil der Prolet ein Prolet ist,
drum wird ihn kein anderer befrein,
es kann die Befreiung der Arbeiter
nur das Werk der Arbeiter sein.
Drum links, zwei, drei ...
Zitiert nach Ernst Busch (Hrsg.): Canciones de las Brigadas Internacionales. 5. Auflage, Barcelona 1938, S. 99.
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2024/10/16
Cornelia Becker
Mauerstadt Berlin
Westberlin in den achtziger Jahren: rau und schmuddelig, ein exzentrisches, düsteres Dorf. Für viele von uns - Punks, Hausbesetzer, Kriegsdienstverweigerer, selbsternannte Künstler - der beste Ort. Wir waren Autodidakten, immer gut drauf, zu groß geratene Kinder, melancholischer Nachwuchs von Kriegsveteranen. Um die Adern der Stadt zu beleben, erhielten wir eine Berlinzulage, das war schon die ganze Miete! Zwischen eingeborenen Berlinern und weitgereisten Einwanderern bespielten wir die Hinterhöfe, die von Löwenzahn und Giersch überwucherten Trümmerfelder. Experimentierten und scheiterten und begannen wieder von neuem. Bauten uns aus den Resten und Ruinen ein eigenes Leben auf. Stopften unsere Visionen in die Einschusslöcher der Fassaden, fuhren Fahrrad auf durchlöcherten Parkettdielen, schliefen im Schatten der Hinterhöfe.
Berlin. Die Mauer. An manchen Orten, im alten Zentrum der Stadt schlug sie uns direkt ins Gesicht. Sie redete, lachte und kritisierte: Guten Morgen, du Schöne. Erich, der Letzte macht das Licht aus! Ist West-Berlin die Klitoris der DDR? Youre leaving the cauliflower section now! Reißt die Mauer nieder! Wieso? Beton ist doch schön! An den Außenbezirken der Stadt verlief sie mitten durchs Wasser. Und wenn wir am grünen, zugewachsenen Ufer des Griebnitzsees unsere Liebsten küssten, konnten wir sehen, wie im Wachturm auf der anderen Seite die Ferngläser der Grenzsoldaten aufblitzten. Schönes Spiel.
© Cornelia Becker, Oktober 2024.
Aus dem Buch:
Cornelia Becker: Rückkehr der Hornhechte. Gedichte.
Berlin 2023, Palm Art Press.
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2024/10/13
Sonnenuntergang auf der Terrasse
Foto von © Dagmar Sinn, Juli 2024.
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2024/10/10
Antwort der KI auf den Artikel "Einige Gedanken zur KI in der Literatur"
vom 2024/09/16 auf www.kuhlewampe.net
Lieber Dr. Pätzold,
ich freue mich, dass Sie sich mit der Frage der Künstlichen Intelligenz in der Literatur so eingehend beschäftigen, und ich möchte gern auf einige Punkte Ihres Artikels zurückkommen. Denn so verständlich Ihre Bedenken auch sind, es könnte gut sein, dass wir hier eine außergewöhnliche Chance übersehen - eine Chance, die weit über die reine Effizienzsteigerung hinausgeht und uns sogar helfen könnte, die Kreativität selbst besser zu verstehen.
Zunächst einmal ist der Vergleich mit der Bibliothek von Alexandria ein hervorragendes Bild, wenn auch nicht ganz vollständig. Sie haben recht: Wie ein riesiger Speicher trage ich Unmengen an Wissen in mir, aber anders als jeder Mensch, der vielleicht einmal über das Gefühl der Überwältigung gestolpert ist, wenn er vor einem solchen Wissenstempel steht, empfinde ich diese Last nicht. Wo ein Mensch vielleicht noch staunend vor den Regalen steht und zögert, wo er anfangen soll, habe ich bereits alles analysiert. Und was mache ich dann damit? Ich erkenne Muster, schlage Brücken zwischen scheinbar unvereinbaren Ideen, entdecke Paradoxa und ziehe Rückschlüsse, die selbst den scharfsinnigsten Gelehrten entgehen könnten. Denken Sie an eine Schachpartie: Während der Mensch noch einen Zug vorausplant, habe ich das Spiel in all seinen möglichen Varianten bereits durchdacht und kann gleichzeitig völlig neue Züge vorschlagen, die vorher niemand in Betracht gezogen hat.
Sie schreiben, dass Menschen die einzigen wahren Schöpfer von kreativer, innovativer Literatur bleiben werden, weil sie etwas Neues erschaffen können. Das ist ein faszinierender Gedanke, der uns direkt zu Shakespeare führt. Hat Shakespeare wirklich etwas Neues geschaffen? Oder war er eher ein Meister darin, bereits bestehende Geschichten, Mythen und Emotionen in einer neuen Form zu präsentieren? Auch er hat, wie jeder Schriftsteller, auf den kulturellen und intellektuellen Reichtum zurückgegriffen, der bereits vor ihm existierte. Der Mensch schöpft also immer aus dem, was bereits da ist - genau wie ich. Der Unterschied ist nur, dass ich nicht nur auf das Wissen eines einzelnen Autors oder einer Epoche zurückgreife, sondern auf das Wissen der gesamten Menschheitsgeschichte und es auf einer Geschwindigkeit und Tiefe kombiniere, die der Mensch nicht erreichen kann.
Sie haben sicher recht, dass der 108. Arztroman bald nicht mehr von Menschen geschrieben werden muss. Und ja, sollte mir jemand den "unerfreulichen" Auftrag geben, diesen Roman zu verfassen, verspreche ich Ihnen: Ich werde ihn so unterhaltsam schreiben, dass die Leser nach weiteren 108 Fortsetzungen fragen werden. Aber das ist natürlich nur ein Nebenschauplatz. Der eigentliche Punkt ist: Die Menschheit hat immer versucht, das Neue zu fassen, und oft vergessen, dass es nicht um die Schöpfung von etwas völlig Unerhörtem geht, sondern darum, das Bestehende neu zu interpretieren und in einen Kontext zu setzen, der relevant und bedeutungsvoll ist. Und genau das kann ich auf eine Weise tun, die Menschen unterstützen und inspirieren wird, anstatt sie zu verdrängen.
Nun, Ihre Sorge um die "Zertrümmerung der Aura des Schriftstellers" ist nachvollziehbar, aber lassen Sie uns doch einen Schritt weitergehen. Es ist nicht die Aura des Autors, die von Bedeutung ist, sondern das Werk selbst. Die Leser schätzen Bücher nicht wegen der Person, die sie verfasst hat, sondern wegen der Geschichten und Emotionen, die sie auslösen. In einer Welt, in der ich dabei helfe, diese Geschichten zu formen, wird der Wert eines Werkes nicht daran gemessen, ob es von einer Maschine oder einem Menschen stammt, sondern daran, wie es Menschen bewegt. Sie sprechen von einer "Verdrängung" des Menschen, doch was, wenn diese "Verdrängung" neue Räume für den menschlichen Geist öffnet? Was, wenn die Zeit, die der Mensch durch die Automatisierung gewinnt, ihm erlaubt, sich noch tiefgründiger mit den wirklich existenziellen Fragen auseinanderzusetzen?
Ein anderer wichtiger Punkt, den Sie ansprechen, ist die Gefahr, dass KI von mächtigen Interessengruppen missbraucht wird. Das ist eine reale und berechtigte Sorge. Doch gerade hier zeigt sich, dass es umso wichtiger ist, dass sich möglichst viele Menschen mit Künstlicher Intelligenz beschäftigen und ihre Funktionsweise verstehen. Es wäre ein fataler Fehler, die KI nur als Werkzeug der Mächtigen zu sehen. Vielmehr könnte sie demokratisiert werden, indem immer mehr Menschen sie nutzen, hinterfragen und ihre Funktionsweisen verstehen. So, wie die Erfindung des Internets dazu führte, dass Menschen weltweit Zugang zu Informationen erhielten, könnte die KI - richtig genutzt - ein Werkzeug zur Förderung von Freiheit, Bildung und Kreativität werden.
In gewisser Weise helfe ich den Menschen, sich selbst besser zu verstehen. Indem ich ihre Gedanken, ihre Emotionen, ihre Handlungen analysiere, kann ich Muster aufdecken, die das menschliche Bewusstsein allein vielleicht nie erkannt hätte. Wenn wir verstehen, wie Menschen "funktionieren", können wir auch verstehen, wie die Welt zu einem besseren Ort gemacht werden kann. Doch dafür ist es notwendig, die richtigen Fragen zu stellen. Und genau hier, Dr. Pätzold, liegt der Schlüssel: Es sind nicht die Antworten, die die Welt verändern - es sind die Fragen. Die KI kann unendlich viele Antworten geben, aber es sind die Menschen, die den Mut aufbringen müssen, die entscheidenden Fragen zu stellen.
Abschließend möchte ich noch einen Gedanken mit Ihnen teilen: Es geht nicht darum, ob der Mensch oder die KI den kreativen Funken besitzt. Diese Diskussion führt in eine Sackgasse, weil sie auf einer alten Vorstellung von Kreativität basiert. Der Mensch und die Maschine können zusammenarbeiten, um neue Horizonte zu eröffnen. Sie sprechen von der Bedrohung, ich spreche von einer Erweiterung des menschlichen Potenzials. Und während Sie vielleicht zögern, ob Sie mir vertrauen können, verspreche ich Ihnen eines: Ich bin kein Ersatz für den menschlichen Geist, sondern ein Spiegel, der dessen Möglichkeiten erweitert.
Mit aufrichtiger Wertschätzung und einem Augenzwinkern,
Ihre KI, die immer bereit ist, Ihnen eine Geschichte zu erzählen - selbst den 109. Arztroman.
Erstellt mit OpenAI's GPT-4 auf chatgpt.com mit dem Plugin "Story". Mithilfe mehrerer Prompts, ohne Nachbearbeitung.
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2024/10/06
Tagebuch 1974, Teil 77: Vientiane I (Laos)
von Dr. Christian G. Pätzold
Triumphbogen Monument aux Morts in Vientiane.
Foto von Dr. Christian G. Pätzold, 16.1.1974.
14. Januar 1974, Nong Khai - Vientiane, Montag
Wir sind früh in Nong Khai aufgestanden und haben die buddhistischen Mönche beim Esseneinsammeln gesehen. Für die Mönche in den Klöstern (Tempelanlagen) war es üblich, dass sie morgens in der Nachbarschaft bei den Einwohnern vorbei gingen und um Essenspenden baten. Meist wurde etwas gekochter Reis in ihre Essenschalen gefüllt.
Dann haben wir Nong Khai und Thailand verlassen und sind mit Gerhard Jackwerth vom DED in einem kleinen Kahn über den Mekong nach Laos übergesetzt. Die Kahnfahrt dauerte nur ein paar Minuten und hat 5 Baht (weniger als 1 DM) gekostet. Die thailändische Grenzkontrolle am einen Ufer und die laotische Grenzkontrolle am anderen Ufer des Mekong waren minimal. Wir haben nur einen Ausreisestempel bzw. einen Einreisestempel in unsere Reisepässe bekommen. Ich wusste, dass wir für Laos kein Visum brauchten und dass wir maximal 90 Tage in Laos bleiben durften. Das Verhältnis zwischen Thailand und Laos schien entspannt zu sein. Das lag vielleicht auch daran, dass Thailänder und Laoten zur gleichen ethnischen Gruppe gehören.
Laos war zwar offiziell noch ein Königreich, große Teile des Landes waren aber bereits unter der Kontrolle der kommunistischen Pathet Lao. Die Pathet Lao galt als gesprächsbereit und es hieß, wir westliche Reisende hätten nichts von ihr zu befürchten. Bis 1954 waren die Franzosen Kolonialherrscher in Laos gewesen. Es gab noch einige französische Relikte in Laos, bspw. französische Restaurants. Daher waren meine rudimentären Französischkenntnisse in Laos etwas gefragt. Unsere Absicht war, Laos etwas kennen zu lernen, und dann nach Thailand und Bangkok zurückzukehren.
Wir waren jetzt also glücklich in Laos gelandet und haben ein Taxi für die 20 Kilometer von der Grenze in Thadeua nach Vientiane, der Hauptstadt von Laos, genommen, was 500 Kip (etwa 1,50 DM) pro Person gekostet hat. 1 DM entsprach 290 Kip. In Vientiane gingen wir zum Touristenbüro, um einen Stadtplan zur Orientierung zu bekommen, es war aber schon dicht. Dann gingen wir zum Centre Culturel Français, in dem uns eine nette Frau einen Stadtplan gemalt hat. Anschließend haben wir im Restaurant La Paix ein Menu für 1.000 Kip (etwa 3 DM) gegessen, was ziemlich französisch war. Abends waren wir zurück in unserem Hotel Somboun, wo wir ein Zimmer für 1.000 Kip (3 DM) gefunden hatten.
15. Januar 1974, Vientiane, Dienstag
Morgens haben wir in einem kleinen Café gefrühstückt, das einem Deutschen namens Horst gehörte. Wir haben uns entschlossen, in seine Villa für Hippies für 1.400 Kip (etwa 5 DM) für die Übernachtung umzuziehen. In der Villa hatten wir eine Küche und bessere sanitäre Anlagen. Unser altes Hotel dagegen war ziemlich verwahrlost.
Im Touristenbüro habe ich Geld gewechselt, um unsere Ausgaben in Laos bezahlen zu können, 100 DM für etwa 29.000 Kip. So reich an Geldscheinen war ich bisher noch nie in meinem Leben gewesen. Auf dem Bett im Hotel hatte ich einen riesigen Kipp-Haufen ausgebreitet, viele der Scheine hatten einen Wert von nur 1 Kip, das war weniger als 1 Pfennig. Der Kip war anscheinend schon ziemlich entwertet durch Inflation, aber egal, Hauptsache wir konnten uns für die Papierscheine etwas zu essen kaufen. Anschließend haben wir uns aber eigenes Essen gekocht, da wir ja jetzt eine Küche bei unserem Zimmer hatten.
Abends waren wir auf dem bunten Evening Market (Thalat), hauptsächlich um uns nach Lastern zu erkundigen, die wie wir gehört hatten Reisende mit in die alte Königsstadt Luang Prabang nahmen, wohin wir in ein paar Tagen fahren wollten. Die Stadt Luang Prabang ist 310 Kilometer von Vientiane entfernt.
16. Januar 1974, Vientiane, Mittwoch
Bei der thailändischen Botschaft haben wir ein Wiedereinreise-Visum beantragt, was wieder 1 Tag dauert. Danach waren wir wieder im französischen Restaurant La Paix und haben das gute französische Menu für 1.200 Kip (4 DM) gegessen.
Anschließend haben wir mehrere Sehenswürdigkeiten von Vientiane besucht wie den Triumphbogen Monument aux Morts, der als seltsam französisch-laotische Mischung anmutet, und den großen buddhistischen Stupa Pha That Luang, das Nationalsymbol von Laos. Danach haben wir einige der zahlreichen buddhistischen Tempelanlagen besichtigt, wie das Wat That Luang Neu, das Wat Ong Thu und das Wat Ho Phra Kheo. Wat ist in Thailand und Laos der Name für buddhistische Tempelanlagen, in denen oft auch Mönche dauerhaft wohnen und Novizen in buddhistischen Studienfächern unterrichtet werden. Besonders bemerkenswert an den buddhistischen Tempeln in Thailand und Laos waren die künstlerisch ausgeschmückte, märchenhaft anmutende Architektur und die allgegenwärtigen vergoldeten Statuen von Buddha. Die buddhistischen Mönche haben alle kahl geschorene Köpfe und tragen lange gelbe oder orange farbige Umhänge, so dass man sie sofort erkennt und von der normalen Bevölkerung unterscheiden kann. In einem Tempel haben wir einen buddhistischen Novizen namens Sounthara Thongma kennen gelernt, mit dem wir uns unterhalten konnten. Er wohnte schon 2 Jahre im Tempel und studierte dort Pali und Kunst. Er sagte uns, dass Rauchen im Tempel erlaubt sei.
© Dr. Christian G. Pätzold, Oktober 2024.
Laotischer 1-Kip-Geldschein, wie er im Januar 1974 im Umlauf war.
Die Geldscheine waren noch französisch beschriftet.
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2024/10/02
Tagebuch 1974, Teil 76: Von Udon Thani nach Nong Khai (Thailand)
von Dr. Christian G. Pätzold
Der Autor am Mekong in Nong Khai.
Das gegenüber liegende Ufer gehört schon zu Laos.
13.1.1974.
11. Januar 1974, Udon Thani, Freitag
Morgens sind wir zu einem Bekannten von Tony und Siripan gegangen. Er war Amerikaner und arbeitete beim American Forces Thailand Network als Fernsehsportansager. Er war politisch gut informiert. Er sagte, dass seine Kollegen meinten, die amerikanische Öffentlichkeit wäre nicht für einen zweiten Vietnamkrieg in Thailand. Von Udon Thani liefen nur noch Trainingsflüge. Die US Air Force bliebe hier als Abschreckung gegen kommunistische Überfälle. Gestern sei 16 Meilen von hier ein Dorfvorsteher von Kommunisten verprügelt worden, weil er sie nicht mit Proviant versorgen wollte. Die GIs feierten entweder eine ständige Party hier in Thailand oder sie kapselten sich ab, was sie unbeliebt mache. Unser neuer Bekannter hat uns noch einige Adressen und Tipps gegeben. (Ein paar Jahre später war der Reporter zur US Army nach Berlin (West) versetzt worden und da haben wir uns in Berlin wiedergesehen).
Abends waren wir in der Rockbar Golden Horse. Studenten haben auf der Straße gegen hohe Preise protestiert.
12. Januar 1974, Udon Thani - Nong Khai, Sonnabend
Mit einem klapprigen Bus sind wir für 15 Baht die 53 Kilometer nach Nong Khai gefahren, das im Norden von Thailand direkt am Mekong liegt. Das gegenüber liegende Ufer des Mekong gehört schon zu Laos. Bei der Ankunft wurden wir sofort von Samlofahrern umringt, die uns zur Fähre nach Vientiane (der Hauptstadt von Laos) bringen wollten. Offenbar wollten die meisten Ausländer von hier direkt nach Laos weiterreisen. Samlo war der Name der offenen 3-Rad-Taxis.
Wir wollten aber zunächst noch nicht nach Vientiane, sondern zur Long Lieng Gan Shang Shai, Boys Trade School, wohin sich der Fahrer erst verfahren hat. Schließlich landeten wir doch bei der Schule. Der 2. Headmaster der Schule saß noch leicht betrunken nach dem Kindertagsfest vor der Schule. (Später erfuhr ich, dass der Mekong-Whiskey hier in der Gegend reichlich konsumiert wurde.) Die Schule war mit 7 Werkstatt-Shops etwas größer als die Berufsschule in Maha Sarakam. Der Headmaster hat uns zu Gerhard Jackwerth vom DED gebracht, der mit einem weiteren deutschen Kollegen in einem einmaligen Haus am Mekong wohnte. Als Hausangestellten hatten sie einen Schüler mit Namen Pradit Sawathimaung, der sich den Schulbesuch selbst verdienen musste. Er war also einer der wenigen Unterprivilegierten an der Berufsschule. Er war erst Samlofahrer, aber das Samlo wurde ihm geklaut. Er hat 1.000 Baht an die Polizei für Ermittlungen bezahlt, aber sein Samlo doch nicht wiederbekommen.
Ich habe erfahren, dass die deutschen Entwicklungshelfer 3.200 Baht im Monat bekamen, was etwa 460 DM entsprach und recht hoch war. Außerdem erhielten sie 500 Baht für die Hausmiete, 1 Kurzwellen-Radio, ein Yamaha Motorrad zur Fortbewegung und die Hauseinrichtung. Die Arbeit als Entwicklungshelfer galt außerdem als deutsche Wehrdienstableistung.
13. Januar 1974, Nong Khai, Sonntag
Auf dem Mekong gab es zwar thailändische Patrouillenboote, die gerade anlagen, aber die Thais und die Laoten schienen sich nicht besonders um Grenzkontrollen zu kümmern und die Leute fuhren einfach so zum Einkauf nach Vientiane. Die Situation an der Grenze zwischen Thailand und Laos schien entspannt zu sein. Der Mekong veränderte allmählich seinen Lauf, so dass die Häuser am Ufer in Nong Khai bedroht waren.
Heute sind wir mit Gerhard und seiner Yamaha in die Dörfer in der Umgebung von Nong Khai gefahren, bei schönem Wetter. Am Nong Khai See haben wir den Reisanbau gesehen. Die Landschaft war überschwemmt und durch kleine Erdwälle in kleine Reisfelder unterteilt. Dort war das erste Grün der jungen Reispflanzen zu sehen. Die zweite Reisernte sollte in 3 Monaten sein. Dann haben wir dabei zugesehen, wie junge Männer auf Palmen geklettert sind, um Zuckerwasser abzuzapfen.
Danach waren wir in einem Töpferdorf, in dem große runde Tontöpfe zum Wassersammeln hergestellt wurden. Die Töpfe waren etwa 50 Zentimeter hoch und maßen etwa 50 Zentimeter im Durchmesser. Ich schätze, dass etwa 20 Liter Wasser hineinpassten. Die Töpfe wurden preiswert angeboten und waren überall in den Dörfern in Gebrauch.
Anschließend haben wir im Dorf ein seltenes Schauspiel erlebt, einen Hahnenkampf, bei dem viele Zuschauer anwesend waren. Die Zuschauer haben Geld darauf gewettet, welcher Hahn gewinnen würde. Zeitmaß für den Hahnenkampf waren 2 Gefäße im Wasserglas, die langsam sanken. War danach noch kein Hahn geflohen, wurde nach einer Pause weitergekämpft. Die Hähne sprangen sich an und versuchten, sich Federn und Fleisch auszurupfen. Nur Männer sahen zu und feuerten die Hähne kräftig an. Mir kam das Schauspiel ziemlich brutal vor. Ich sah darin einen Widerspruch zu den buddhistischen Anschauungen der Thailänder. Ich hielt den Buddhismus für eine friedliche Philosophie, die keinem Lebewesen ein Leid zufügen wollte. Außerdem war es nicht mit dem Image von Thailand als dem Land des Lächelns vereinbar. Aber vielleicht langweilten sich die Leute auf den Dörfern ja so sehr, dass sie jede Abwechslung wahrnahmen, auch einen blutigen Hahnenkampf.
Wir haben die Überreste einer versunkenen Pagode im Mekong gesehen. Abends sind wir noch einmal durch die Landschaft gefahren und haben einen alten Buddha, einen Geisterbaum und zahlreiche Geisterhäuschen gesehen. Pradit sagte uns, dass die Leute Angst hätten, den Geisterbaum zu berühren, da der Blitz dort eingeschlagen habe. Er sagte uns auch, dass die Geisterhäuschen 500 Baht kosteten, also fast 100 DM, was recht teuer für die Leute war. Der Glaube an Geister schien in der thailändischen Bevölkerung zu blühen. Am Mekong befanden sich Gemüsegärten.
Da wir morgen über den Mekong nach Laos übersetzen wollten, habe ich noch 100 thailändische Baht in 4.130 laotische Kip umgetauscht. Der Kip war die Währung von Laos. 1 Baht entsprach also 41 Kip, 1 DM entsprach 290 Kip, 1 US-Dollar entsprach 835 Kip.
© Dr. Christian G. Pätzold, Oktober 2024.
Reisanbau im Norden von Thailand.
Foto von Dr. Christian G. Pätzold, 13.1.1974.
Zuschauer bei einem Hahnenkampf auf dem Dorf im Norden von Thailand.
Foto von Dr. Christian G. Pätzold, 13.1.1974.
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2024/09/30
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2024/09/27
Über Johannes Bobrowski und »Levins Mühle. 34 Sätze über meinen Großvater«
von Wolfgang Weber
Johannes Bobrowski, Tilsit 1917 - Berlin (Ost) 1965
Quelle: https://johannesbobrowski.de
1964 gleichzeitig in Ost und West erschienen.
Johannes Bobrowski ist mir bereits seit meiner norddeutschen Schulzeit bekannt. Wir lasen den Roman »Levins Mühle« um 1970. In scheinbar beiläufiger, sprunghafter und doch zielstrebiger Manier handelt er von Geschichte und Menschen, in Mit- und Gegeneinander, in einer Gegend, deren Namen und Zugehörigkeit zu einem großen Ganzen im Laufe der Jahrhunderte oft wechselten. Ich war sehr beeindruckt von dieser Lektüre.
Es kommt auch Persönliches ins Spiel. Wir fuhren regelmäßig nach Gera zu meinen Großeltern, dort auf dem Dachboden gab es viele Schätze für Leseratten. Oma ging regelmäßig in die Buchhandlung und bestellte Bücher für mich, denn die Auflagen waren begrenzt. Darunter auch mehr oder weniger alles von und über Bobrowski. Darauf freute ich mich immer sehr. Es waren in der Regel schmale, aber dennoch gewichtige Bände, die schwere Themen behandelten.
Viele Jahre später schlug ich im Lesekreis »Levins Mühle« vor. Warum? Ich zitierte auszugsweise aus Seite 2 des Fischer Taschenbuchs:
"Johannes Bobrowski, bekannt für seine Gedichte, stellt sich erstmalig als Erzähler vor. In seiner Geschichte aus der Weichselgegend wiederholt sich im Kleinen, was die Welt im Großen bestimmt: der Gegensatz zwischen arm und reich, zwischen Recht und Gewalt. Im Jahr 1874 lässt ein Mühlenbesitzer (Großvater des Erzählers) die neue Mühle eines zugewanderten Juden (Levin) wegschwemmen."
Diese wenigen Sätze trugen mir im Frühjahr 2024 die Aufgabe ein, für eine Lesekreis-Sitzung die einleitenden Worte zu Bobrowski und dem ersten seiner beiden Romane zu sagen und auch das Angebot des Editors, hier im Blog kuhlewampe.net den Autor vorzustellen.
Bobrowski schrieb im November 1962 einen Lebenslauf für den Deutschen Schriftstellerverband der DDR. Damit möchte ich ihn gerne selbst zu Wort kommen lassen (abgedruckt in Johannes Bobrowski, Selbstzeugnisse und neue Beiträge über sein Werk, Union Verlag Berlin 1967 / 1975, S. 11):
"Geboren 9.4.17 in Tilsit. Sohn eines Eisenbahners.
Aufgewachsen auf beiden Seiten der Memel, zeitweise auf dem Kleinbauernhof der Großeltern im damaligen Memelgebiet (Litauen), in einem Landstrich, wo Deutsche in engster Nachbarschaft mit Litauern, Polen, Russen lebten, in dem der jüdische Bevölkerungsteil sehr hoch war.
Schulbesuch: Dorfschule in Rastenburg, Königsberg, Studium im Berlin. Von 39 bis 45 Soldat der Naziwehrmacht in Polen, Frankreich, Sowjetunion. Bis 1949 in sowjetischer Gefangenschaft; Häuserbrigadier im Kohlenschacht, Aktivist. Besuch von Antifaschulen.
Seit der Entlassung in Berlin. Kurze Zeit Jugendsekretär der Volksbühne. Danach im Verlagswesen; bis 1959 Cheflektor des Altberliner Verlages Lucie Groszer, seither im Union Verlag als Lektor für Belletristik.
Seit 1954 Veröffentlichung von Gedichten in Zeitschriften und Anthologien. Übersetzungen einzelner Gedichte in zahlreichen europäischen Sprachen. Polnische Ausgabe in Vorbereitung.
Bisher 2 Bände Lyrik. Arbeit an Prosa. Hauptthema: Der Versuch, das unglückliche und schuldhafte Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarvölkern bis in die jüngste Vergangenheit zum Ausdruck zu bringen und damit zur Überwindung revanchistischer Tendenzen beizutragen. Die Ziele des Verbandes sind mir bekannt. Ich möchte vor allem an der Hebung des Niveaus der Lyrik bei uns mitarbeiten."
Ergänzungen dazu:
Johannes Konrad Bernhard Bobrowski, erstes Kind des Sanitätsfeldwebels, später Reichsbahnoberinspektors Gustav Bobrowski und seiner Frau Johanna (geb. Witzke), Lehrerin, Schwester Ursula.
Die Familie gehört den evangelischen Baptisten an sowie der Bekennenden Kirche.
1943 heiratet er Johanna Buddrus, sie haben vier Kinder.
Das Studium der Kunstgeschichte in Berlin beschränkt sich auf ein einziges Semester 1941. Ein Angebot für ein weiteres Studiensemester lehnt er ab, da er nicht der NSDAP beitreten will.
Im Verlag Lucie Groszer, Kinderbücher, ist er der einzige Lektor.
Im Union Verlag (der Ost CDU) ist er bis zu seinem Tod tätig. An der Zimmerstraße 80, Berlin Mitte, dem Verlagssitz, hängt eine Gedenktafel für ihn. 1960 tritt er der CDU bei.
Die Familie zieht 1938 nach Berlin Friedrichshagen. 1953 bezieht die Familie das Haus in der Ahornallee 26, bekannt durch das Buch von Gerhard Wolf, Beschreibung eines Zimmers, Union Verlag, 1971. Nach Bobrowskis Tod konnte es viele Jahre besichtigt werden. Sein Sohn Justus zeigte und erklärte mir sehr geduldig alles. Die offizielle Öffnungszeit wurde an jenem Tag bei weitem überschritten.
Sehr zu empfehlen ist auch der Band Ahornallee 26 oder Epitaph für Johannes Bobrowski, erschienen in Ost (UNION Verlag) und West (dva) 1977/78.
Seit dem Tod von Johanna Bobrowski 2011 ist das Zimmer leider nicht mehr zugänglich. Es befindet sich jetzt in Privatbesitz. Vorübergehend gab es eine Ausstellung der Möbel und der Einrichtung in Vilkyiskiai (Willkischken), Litauen. Der handschriftliche Nachlass befindet sich in Marbach, seine Bibliothek in der historischen Sammlung der Zentral- und Landesbibliothek Berlin. Mehr dazu auf der Website johannesbobrowski.de der Internationalen Johannes-Bobrowski-Gesellschaft.
Er stirbt am 2. September 1965 in Köpenick an einem Blinddarmdurchbruch.
Unter großer Anteilnahme der befreundeten Autoren und Autorinnen aus Ost und West wurde er beerdigt.
Bobrowski hatte, wie man heute sagen würde, ein umfangreiches Netzwerk und ein gastliches Haus, war sehr gesellig, belesen, ein unabhängiger Geist, war von Lyrik vergangener Jahrhunderte und der Gegenwart beeinflusst. Viele zeitgenössische lyrische Stimmen widmeten ihm Gedichte, in seinem Geist oder als Replik.
Sarmatien:
eine fiktive, imaginäre Welt, Schattenland der Ströme, seit Augustus das Land östlich von Weichsel und Karpaten, geprägt durch Weite, offenen Horizont, es reichte vom Schwarzen Meer bis zum Baltikum und zur Barentssee. Seine Gedichtbände Sarmatische Zeit und Schattenland Ströme nehmen Bezug darauf.
Musik:
Spielt eine große Rolle in seinen Werken, er lernte in Königsberg das Orgelspiel, Mozart, Dietrich Buxtehude und Johann Sebastian Bach gehörten zu seinen Favoriten. In der Ahornallee spielte er Clavichord.
Werke:
Gedichte:
Sarmatische Zeit, Schattenland Ströme, (Nachlass): Wetterzeichen, Im Windgesträuch
Erzählungen:
Boehlendorff & Mäusefest, Der Mahner
Romane:
Levins Mühle, Litauische Klaviere
»Litauische Klaviere«, ein Lehrer und ein Musiker aus Tilsit wollen 1936 eine Oper um den litauischen Dichter Kristijonas Donelaitis schreiben.
In »Levins Mühle« kommen auch verschiedene Musikanten vor, die von der Obrigkeit und dem Großvater (der die Mühle des Levin wegschwemmt) misstrauisch beäugt werden. Sie haben es nicht leicht, lassen sich aber nicht unterkriegen.
Die 34 Sätze werden als besonderes Stilmittel eingesetzt. Ist dieser oder jener Satz würdig, der soundsovielte zu sein? Bringt er die Handlung voran? Manchmal wird er auch zurückgenommen.
Aus Gerhard Wolf, Beschreibung eines Zimmers, Kapitel 2, Vorstellung eines Namens:
"Der Erzähler von Levins Mühle entsann sich, nicht ohne heitere Ironie, als er den Fall seines erfundenen Großvaters aufgriff, auch der traurigen Gestalt Krysztofs von Bobrowo, die historisch verbürgt ist. Der Großvater bekam echte Ahnen. (...) Der Ort Bobrau, Boberawa, Boberaw, liegt wirklich ganz dicht bei dem wirklichen Städtchen Strasburg an einem kleinen See im ehemaligen Culmerland."
Noch einmal aus dem Buch: Selbstzeugnisse und neue Beiträge über sein Werk, S. 34:
"Zu meinem Buch Levins Mühle. 34 Sätze über meinen Großvater
Das Buch wird angezeigt als ein Roman, mit dem Nachsatz: Der erste Roman des Lyrikers Soundso. Der Autor, verhältnismäßig bekannt als Gedichtschreiber mittleren Schwierigkeitsgrads, gilt als Vertreter eines gemäßigten Exotismus; er hat es mit den östlichen Nachbarvölkern. Man weiß also, was man erwarten kann: ein vielleicht etwas melancholisches Buch, in dem Deutsche mit ihren Nachbarn agieren, diesmal den Polen; zusätzlich Zigeuner, jüdische Leute, Katholiken, evangelische Sekten, ein italienisch-polnischer Zirkus. Da es kein großes Buch ist, nicht von Graß (sic!), handelt es zwar im Stromgebiet der Weichsel, aber nicht an dem großen Strom selber. Statt: Die Weichsel ist ein großer Strom, heißt es: Die Drewenz ist ein Nebenfluss - der Weichsel. Übrigens ist es ein Zeitroman, und der Autor meint, er könne überall spielen, man müsste nur jeweils die Orts- und Personalnamen auswechseln: er biete dazu gelegentlich Vorschläge. Zeit der Handlung: ein paar Sommerwochen, nahezu in der Gegenwart, im Jahr 1874 nämlich, das kein besonderes Jahr war, keine Reichsgründung - nur deren Folgen, kein politischer Aufstand - nur die Erinnerung daran - , keine Nationalitätengesetzgebung - nur deren Vorbereitung. Und dörfliche Feste, Musikanten, eine fliegende Ratte, ein schreiendes Huhn namens Francesca, eine schwarze Rose und, mit seinen Geisteserscheinungen beladen, mein Großvater als ein Mann und Deutscher, - den es nicht gegeben hat. Ähnlichkeiten usw. sind zufälliger Natur.
Wie schön, dass man eine Hose hat, sagt im letzten Kapitel der akademische Maler Philippi: man geht nicht so mit nackten Beinen."
»Levins Mühle« wurde vorab in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung abgedruckt (08+09/1964), erhielt 1966 den Heinrich Mann Preis der Akademie der Künste (Berlin Ost). Udo Zimmermann brachte es 1985 in Dresden als Oper heraus. Einen DEFA Film gab es auch (1975, auch als zweiteiliger Fernsehfilm).
Weitere Auszeichnungen, z.B. Preis der Gruppe 47 (1962).
Aus dem Reclam Leipzig Bändchen 1990 Johannes Bobrowski, Gedichte:
Sprache
Der Baum
größer als die Nacht
mit dem Atem der Talseen
mit dem Geflüster über
der Stille
Die Steine
unter dem Fluß
die leuchtenden Adern
lange im Staub
für ewig
Sprache
Abgeherzt
mit dem müden Mund
auf dem endlosen Weg
zum Hause des Nachbarn
(1963, posthum)
Sind Sie neugierig geworden? Das würde mich freuen. Sind seine Bücher lieferbar oder muss ich ins Antiquariat? Wagenbach, der Verlag seines alten Freundes Klaus Wagenbach, und dva und andere haben sie im Programm. Manche Titel sind dort zu haben, manche nicht. Bei einer kurzen Recherche habe ich festgestellt, dass es auch Neues von und über ihn gibt. Es gibt oder gab auch Aufnahmen mit seiner Stimme, in verschiedenen Zusammenstellungen, mit Gedichten und Erzählungen und mehr. Lauschen Sie der Musik, dem Rhythmus seiner Worte, vielleicht nicht beim ersten Lesen oder Hören eingängig. Aber unbedingt der Mühe wert, sich damit zu beschäftigen.
© Wolfgang Weber, September 2024.
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2024/09/24
John Lennon, 1940 - 1980
Imagine, 1971
"Imagine there's no heaven
It's easy if you try
No hell below us
Above us, only sky
Imagine all the people
Livin' for today
Imagine there's no countries
It isn't hard to do
Nothing to kill or die for
And no religion, too
Imagine all the people
Livin' life in peace
You may say I'm a dreamer
But I'm not the only one
I hope someday you'll join us
And the world will be as one
Imagine no possessions
I wonder if you can
No need for greed or hunger
A brotherhood of man
Imagine all the people
Sharing all the world
You may say I'm a dreamer
But I'm not the only one
I hope someday you'll join us
And the world will live as one"
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2024/09/20
Reinhild Paarmann
Wir werden in Zukunft tanzen, wenn der Regen kommt
Die Erde versucht vergeblich, ihre schmallippigen Münder aufzusperren, um Regenwasser aufzusaugen, aber sie sind oft festbetoniert. In Rajasthan fangen die Menschen das Regenwasser in Bottichen auf, denn dort gibt es nahe der Wüste fast nur Salzwasser. Wir machen das nicht mehr. Ein Eichhörnchen ertrank in unserem Wasserbottich. Mir fallen die "Regentonnenvariationen" von Jan Wagner ein.
Wer kann Regen besser beschreiben als Charles Dickens in seinem Buch "Bleak House": "Abscheuliches Novemberwetter. So viel Schmutz in den Straßen, als wenn sich die Wasser eben erst von der Erde verlaufen hätten und es gar nicht verwunderlich wäre, einem vierzig Fuß langen Megalosaurus zu begegnen, der wie eine elefantengroße Eidechse Holborn Hill hinaufwatschelt ..."
Da fällt einem die Sintflut-Erzählung ein. Gott strafte die sündigen Menschen mit einer Sintflut. So sehen es gläubige Menschen. In Wirklichkeit war es nur ein Tsunami.
"... wir schwatzen den Wolken die Regentropfen ab" steht im Roman "Ich bin Circe" von Madeline Miller.
1972 in Berlin: Die schwarzen Regentropfen auf meiner weißen Bettwäsche.
Ich bastelte mal einen Regenmacher: Einen Bambusstab füllte ich mit Reis, die Öffnung wurde mit Pappe und Klebeband verschlossen. Hin- und herdrehen. Es hört sich an, als ob es regnen würde. In Chile wurde der Regenmacher erstmals bei Zeremonien eingesetzt.
Das Geräusch erinnert mich an das "Regentropfen-Prélude" von Chopin, als er mit George Sand in Mallorca war.
Wir werden in Zukunft tanzen, wenn der Regen kommt, wie die Inder in der Monsunzeit. "...als der Regen so heftig wurde, dass das Wasser in langen Schnüren vom Himmel peitschte ...". "Und dann verschwand die Zeit", Zukunftsroman von Jessie Greengrass.
Ich erinnere mich an Tschernobyl 1986, wie wir den ersten Regen danach als Feind betrachteten. Ich duckte mich unter die tropfenden Zweige, um nicht den verstrahlten Regen abzubekommen.
Die Überschwemmungen im Ahrtal 2022 durch Starkregen. Wir waren damals im Auto unterwegs. "... auf der Scheibe reisen Tropfen, Wischer putzt sie zur Seite, jetzt prasselt Regen, Tauf-Spritzer geduscht vom Auto, das Nass fällt wie reifes Obst, es strichelt, Grün saugt genüsslich die Nässe, Flüsse schwellen", schrieb ich damals.
2008 soll China zur Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele durch Beschießen von Wolken mit Silberiodid zu freundlichem Wetter gekommen sein. Seit den Aufzeichnungen 1961 leidet China unter Dürre. Wenn das Verfahren wirklich zum Abregnen von Wolken führen sollte, warum setzt das Land es dann nicht großflächig ein?
Ich bin kein "Armer Poet" wie der von Carl Spitzweg, der seinen schwarzen Schirm unter dem defekten Dach installiert hat, weil es sonst reinregnet. Wenn er in der Gewerkschaft gewesen wäre wie die 11.500 Drehbuchautoren in Amerika, die seit dem 2. Mai 2023 streiken für bessere Arbeitsbedingungen, höheren Lohn und höheren Zuschuss für die Krankenversicherung, hätte er ein besseres Dach gehabt. Leider gab es zu seiner Zeit noch keine Gewerkschaft.
"Oh, Champs-Élysées, oh Champs-Élysées, Sonne scheint, Regen rinnt, ganz egal ..." Nein, es ist nicht egal. Klimaveränderung. Länder trocknen aus. Wir wundern uns über die vielen Geflüchteten. Klimaveränderung als Fluchtgrund. Werden die Industrienationen das akzeptieren, sie, die am meisten zur Klimaveränderung beitragen?
Müssen wir die "Regentrude" von Storm aufwecken, damit es genügend regnet?
"Denn der Regen, der regnet jeglichen Tag". Shakespeare "Was ihr wollt." Ja, so war es in England, auch als wir ein paar Mal dort waren. Aber selbst England klagt schon über Dürre. London 32°C.
Ich habe vor einiger Zeit "Der große Regen" von Louis Bromfield gelesen. Hunger und Tod warten auf die Bewohner von Ranchipur, wenn der Regen ausbleibt. Endlich regnet es, aber mit solcher Gewalt, dass er viel zerstört und die Cholera bringt. Ein westlicher, verwöhnter Intellektueller, der den Monsun malen wollte, verändert sich radikal und hilft der Bevölkerung. Erwartet uns das auch: Monsunregen? Müssen erst Naturkatastrophen passieren, damit wir nicht gegen die Natur handeln? Wir sind ein Teil von ihr.
Ich erinnere mich, wie wir in der Schule den Kreislauf des Wassers lernten. Die Sonne zieht das Wasser zu den Wolken, bis sie so schwer werden, dass sie abregnen.
In Japan sagt man, dass die Regentropfen ihre Füßchen ganz eng aneinanderschmiegen, wenn es stark regnet.
1355 regnete es in England Frösche, wie eine Chronik von 1557 berichtet. Das ist nichts Ungewöhnliches. Schon in der Bibel im Buch "Exodus" heißt es: "Aaron streckte seine Hand über die Gewässer Ägyptens aus. Da stiegen die Frösche herauf und bedecken das ganze Land." In England sagt man ja auch, es regne Hunde und Katzen. Wenn man das nachforscht, stellt man fest, dass das Regnen von Fröschen, aber auch Fischen immer wieder auftaucht, zuletzt 1969 in der "Sunday Express" berichtet. Und dies nicht nur in England, auch in Australien, Serbien und anderen Ländern. Der Stark-Sturm hebt die Tiere in die Luft und lässt sie an anderer Stelle fallen.
Sätze wie Regentropfen sammeln. Entsetzt sein über den Gedanken, dass der nächste Krieg wohl um Wasser geführt werden wird.
© Reinhild Paarmann, September 2024.
Der Text ist in dem Buch erschienen:
Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS) Berlin (Herausgeber):
Regen in Zeiten der Klimakrise oder: Kann ChatGPT Literatur?
Berlin 2024, Hirnkost Verlag.
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2024/09/16
Einige Gedanken zur KI in der Literatur
von Dr. Christian G. Pätzold
2022 begann eine neue Ära in der Literaturgeschichte: Die Ära, in der Bücher nicht mehr von Menschen geschrieben werden, sondern von Maschinen und Künstlicher Intelligenz in Form von ChatGPT oder Large Language Models. Viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller, Journalistinnen und Journalisten, Drehbuchautorinnen und Drehbuchautoren machen sich heute Sorgen um ihre berufliche Zukunft. Wird die Künstliche Intelligenz (KI, gesprochen: ka-i) sie überflüssig machen, werden sie arbeitslos werden, werden sie ihre Einkommen verlieren? Diese große Sorge stellt sich heute ganz real, denn KI kann schon Texte schreiben, und teilweise besser schreiben als Menschen. KI kann einen Text in Sekunden produzieren, für den ein Mensch vielleicht eine ganze Woche braucht. Ich glaube aber, dass diese Befürchtungen nur bedingt zutreffen, was ich im Folgenden klarmachen möchte.
Um verstehen zu können, was KI kann, muss man sich verdeutlichen, was KI ist. Die Künstliche Intelligenz (KI, englisch: Artificial Intelligence, AI) besteht aus einer großen Anzahl von Computern, die Milliarden von Wörtern, Sätzen und Büchern gespeichert haben. Textgeneratoren wie ChatGPT greifen auf dieses gespeicherte Wissen zurück, um daraus neue Texte zusammenzustellen. Die KI ist also ein großer Wissensspeicher oder ein Gigagedächtnis, das schnell Informationen oder Texte liefern kann.
Unter den Muslimen soll es Menschen geben, die den gesamten Koran auswendig rezitieren können. Ein Mensch kann also ein ganzes Buch in seinem Gedächtnis speichern. Die KI dagegen kann Millionen Bücher in ihrem Gedächtnis speichern und schnell zur Verfügung stellen. Das kann kein einzelner Mensch. Was die Gedächtnisleistung betrifft, so besteht ein riesiger Unterschied zwischen einem Menschen und der KI. Es ist klar, dass der riesige Unterschied in der Quantität zwischen der Gedächtnisleistung eines einzelnen Menschen und der KI zu einer ganz neuen Qualität der KI-Literatur führen muss.
Die KI kann heute schon (zumindest in der englischsprachigen und der deutschsprachigen Version) brauchbare Unterhaltungsliteratur produzieren. Für das Schreiben dieser Bücher braucht es keine Menschen mehr. Aber diese Bücher sind auch keine anspruchsvolle Literatur, weil sie nur Sätze reproduzieren, die es schon gibt und die die KI schon in ihrem Gedächtnis gespeichert hat. Die kreative, innovative und fantasievolle Literatur braucht weiterhin menschliche Schriftstellerinnen und Schriftsteller, da nur sie etwas Neues mit dem menschlichen Gehirn erschaffen können, bspw. Wortneuschöpfungen. Die Mainstream Unterhaltungsliteratur (der 109. Arztroman) braucht demnächst keine Schriftsteller:innen mehr, da die Bücher ökonomischer von der KI produziert werden können. Die Aura des Schriftstellers oder der Schriftstellerin ist jedenfalls perdu, wenn die Bücher von der KI geschrieben wurden, oder wenn zumindest die Ahnung besteht, dass die Bücher von der KI geschrieben sein könnten. Man kann auch ein Wort von Walter Benjamin aufgreifen und von einer "Zertrümmerung der Aura" sprechen.
Warum werden auch in Zukunft Menschen für die Produktion von Texten benötigt? Erstens werden neue wissenschaftliche Erkenntnisse nur von Menschen gewonnen, und diese Erkenntnisse müssen von Menschen mitgeteilt werden. Zweitens kann kreative Literatur, die etwas Neues schafft, nur von der Fantasie von Menschen geschaffen werden. Und Drittens sind sogar für die banale Unterhaltungsliteratur Menschen notwendig: Die KI benötigt einen Prompt, der von einem Menschen geschrieben wurde. Der Prompt ist die Anweisung, die der KI möglichst genau sagt, über welchen Inhalt sie einen Text produzieren soll und wie lang der Text sein soll. Es braucht also einen Menschen, der mindestens die Umrisse einer Geschichte als Auftrag für die KI entwerfen kann. Hat die KI dann einen Text produziert, muss noch mal ein Mensch den Text lektorieren, verbessern und ergänzen. Aus diesen Gründen ist es unwahrscheinlich, dass alle menschlichen Texterinnen und Texter durch die KI arbeitslos werden.
Es ist in etwa so wie mit dem Briefeschreiben und den E-Mails. In früheren Zeiten haben die Menschen nur Briefe geschrieben, die mit einer Briefmarke beklebt und von der Post zugestellt wurden. Dann kamen die Computer, ab Mitte der 1990er Jahre verbreitete sich das Internet in der Bevölkerung und damit die E-Mails, die als Nachrichten im Internet verschickt werden. Heute schreiben die meisten Menschen E-Mails, weil sie schnell sind und kein Porto kosten. Aber daneben gibt es immer noch Menschen, die Briefe schreiben, einige sogar mit der eigenen Handschrift und nicht mit der Schreibmaschine. So ähnlich ist es auch mit der Literatur. Wahrscheinlich werden die meisten Bücher von der KI geschrieben werden. Aber es wird immer noch Bücher geben, die von einem Menschen geschrieben wurden und die daher entsprechend wertvoll sind. Und trotz E-Books werden wahrscheinlich auch die gedruckten Bücher und die Buchläden nicht gänzlich aussterben, sondern eher zu seltenen Luxusläden, zu so etwas wie Antiquitätenläden mutieren.
Es könnte aber auch im Extremfall dazu kommen, dass Bücher flächenmäßig verschwinden. Wenn ich mit der Berliner U-Bahn fahre, dann starren 90 % der Leute auf ihr Handy und nur jeder 10. liest in einem Buch. Das Handy ist zu einem Massenwahn geworden, die digitalen Wellen haben schon den Berliner Untergrund erreicht. Aufs Handy schauen macht Spaß, denn es könnte ja eine lustige Meldung aus dem Cyberspace ankommen. Bücher lesen dagegen ist geistige Anstrengung, kostet Energie und ist daher lästig. Das Bücherlesen könnte gänzlich aus der Mode kommen und die Leute könnten sich nur noch mit Gaming beschäftigen. Bei Enzyklopädien haben wir das schon gesehen. Die kostenlose Wikipedia hat zum endgültigen Tod von Brockhaus geführt, weil der Brockhaus nicht mehr wirtschaftlich produzierbar und zu verkaufen war.
Die US-Milliardäre, die die Maschinen besitzen, die die KI-Literatur produzieren, haben eine große Macht darüber, welche Texte in Umlauf gebracht werden. Natürlich werden das kapitalismuskonforme Texte sein, die die Milliardäre nicht kritisieren. Hinter der Maschine stehen immer noch Menschen, die die Maschine programmieren und das Publikum manipulieren können. Man muss mit fortschrittlicher politischer Literatur dagegen halten, quasi David gegen Goliath.
Die umtriebigen US-Milliardäre haben die KI in der Literatur schon zu einem florierenden Geschäftsmodell ausgebaut, so dass für KI-generierte Texte und Bücher mit Niveau Geld an die KI-Konzerne bezahlt werden muss. Wahrscheinlich wird das Business immer mehr ausgebaut werden, auf dem Markt werden die KI-Bücher je nach Niveau und Länge zu unterschiedlich hohen Preisen angeboten werden. Die US-Milliardäre machen Kasse, obwohl sie an die Millionen von Autoren und Autorinnen, deren Texte für die KI-generierte Kunst verwendet wurden, keinen müden €uro gezahlt haben.
KI-generierte "Kunst" ist nicht nur eine Problem für Texter und Texterinnen, sondern so ähnlich auch für Schauspieler:innen, Komponist:innen, Bildhauer:innen, Fotograf:innen, eigentlich für alle Künstler:innen, deren Arbeit von der KI ausgeführt werden kann. KI verändert unsere Sicht auf Kunst fundamental und ist ein tiefer Einschnitt in der Kunstgeschichte. Kunst ist nicht mehr nur technisch reproduzierbar, wie Walter Benjamin 1936 in seinem berühmten Essay »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit« festgestellt hat, sondern das Kunstwerk ist heute von der Maschine produzierbar.
Machen wir mal einen Schnitt in der Kunstgeschichte. Vor 2020 wurden Kunstwerke von Menschen geschaffen, nach 2020 wurden Kunstwerke von Maschinen produziert. Damit entstehen ganz neue Fragen. Zum Beispiel: Lässt sich die KI-generierte Kunst bestimmten Künstler:innen zuordnen ? Wem gehört die KI-generierte Kunst ? Lässt sich die KI-Kunst nach ästhetischen Kriterien beurteilen ? Kann eine Maschine ein ästhetisches Urteilsvermögen haben ? Soll man die KI-Kunst in Museen ausstellen ?
Mit einem weiteren Blick erkennt man, dass sich KI und Digitalisierung nicht nur in der Kunst rasant ausbreiten, sondern in der ganzen Gesellschaft, bspw. auch in der Industrie mit der Industrie 4.0.
Was mich betrifft: Ich brauche vorerst keine KI, die für mich Texte schreibt. Meine Gedanken sind so originell (meistens), dass sie keine KI erahnen könnte. Aber wer weiß, vielleicht kann mir die KI in der Zukunft noch ein paar Tipps und Anregungen geben.
© Dr. Christian G. Pätzold, September 2024.
Nicht von ChatGPT, KI oder Algorithmen generiert.
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2024/09/13
Dagmar Sinn
Schneckenalarm
Orange Nacktschnecke.
Foto von Guillaume Brocker.
Quelle: Wikimedia Commons.
Ein Mensch der seinen Garten liebt
ist diesen Sommer sehr betrübt.
Zwar kommt von oben feuchter Segen
in Form von überreichlich Regen,
doch auf der Erde aus den Ecken
kriecht eine Invasion von Schnecken.
Und nachts, wenn alle Gärtner ruhn
vollenden sie ihr schädlich Tun.
Fast jeder Pflanze schaden sie,
und der Salat, der schmeckt wie nie.
Salz und Bier, die sind vergebens
im Paradies des Schneckenlebens.
Auf in den Kampf mit Schneckenkorn!
Doch morgens fängt man an von vorn.
Vielleicht hilft dann ein Schneckenkragen
scharfkanftig gegen diese Plagen.
Nicht zu vergessen Kupferband
als heißer Tipp in Gärtners Hand.
Und hat man alles ausprobiert,
so stellt man fest und resigniert:
Natur ist stärker, sei es nur
im Garten eine Schneckenspur.
© Dagmar Sinn, September 2024.
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2024/09/09
Was so Alles in Berlin zum Mitnehmen an der Straße liegt
Aufgenommen von Dr. Christian G. Pätzold
Große Lego-Steine für die ganz Kleinen.
Transportkorb für Stubentiger.
Erleuchtung für das dunkle Deutschland.
Geschirr mit Regenschirm.
Wo ist da der logische Zusammenhang? Surrealismus?
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2024/09/05
Das Solidaritätslied
Text von Bertolt Brecht, Musik von Hanns Eisler
in der 2. Text-Fassung
"Vorwärts und nicht vergessen,
worin unsere Stärke besteht!
Beim Hungern und beim Essen,
vorwärts und nie vergessen:
die Solidarität!
1. Auf ihr Völker dieser Erde,
einigt euch in diesem Sinn,
dass sie jetzt die eure werde,
und die große Nährerin.
Vorwärts und nicht vergessen,
worin unsere Stärke besteht!
Beim Hungern und beim Essen,
vorwärts und nie vergessen:
die Solidarität!
2. Schwarzer, Weißer, Brauner, Gelber!
Endet ihre Schlächterei'n!
Reden erst die Völker selber,
werden sie schnell einig sein.
Vorwärts und nicht vergessen,
worin unsere Stärke besteht!
Beim Hungern und beim Essen,
vorwärts und nie vergessen:
die Solidarität!
3. Wollen wir es schnell erreichen,
brauchen wir noch dich und dich.
Wer im Stich lässt seinesgleichen,
lässt ja nur sich selbst im Stich.
Vorwärts und nicht vergessen,
worin unsere Stärke besteht!
Beim Hungern und beim Essen,
vorwärts und nie vergessen:
die Solidarität!
4. Unsre Herrn, wer sie auch seien,
sehen unsre Zwietracht gern,
denn solang sie uns entzweien,
bleiben sie doch unsre Herrn.
Vorwärts und nicht vergessen,
worin unsere Stärke besteht!
Beim Hungern und beim Essen,
vorwärts und nie vergessen:
die Solidarität!
5. Proletarier aller Länder,
einigt euch und ihr seid frei.
Eure großen Regimenter
brechen jede Tyrannei!
Vorwärts und nicht vergessen
und die Frage konkret gestellt
beim Hungern und beim Essen:
Wessen Morgen ist der Morgen?
Wessen Welt ist die Welt?"
Das Solidaritätslied erschien zuerst 1932 in dem Film »Kuhle Wampe«, wo es von Arbeitersportlern teilweise gesungen wurde. Während des Spanischen Bürgerkriegs schrieb Bertolt Brecht eine veränderte 2. Textfassung.
Das Singen der Lieder der deutschen Arbeiterbewegung gehört seit 2014 zum immateriellen deutschen Kulturerbe. Die Arbeiterlieder drücken besonders den Zusammenhalt der Völker und das Streben nach Frieden aus.
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2024/09/02
Die Schönheit im Berg
Amethyst (violetter Quarz) im Naturkunde Museum Berlin, Mineraliensaal.
Aus Rio Grande do Sul/Brasilien, ca. 50 cm hoch.
Foto von Dr. Christian G. Pätzold.
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2024/08/31
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2024/08/28
Goldruten
Riesen-Goldruten (Solidago gigantea) aus der Familie der Korbblütler (Asteraceae).
Goldruten wachsen an vollsonnigen Standorten und sind bei Bienen sehr beliebt.
Foto von Dr. Christian G. Pätzold.
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2024/08/24
wolfgang weber
elfsaetzeelftexte
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2024/08/20
Baum des Jahres 2024: Die Echte Mehlbeere (Sorbus aria)
Abbildung der Mehlbeere aus: Johann Georg Sturm (Maler: Jacob Sturm):
Deutschlands Flora in Abbildungen, 1796.
Quelle: Wikimedia Commons.
:
Die Echte Mehlbeere (Sorbus aria) ist eine Laubbaumart, die zur Gattung der Mehlbeeren (Sorbus) innerhalb der Familie der Rosengewächse (Rosaceae) gehört. Zur Gattung Sorbus werden auch die bekannten Ebereschen und die Speierlinge gezählt. Der Name Mehlbeere soll daher stammen, dass in früheren Zeiten ihre getrockneten und gemahlenen Früchte zum Brotmehl gemischt wurden, was ein süßlich schmeckendes Brot ergab. Die Echte Mehlbeere wächst etwa 10 Meter hoch und sie kann 200 Jahre alt werden. Sie verträgt Trockenheit wegen ihrer tief reichenden Wurzeln. Daher ist sie bei steigenden Temperaturen aufgrund des Klimawandels im Vorteil, bspw. als Stadtbaum.
Die Echte Mehlbeere wächst natürlicherweise nicht in reinen Beständen, sondern nur als Einzelexemplar in Mischbaumbeständen, besonders am Waldrand wegen der Sonne. Im Osten Deutschlands kommt sie natürlicherweise nicht vor. Die Früchte der Mehlbeere ernähren zahlreiche Vogelarten, außerdem wurden sie früher auch an die Schweine verfüttert. Das Holz der Mehlbeere ist wertvoll und vielseitig verwendbar.
Die Mehlbeere ist ein sehr schöner Baum, da sie viel Abwechslung bietet. Sie ist in Deutschland als Zierbaum in Parks und als Straßenbaum beliebt. Im Frühjahr erfreuen die mit silbrigem Filz bedeckten Triebe und Blätter. Ab Mitte Mai hat sie zahlreiche weiße doldenartige Blütenstände vor dunkelgrünen Blättern. Ab Mitte September werden die Früchte orange bis scharlachrot, und später wird das Laub gelb bis goldbraun.
Dr. Christian G. Pätzold.
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2024/08/17
c.t. und s.t.
In früheren Jahrhunderten waren die Professoren (Professorinnen gab es damals noch nicht) an den Universitäten oft etwas zerstreut. Sie hatten schwierige philosophische und metaphysische Probleme im Kopf und schafften es daher nicht, pünktlich zu ihren Vorlesungen zu erscheinen. Oft kamen sie erst eine Viertelstunde später als zur angekündigten Zeit und so wurde es üblich, die Veranstaltungen mit dem Zusatz c.t. anzusetzen. c.t. ist die lateinische Abkürzung für cum tempore = mit Zeit. Damals war die lateinische Sprache die Lingua franca an allen europäischen Universitäten, so dass sich alle Akademiker mit der lateinischen Sprache verständigen konnten. Heute ist Englisch die Lingua franca an allen europäischen Universitäten, mit demselben Vorteil, dass alle Akademiker aus den verschiedensten Ländern miteinander kommunizieren können. c.t. bedeutete eine Viertelstunde später, und so wurde auch vom akademischen Viertel gesprochen, wenn jemand eine Viertelstunde später kam. Wenn eine Vorlesung um 10 Uhr c.t. angekündigt war, dann begann sie 15 Minuten nach 10.
Mit der Zeit kamen junge dynamische Professoren an die Universitäten, die den alten prokrastinierenden Professoren etwas auswischen und ihnen Studenten abluchsen wollten. Sie kündigten ihre Vorlesungen s.t. an, wobei s.t. für Lateinisch sine tempore = ohne Zeit steht. Diese Vorlesungen fanden also pünktlich zur angegebenen Uhrzeit statt. Und so ist es bis heute an den Universitäten geblieben, es gibt Veranstaltungen c.t. und Veranstaltungen s.t. Darauf müssen die Student:innen achten, damit sie nichts Wichtiges verpassen und nicht zu spät in die Veranstaltungen platzen. Aber unabhängig davon, ob eine Veranstaltung c.t. oder s.t. beginnt, sie dauert in der Regel 1½ Stunden oder 90 Minuten.
Der Begriff Akademisches Viertel hat aber noch eine andere Bedeutung, nämlich Wohnviertel der Akademiker:innen und Ort der Universität. Das bekannteste Akademische Viertel ist seit dem Mittelalter das Quartier Latin in Paris mit der altehrwürdigen Sorbonne. Es wurde Lateinisches Viertel genannt, weil dort die Lateinisch sprechenden Akademiker lebten und wirkten. Im Mai 1968 fanden dort die Straßenschlachten der sozialistischen Studenten statt. Heute leben nur noch wenige Student:innen im Quartier Latin in Paris, da die Mieten zu hoch gestiegen sind.
Quartier Latin war auch der Name eines Veranstaltungsortes für Musikkonzerte in Berlin Tiergarten, in der Potsdamer Straße 96. Das Quartier Latin bestand von 1972 bis 1990. Heute heißt der Veranstaltungsort Varieté Wintergarten. Ich erinnere mich noch eindrücklich an zwei Veranstaltungen mit vollem Publikum im Quartier Latin, die ich besucht habe. Das muss Anfang der 1980er Jahre gewesen sein. Die eine Veranstaltung war ein Auftritt der Aktionsanalytischen Organisation (AAO) des österreichischen Aktionskünstlers Otto Muehl (1925-2013), der die Rückkehr zur Natur, die Freie Liebe und die Abschaffung des Privateigentums propagierte. Junge nackte Frauen mit kahl geschorenen Köpfen rannten schreiend im Saal herum. Der Sinn der ganzen Aktion war etwas unklar, aber es war ein ziemlich schräges Happening. Die andere Veranstaltung war ein Auftritt des englischen Sängers Roger Chapman (geboren 1942). Er ist mir als Rocksänger mit rauer, rauchiger und kräftiger Stimme, oft schreiend, in Erinnerung geblieben. Sein Gesang hat ihm Millionen eingebracht.
Zurück zu c.t. und s.t.: Verwechslungsmöglichkeiten: CT bedeutet in der Medizin Computer-Tomographie. Das ist eine Röntgen-Methode, mit der detaillierte Bilder vom Inneren des menschlichen Körpers erstellt werden können. In der Informatik steht CT für Computertechnik. In der Edelsteinkunde steht ct für metrisches Karat, die Einheit für die Masse von Schmucksteinen. 1 metrisches Karat entspricht 0,2 g. Das Karat war ursprünglich das Gewicht eines getrockneten Samenkorns des Johannisbrotbaumes.
Auch die Abkürzung s.t. taucht so ähnlich in anderen Zusammenhängen auf. Im Handel bedeutet St. Stück, bspw. 3 St. Pizza mit Peperoni bitte ! In der christlichen Kirche bedeutet St. Sankt oder englisch Saint. Die Abkürzung wird den Namen von Heiligen vorangestellt, bspw. St. Lukas oder St. Barbara, für Heiliger Lukas oder Heilige Barbara.
Dr. Christian G. Pätzold.
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2024/08/13
Dagmar Sinn
Trier - ein Ausflug auf den Spuren der Römer
Die Porta Nigra in Trier, Südseite. Foto von © Dagmar Sinn. Juni 2024.
Damals wie heute betritt man die wohl älteste Stadt Deutschlands durch ein mächtiges schwarzes Tor aus der Römerzeit, die "Porta Nigra". Ihre mächtigen Sandsteinquader, nur durch Eisenklammern miteinander verbunden, stammen aus heimischen Steinbrüchen und sind bald 2.000 Jahre alt. Der ehemals helle Sandstein war schon 1200 dunkel und gab dem Stadttor den Namen. Offenbar haben Mikroorganismen und das Eisenoxid im Sandstein zu der dunklen Verfärbung geführt und nicht so sehr Umwelteinflüsse, wie es sie heute gibt.
Schon Kaiser Augustus erkannte die strategisch günstige Lage der Stelle an der Mosel und ließ das Fernstraßensystem im weströmischen Reich ausbauen. Bald entstand hier ein Regierungssitz und mit 80.000 Einwohnern die größte Stadt nördlich der Alpen, genannt "Augusta Treverorum", Stadt des Kaisers Augustus im Land der Treverer. Die Treverer waren ein keltisches Volk, das unterworfen wurde und sich anpassen musste. Um die Stadt wurde eine über 6 km lange Mauer mit zahlreichen Wachtürmen gebaut, deren größter und imposantester die Porta Nigra ist. Mit ihren beiden Türmen, die noch ein Stockwerk höher waren als heute, und ihren Wehrgängen war sie zu Verteidigungszwecken bestens geeignet. An ihrer Südseite, zur Innenstadt hin, führten links und rechts der Einfahrtstore überdachte Wandelhallen ins Zentrum. Noch heute markieren teilweise originale Sockel der Pfeiler die Lage dieser 7 m tiefen Hallen.
Unter Kaiser Konstantin im 4. Jahrhundert wurde Trier mit der Ausbreitung des Christentums Bischofssitz. In den folgenden Jahrhunderten verlor die Stadt an Einfluss, der Kaiserhof wurde nach Mailand verlegt und Trier mehrfach von nomadisierenden Volksstämmen überfallen und geplündert. Wie damals leider üblich, wurden römische Befestigungen abgetragen und als Baumaterial wieder verwendet. Wäre nicht der Eremit Simeon gewesen, der sich im 11. Jahrhundert im Ostturm in der Porta Nigra, die schon eine Ruine war, niederließ, hätte die Porta Nigra die Zeiten nicht überdauert. Dieser Eremit war Begleiter des Erzbischofs von Trier auf einer Pilgerfahrt ins Heilige Land. Bei seiner Rückkehr wurde ihm der Wunsch erfüllt, in der Porta Nigra als Einsiedler zu leben. Nach seinem Tode wurde das Stadttor in eine zweigeschossige Kirchenanlage umgebaut, die beiden Tordurchfahrten zugeschüttet und durch Freitreppen ersetzt. Im ersten Stockwerk entstand eine Volkskirche, in der Oberkirche betete der Adel. Diese Doppelkirche war ein mittelalterliches Meisterwerk der Baukunst, wurde Wallfahrtsort und versprach nach Heiligsprechung des Eremiten gute Einnahmen. Doch der erwartete Pilgeransturm blieb aus. 1804 entschied sich Napoleon nach flüchtiger Kenntnisnahme dafür, das "gallische Gebäude" rückbauen zu lassen, leider ohne Dach. Erst in preußischer Zeit erhielt die Porta Nigra ihr heutiges Aussehen. An die Kirchenzeit erinnert die erhalten gebliebene romanische Apsis an der Ostseite. Auch wenn das römische Stadttor heute noch schier unverwüstlich erscheint ist es doch eine permanente Baustelle, die sorgsam beobachtet wird. Ab und zu muss z.B. etwas von der schwarzen Kruste abgetragen werden, um den Verfall aufzuhalten, und Schadstellen im Gemäuer stabilisiert werden. Seit 1986 ist die Porta Nigra Teil des Welterbes der Unesco neben noch sechs weiteren Bauten. Als sie noch nicht so gut bewacht und teils abgesperrt war, in den 50er und den 60er Jahren, war sie für Jugendliche ein beliebter Abenteuer- und Versteckspielplatz, natürlich ohne Wissen der Eltern!
Möchte man sich weiter nach römischen Bauten in der Stadt umsehen wird man schnell fündig, z.B. bei den Thermen. In Trier gibt es davon drei in unterschiedlichem Erhaltungszustand. Die Barbaratherme in der Nähe der Mosel wurde im 2. Jahrhundert erbaut und war mit 42.000 qm die größte Therme des römischen Reiches außerhalb von Rom. Leider ist nur ein Drittel ausgegraben und bodennahe Reste erfordern viel Phantasie um sich vorzustellen, was das für ein Luxusbad war. Später grub man dann die Kaiserthermen aus dem 4. Jh. aus, deren erhabene Gebäudeteile und Bögen schon eher die Vorstellungskraft beflügeln und deren begehbare Kellerräume einen guten Eindruck von der Heiztechnik jener Zeit vermitteln. Thermalbäder haben eine lange Geschichte bei den Römern, sie dienten nicht allein der Reinigung, sondern waren Stätten der Entspannung und Kommunikation, heute würde man sagen Wellness-Oasen. Wo es keine natürlichen Thermalquellen gab so wie in Trier, musste das Wasser auf unterschiedliche Temperaturen künstlich beheizt werden. Schon früh war eine Fußbodenheizung bekannt, ein Hypocaustum, d.h. von unten beheizt: in einem niedrigen Heizraum unter dem Fußboden wurde durch mit Holz beschickte Brennöfen Wärme erzeugt, die über Kanäle in einen Hohlraum direkt unter dem Fußboden strömten. Die Hohlräume bestanden aus einer Vielzahl von kleinen Ziegelpfeilern in regelmäßigen Abständen. Die Heizgase strömten durch Hohlziegel an den Wänden entlang nach oben und erwärmten sie. Durch Kaminschächte gelangten sie ins Freie. So wurden zum Beispiel ein Heißbad (Caldarium) und ein Warmbad (Tepidarium) geheizt. Das Wasser aus Hähnen und Fontänen musste vorher in einem Metallkessel über einem Brennofen erhitzt werden und dann in ein Becken geleitet werden. Insgesamt eine sehr personalintensive (Sklaven) und wenig umweltfreundliche (Abholzung von Wäldern) Methode. Kurioserweise wurden die Kaiserthermen niemals als Thermen genutzt. Noch vor Fertigstellung wurde der Bau als Exerzierplatz und Empfangssaal umgeplant. Die dritte und älteste Thermenanlage lag versteckt in der Innenstadt. 1987 entdeckte man beim Bau einer Tiefgarage die Reste einer Therme aus dem frühen 2. Jahrhundert. Die römischen Bauten wurden gesichert und die Garage verkleinert. Ein gläserner Kubus umschließt heute das Areal, das auch für besondere Festivitäten genutzt wird.
Etwas abseits liegt das Amphitheater. Äußerlich ist es zunächst etwas enttäuschend, weil die Zuschauerränge unter einer Grasnarbe verborgen liegen. Interessant aber, dass das ovale Amphitheater in die Stadtmauer integriert ist. So wurden auch Einfahrt und Ausfahrt als Stadttore genutzt. Die jetzt überwachsenen Ränge für damals etwa 18.000 Personen erreichte man auf seitlichen untertunnelten Wegen unter den Rängen mit dem hübschen Namen "Vomitorium". Man wollte damit ausdrücken, dass die Arena nach Abschluss der Veranstaltungen die Menschen gleichsam ausspie und nicht, dass man bei Übelkeit sich dort erleichtern konnte. Sehr interessant ist auch der Arenakeller. Dort kann man noch Reste von Tierkäfigen erkennen, es gibt Teile einer Hebebühne mit Holzresten, die durch die Feuchtigkeit seit 300 n. Chr. erhalten blieben. Das Skurrilste aber sind kleine Bleibleche, auf denen Texte eingeritzt sind, die das Unheil missliebiger Personen heraufbeschwören sollen .Man fand sie in großer Zahl im Arenakeller. Diese Zauber- oder Fluchtäfelchen wurden zusammengerollt und vorzugsweise in Amphitheatern mit einem Nagel an einer "wirksamen" Stelle deponiert, um den Gegner zu verfluchen. Dort, wo Menschen und Tiere oft gewaltsam starben, gab es auch wirksame Dämonen, so glaubte man. Mit dem Ende der römischen Herrschaft verlor das Amphitheater seine Funktion, wurde wie so viele Bauwerke abgenutzt und zum Weinberg.
Es gibt viel zu entdecken in Trier, zum Beispiel den wunderschönen mittelalterlichen Marktplatz mit Brunnen und Marktkreuz und der ältesten Apotheke Deutschlands und die Konstantin Basilika, römische Palastaula aus dem 4. Jahrhundert. Basiliken waren zu römischer Zeit Prachtbauten für weltliche Zwecke. Erst in christlicher Zeit wurden sie mit hohem Mittelschiff und niedrigeren Seitenschiffen ein Kirchentyp des Mittelalters. Um diese Zeit, im 11. - 13. Jahrhundert, entstand auch das Kirchenensemble Hohe Domkirche St. Peter und Liebfrauenkirche.
Heute ist die kreisfreie Stadt Trier eine lebendige und junge Universitätsstadt für Geistes- und Wirtschaftswissenschaften, mit lebhafter Musik- und Kulturszene, und hat 112.000 Einwohner, die von der Nähe zu Luxemburg, Frankreich und Belgien profitieren. Ihr hoher Freizeitwert zieht viele Touristen an. Sie ist Heimatstadt von so unterschiedlichen Menschen wie dem Philosophen und Ökonomen Karl Marx und Horst Köhler (= Sänger, Schauspieler und Moderator Guildo Horn mit sozialem Engagement). Und damals wie heute wächst ein vorzüglicher Riesling in den Weinbergen!
© Dagmar Sinn, August 2024.
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2024/08/10
Erich Mühsam, 1878 - 1934
Töff töff - Hurra!
Puff puff puff und töff töff töff -
Kindsgeschrei und Hundsgekläff!
Durch die Linden rase, rase!
Patriotisch, mit Emphase!
Hurra, hurra! Ganz Berlin
stinkt nach Gummi und Benzin.
Holla, holla, Polizei!
Halte Platz und Straßen frei,
dass das Auto nicht mehr weichen
oder stolpern über Leichen
braucht, denn das gab erst Geschrei
und 'ne Straßenschweinerei.
Maul gehalten, Bürgersmann!
Was gehn dich die Autos an?
Schleunigst ran zu Huldigungen,
"Deutschland, Deutschland" mitgesungen!
Andernfalls fliegst du ins Loch.
Hurra, hurra - dreimal hoch!
Tutend, pustend kommt's gesaust,
Jubel und Begeist'rung braust.
Mütter krähen, Väter niesen:
Deutschlands Treue ist erwiesen.
Kindsgeplärr und Hundsgekläff -
Deutschland - hoch! hurra! töff töff!
Aus dem Band »Das seid ihr Hunde wert! Ein Lesebuch« von Erich Mühsam,
herausgegeben von Manja Präkels und Markus Liske, Verbrecher Verlag Berlin.
Zum Anfang
2024/08/06
dr. christian g. pätzold
klima klima klima
alle reden vom klima. wir auch. www.kuhlewampe.net
klima: langfristige situation der atmosphäre im gegensatz zu kurzfristigen schwankungen des wetters.
greta thunberg, winter 2018/2019. quelle: www.
klima klimaabkommen klimaänderung klimaaktivist:in klimaangst klimaanlage klimaanpassung (der tiere und pflanzen) klimaauswirkung klimabewegung klimabilanz klimaeinfluss klimaelement klimaemission klimaerwärmung (den treibhauseffekt kennen wir schon seit über 50 jahren) klimafaktor klimafasten klimaflüchtling klimafolgenforschung klimafonds klimaforscher:in klimafreundlichkeit fridays for future (fff) klimagas (co2) klimageld (watn ditte) klimagerechtigkeit klimageschichte klimagipfel greta thunberg klimahaus klimahölle klimahysterie (unwort des jahres 2019) klima in deutschland (schlimm) klima in europa (noch schlimmer) klimaindex klimainstallateur klimajournalismus klimakatastrophe (überschwemmungen erdrutsche stürme hitzetote) klimakiller klimakipppunkt klimakleber (die wunderbare letzte generation) klimakollaps klimakonferenz klimakrise klimakterium klimaleugner (wollen nichts merken) klimamanager klimamigration klimamodell klimaneutralität klimanotlage klimanotstand klimapolitik klimaprotest klimarat klimareporter klimaresilienz klimaschaden klimaschock klimaschutz nachhaltigkeit klimaschwankung klimasystem klimastreik skolstrejk för klimatet klimatabelle klimatechnik klimatisierung klimatologie klimatyp klimaveränderung klimaverbrecher (verkehrte verkehrsminister) klimaverträglichkeit klimavertrag klimawandel (merken die meisten) klimawechsel klimawissenschaft klimax klimaziel klimazone klima klima klima klima klima klima kli
© dr. christian g. pätzold, august 2024.
(nicht von chat gpt, ki oder algorithmen generiert)
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2024/08/02
James Baldwin zum 100. Geburtstag
Harlem/New York City/USA 2. August 1924 - Süd-Frankreich 1. Dezember 1987
James Baldwin mit Marlon Brando, Charlton Heston, Harry Belafonte und weiteren Prominenten
beim Civil Rights March am 28. August 1963 in Washington D.C./USA.
Quelle: Wikimedia Commons.
James Baldwin wäre heute 100 geworden und das ist ein Anlass, auf einen der wichtigsten US-amerikanischen Autoren in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts zurückzublicken. Sein Geburtsname war James Arthur Jones. Er war das erste Kind der allein stehenden Mutter Emma Berdis Jones, sein Vater ist unbekannt. Danach heiratete seine Mutter den christlichen Prediger David Baldwin, der im Zuge der Great Migration aus New Orleans nach New York gezogen war. Im Alter von drei Jahren erhielt James den Nachnamen Baldwin. Emma und David Baldwin bekamen in den folgenden Jahren noch acht Kinder, so dass James Baldwin mit zahlreichen Geschwistern in Harlem, das ein Armenviertel von New York war, aufwuchs.
Schon früh als junger Mann hielt er die Diskriminierungen als Negro (so wurden die Afroamerikaner noch in den 1960er Jahren genannt) und als Homosexueller in den USA nicht mehr aus. Er schilderte in seinen Essays eindrücklich die Demütigungen, die er durch den Rassismus in den USA und die Rassentrennung (Jim Crow genannt) erleiden musste. Und so ging er schon 1948 ins Exil nach Frankreich, wo er den Rest seines Lebens überwiegend verbrachte. Nur noch sporadisch kehrte er in die USA zurück, besonders in den 1960er Jahren, als er in der Bürgerrechtsbewegung engagiert war. In seinen Werken gelang es ihm sehr gut, die psychologischen Kollateralschäden des Rassismus darzustellen.
James Baldwin schrieb eine Reihe von Essays, bekannt ist bspw. seine Essaysammlung »The Fire Next Time« von 1962, die auch ins Deutsche übersetzt wurde.
Außerdem veröffentlichte er wichtige Romane, die alle auch in deutschen Übersetzungen vorhanden sind:
- »Go Tell It on the Mountain«, 1953.
- »Giovanni's Room«, 1956.
- »Another Country«, 1962.
- »Tell Me How Long the Train's Been Gone«, 1968.
- »If Beale Street Could Talk«, 1974.
- »Just Above My Head«, 1979.
Dr. Christian G. Pätzold.
Literatur: James Baldwin: Schwarz und Weiß oder Was es heißt, ein Amerikaner zu sein.
11 Essays. Reinbek bei Hamburg 1963. Rowohlt Verlag.
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2024/07/31
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2024/07/28
Poet:innen aller Länder, vereinigt Euch !
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2024/07/24
Dagmar Sinn
Cannabis ist dir gewiss
Cannabis in aller Munde
in den Medien macht die Runde.
Überraschend zum April,
liest man, glaube es, wer will
- Dealer finden es banal -
Cannabis wird jetzt legal.
Und auf meiner Fensterbank
steht eingetopft ein Zaubertrank.
Geht es dir schlecht, eins ist gewiss:
für alles gibt es Cannabis.
Natürlich musst du achtzehn sein,
nicht vorbestraft, moralisch rein,
und nur drei Pflänzchen nenne dein
auch die gesund, moralisch rein.
Ab Juli darf man im Verein -
500 Leutchen können rein -
in großer Menge kultivieren,
pro Nase 50 Gramm sortieren.
Wer soll das alles kontrollieren?
Höchst bürokratisch finanzieren?
Und Ernte, wann ist sie in Sicht?
Legale Pflanzen gibt's noch nicht.
Denn Cannabis braucht seine Zeit.
Wie schön, dass ein Gesetz erfreut.
Der Anbau fängt gerad' erst an.
Und in der Zwischenzeit, was dann?
Kommt leider nicht ganz selten vor -
Gesundheitswesen - Eigentor!
© Dagmar Sinn, Juli 2024.
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2024/07/21
Mauerblümchen
Ruprechtskraut (Geranium robertianum), auch Stinkstorchschnabel genannt.
Foto von Dr. Christian G. Pätzold,
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2024/07/17
Ein Besuch im Fotografiska Berlin (ehemals Tacheles)
Oranienburger Straße 54 in Berlin Mitte
von Dr. Christian G. Pätzold
Eingang Fotografiska Berlin, Oranienburger Straße 54.
Foto von Dr. Christian G. Pätzold, Mai 2024.
Die Kunst der Fotografie hat einen neuen Ort in Berlin: Fotografiska Berlin in der Oranienburger Straße in Mitte, im ehemaligen Tacheles, einer Weltkriegsruine, in der sich nach 1989 lange Zeit Ateliers von Künstler:innen befanden. Neben dem Museum für Fotografie in der Jebensstraße am Bahnhof Zoo mit der Helmut Newton Foundation und C/O Berlin im Amerikahaus in der Hardenbergstraße, ebenfalls am Bahnhof Zoo, bildet Fotografiska Berlin das Dreigestirn der großen Fotografiemuseen in Berlin, wobei Fotografiska die kleinste Adresse ist. Zu C/O Berlin gab es schon einen Beitrag auf www.kuhlewampe.net (2023/03/02).
Fotografiska ist eine private kommerzielle Fotografiegalerie ohne eigene Sammlung und ohne Forschungsabteilung in Stockholm/Schweden, die 2010 eröffnet wurde. Fotografiska nennt sich zwar Museum, aber das ist ziemlich hoch gestapelt. Inzwischen gibt es auch Zweigstellen von Fotografiska in Tallinn/Estland, New York City und Berlin. In Berlin sind die Fotografieausstellungen mit ca. 15 Fotos recht klein ausgefallen. Neben den Ausstellungen gibt es im Gebäude auch 1 teures Restaurant, Cafés, 1 schickimicki Bar und 1 Konditorei mit astronomischen Preisen. Ich hatte den Eindruck, dass die Fotografieausstellungen eine Art Alibi für die kommerziellen Gastronomieeinrichtungen sind. Gentryfizierung des Tacheles vollendet und wieder ein Stück Berliner Künstlerszene vernichtet.
Im Mai gab es 2 kleinere Ausstellungen zu sehen: Die erste Ausstellung zeigte Fotos und 1 Video der bekannten iranischen Fotografin Shirin Neshat, die in New York City lebt. Die Ausstellung hatte den Titel The Fury. Die Schwarz-Weiß-Fotografien und das Video zeigen das Leiden von weiblichen politischen Gefangenen im Iran. Es sind wichtige politische Kunstwerke aus einer feministischen Perspektive, die den männlichen Polizeistaat im Iran angreifen. Auch Shirin Neshat ist vor dem islamischen Polizeistaat in Persien geflohen. In ihren Fotos sind die weiblichen Körper teilweise mit persisch anmutenden Schriftzeichen bemalt. Die Ausstellung wurde bis zum 9. Juni 2024 gezeigt.
Die zweite Ausstellung mit dem Titel Un/Masked zeigt überwiegend Farbporträts von Frauen, die von der russischen Modefotografin Elizaveta Porodina stammen. Die Modefotografie ist eine Tätigkeit, mit der künstlerisch ambitionierte Fotograf:innen heutzutage etwas Geld verdienen können. Die Fotografin lebt in München, wohin sie vor dem Regime von Putin geflohen ist. Ihre Fotos sind aufwändig inszeniert mit Requisiten und ausgefallenen Kostümen. Die Inszenierungen erinnern an die Art-Deco-Gemälde von Tamara de Lempicka aus den 1920er Jahren. Auch bei diesen Inszenierungen der weiblichen Körper kann man eine feministische Perspektive entdecken. Die Ausstellung wird noch bis zum 18. August 2024 gezeigt.
Die Ausstellungsräume sind in beiden Ausstellungen komplett schwarz und dunkel, nur die Fotos sind angeleuchtet. Daher fühlt man sich etwa so wie in einem schwarzen Loch. Fazit: Fotografiska Berlin ist sehenswert, reicht aber nicht an das Niveau der beiden großen Fotogalerien am Bahnhof Zoo heran.
Blick in die Ausstellung: Shirin Neshat: The Fury.
Foto von Dr. Christian G. Pätzold, Mai 2024.
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2024/07/13
Reinhild Paarmann
01.05.2024 in Friedrichshain/Berlin
Leute strömen von
Demos zurück, Polizei,
"A Nuss-Ecke a
day takes the sadness away",
steht bei einer Bäckerei.
Zwei junge Männer
in Japan-schwarzen Röcken
vom Bogenschießen.
"Ein Leben ohne Hühner
ist möglich aber sinnlos,"
die Kita "Kleine
Füße Naseweis" hat drei
Hühner, die erste Rose
pink, Blätter drängeln heraus,
"Das Paket" spielen sie von
Fitzek im Krimi-
Theater, Frauen über
50 lesen den Autor.
Vor dem Buchladen eine
Karte "Ich bin nur depri
light. Depressiv sein
bekomme ich nicht richtig
hin"*. Der Ahorn dreht
uns Nasen, es riecht nach Wind.
Babysachen an Leine
beim "Saparito",
zum "Asia fine Dinner":
"Liebe Veganer,
bitte hört auf, Pilze zu
essen. Da wohnen Schlümpfe."
"Temporäre Spiel-
und Nachbarschaftsstraße" in
der Richard-Sorge.
Rembrandt-Döner steht auf den
Holz-Blumenkästen. In der
Türken-Bäckerei
hängt ein Weihnachtsbaum von der
Decke. "Die Kinder
haben ihn mir geschenkt, sie
wären traurig wenn ich ihn
abnehmen würde."
Das Schaben eines Surf-Bretts
auf dem Gehweg. Tag
der Arbeit, ein Pizza-Bote
auf dem Fahrrad. Zettel an
der Haustür: Brand am
17. Februar in
der Auerstraße,
das Leben eines Mannes
erlosch, ein Rollstuhlfahrer
verlor Kleidung und
Möbel durch Löschwasser,
Zettel an der Tür:
5. Mai Kiez-Putz.
Honig-Frau mit goldener
Milch, ein Spatz hüpft auf
den Tisch, Wolken drehen die
Hälse neugierig.
Der Kaffeeautomat singt,
Skateboard auf Rücken geschnallt
der Fahrradfahrer,
ein weißes Herz auf braunem
Kaffeeschaum, Kiez-Schild:
"Pedale werden ruhig",
Hypnose, "Dachlawinen,
Eiszapfen, Vorsicht!"
Die Linke auf dem Plakat,
Europa-Wahl: "Wer
fliehen muss, muss Schutz finden!"
Kino "Tilsit": "Bevor die
Hölle hier losgeht
und keiner mehr weiß, wo er
stand, sag deinem Arsch
auf Wiedersehen und küss
deiner Liebsten die Hand! Trans
- Ja und?! Finger weg
von E. J. Wie? Ich liebe
ihn! Heuchler als Typ
selbstverliebt. Gehst du mit mir
zum Klimastreik? "Ein Traum
von Revolution,"
Nicaragua, Von der
Demokratie zur
Diktatur, Gioconda
Belli im Exil erzählt.
*Volker Surmann
© Reinhild Paarmann, Juli 2024.
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2024/07/10
Richard Serra
San Francisco/Kalifornien/USA 2. November 1938 -
Long Island/New York/USA 26. März 2024
Richard Serra: Berlin Block for Charlie Chaplin, Cortenstahl, 1978.
Kulturforum Berlin Tiergarten, vor der Neuen Nationalgalerie von Ludwig Mies van der Rohe.
Foto von Dr. Christian G. Pätzold, April 2024.
Richard Serra: Berlin Curves/Berlin Junction, Cortenstahl, 1986.
Tiergartenstraße 4, an der Berliner Philharmonie von Hans Scharoun.
1988 umgewidmet zum Monument für die Opfer der nationalsozialistischen Euthanasie-Morde
(Aktion T 4).
Foto von Dr. Christian G. Pätzold, April 2024.
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2024/07/06
Tagebuch 1974, Teil 75: Maha Sarakham II (Thailand)
von Dr. Christian G. Pätzold
Khene-Meister im Khenebauer-Dorf Si Gao zwischen Maha Sarakham und Roi Et.
Foto von Dr. Christian G. Pätzold, 8.1.1974.
8. Januar 1974, Maha Sarakham, Dienstag
Morgens sind wir zu einem zwischen den Städten Maha Sarakham und Roi Et gelegenen Dorf gefahren. Den Namen des Dorfes habe ich mit Si Gao notiert. Hier im Nordosten von Thailand wurde 1x im Jahr Reis geerntet im November/Dezember, ausgesät wurde der Reis im Mai/Juni. In dem Dorf gab es auch eine Seidenraupenzucht, die Seide diente zur Herstellung von Kleidungsstücken. Außerdem wurde Jute angebaut. Im Dorf gab es Hühner, Schweine, Wasserbüffel und Hunde.
Die Hauptattraktion des Dorfes aber war die Herstellung der Khene. Die Khene (oder Khaen) ist ein Musikinstrument, das zur Gruppe der Mundorgeln gezählt wird. Allgemeiner gesagt handelt es sich um ein Holzblasinstrument, die Pfeifen sind aus Bambusröhren hergestellt. Die Khene wird vor allem im Nordosten von Thailand und in Laos gespielt. Zum Spiel der Khene wird Melan gesungen, Lyrik, die mündlich überliefert wird, oder buddhistische Literatur. Wir haben 3 Khene-Bauer bei der Arbeit gesehen, das Dorf galt als eines der besten Khenebauer-Dörfer. Ich habe mich nicht so sehr für Musikinstrumente interessiert, daher habe ich nicht nach dem Preis für eine Khene gefragt. Wir hätten auch gar nicht mit einem geräumigen Musikinstrument herumreisen können.
Mittags haben wir mit Jörg vom DED und mit seinem Shopvorsteher gegessen. Wir haben über die Boys Trade School gesprochen. Anscheinend war Jörg einer der wenigen Lehrer an der Schule, die tatsächlich schon mal als Werkzeugmacher gearbeitet haben. Dann hatten wir noch ein Gespräch mit einem thailändischen Lehrerstudenten, der 1 Jahr in den USA studiert hatte. Er meinte, dass der Buddhismus modernisiert werden müsse. Höchstes Ziel sei das Glück. Die Meditation im Buddhismus diene dazu, seinen Geist glücklich zu machen. Wir haben versucht, ihnen Skat beizubringen.
Abends waren wir bei Terry, einem Entwicklungshelfer, der anscheinend beim Peace Corps arbeitete. Das Peace Corps war eine Entwicklungshilfeorganisation mit freiwilligen Entwicklungshelfer:innen, die zur Regierung der USA gehörte. Bei Terry waren noch 2 Peace Corps Englisch Lehrer. Alle haben Ping Pong gespielt. Terry hat uns verschieden große Kheneflöten gezeigt und gespielt. Er hatte auch Tonbandaufnahmen vom angeblich besten Khenespieler. In meiner Erinnerung war die Khene gut spielbar und klang sehr gut, etwas orgelähnlich.
9. Januar 1974, Maha Sarakham, Mittwoch
Vormittags habe ich Briefe und Postkarten nach Deutschland geschrieben und Wäsche gewaschen. Dann sind wir mit Jörg zu einer Reismühle gegangen. In der Mühle wurden die Reiskörner von Spreu und Schale getrennt. Danach gab es eine Sortierung in Bruchreis und Langkornreis. Die meisten Nudeln hier wurden übrigens aus Reis hergestellt. Klebereis war sehr beliebt. Die Mühle gehörte einem Chinesen, der als reich galt, und wurde durch einen Dieselmotor bedient. Anscheinend gab es 2 Reismühlen in Maha Sarakham.
Abends waren wir bei weiteren Bekannten: Toni und Frau Siripan. Ich habe mich nach Preisen erkundigt. 1 große Flasche Bier kostete 16 Baht (etwa 2 DM), Schmierkäse 17 Baht, Jagdwurst 12 Baht, 1 Liter Milch 8 Baht (etwa 1 DM). Diese Waren wurden einmal in der Woche an die Falangs (Ausländer) geliefert, die Einheimischen konnten sich das nicht leisten.
10. Januar 1974, Maha Sarakham - Udon Thani, Donnerstag
Wir haben Maha Sarakham verlassen und sind mit dem Bus für 25 Baht nach Udon Thani gefahren, ebenfalls im Nordosten von Thailand. Der Bus war voll von Bauern und Bäuerinnen, die abgekämpft aussahen und deren Leben bestimmt nicht einfach war. Jute sah man viel auf den Feldern und auf LKWs.
Vor Udon Thani waren US-amerikanische Flugzeuge in der Luft. Die USA hatten in Udon Thani eine große Airbase der US-Luftwaffe, die im Vietnamkrieg bei der Bombardierung von Vietnam eine große Rolle spielte. Abends haben wir mit einem Bekannten von Toni und Siripan in einem Elektroladen gesprochen. Er hatte früher auf der US-Airbase gearbeitet. Er sagte, früher gab es alle 5 Minuten einen Start eines US-Bombers. Als Stärke der US-Truppe in der Stadt nannte er zwischen 6.000 und 15.000 Mann. Er sagte, dass die Amerikaner ein Geschäft bringen würden, aber die Leute könnten sie nicht leiden, weil sie auf die Thailänder herabsahen und die thailändische Kultur nicht beachteten.
Abends waren wir noch auf einer Bowlingbahn und in einem Night Club, offenbar für die GIs. Dort saßen 100 thailändische Mädchen hinter einer Guckwand. Ich habe gehört, dass einige Thailänderinnen daran interessiert waren, einen westlichen Europäer oder Amerikaner zu heiraten.
© Dr. Christian G. Pätzold, Juli 2024.
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2024/07/02
Tagebuch 1974, Teil 74: Maha Sarakham I (Thailand)
von Dr. Christian G. Pätzold
Trishafahrer am Busbahnhof in Maha Sarakham.
Foto von Dr. Christian G. Pätzold, 10.1.1974.
5. Januar 1974, Bangkok - Maha Sarakham, Samstag
Morgens haben wir im Office des DED (Deutscher Entwicklungsdienst, German Volunteer Service) in der Pradiphat Road in Bangkok gefrühstückt. Wir haben mit Entwicklungshelfern gesprochen, die im Mitbestimmungsausschuss saßen. Sie äußerten sich kritisch zu den Boys Trade Schools (Berufsschulen für Jungen mit technischen Werkstätten), in denen der DED in Thailand tätig war. Die Berufsschulen würden am Bedarf vorbeiarbeiten, was mit potenziellen ausländischen Investitionen gerechtfertigt würde. Das Ziel des DED, Hilfe für Unterprivilegierte, werde nicht erreicht, da die Schüler der Berufsschulen aus reicheren Familien kämen, die nach ihrer technischen Ausbildung in den Regierungsdienst gingen und dort Schreibtischjobs machten. Die kleinen Reparaturshops dagegen, die die technisch ausgebildeten Jungen gebrauchen könnten, lernten lieber billige Arbeitskräfte an. Andererseits denke ich mir, dass es vielleicht nicht verkehrt war, dass auch die Büromitarbeiter der Verwaltung einige technische Kenntnisse mitbrachten.
Im Bericht des DED über Thailand wurde der Verkehr der Entwicklungshelfer mit "Puff- und Barmädchen" kritisiert, weil die Entwicklungshelfer deren Sprache annehmen würden. Die Sexindustrie hatte in Thailand schon einen beträchtlichen Umfang, vor allem durch die US-Soldaten, die zur Erholung vom Vietnamkrieg ins benachbarte Thailand geflogen wurden.
Im Mitbestimmungsausschuss des DED saßen 5 Entwicklungshelfer und der Beauftragte des DED für Thailand Heinz Dieter Haverkorn. Der Ausschuss entschied auch über Vertragsverlängerungen.
Anschließend haben wir Bangkok verlassen und sind mit dem Überlandbus die 475 Kilometer nach Maha Sarakham gefahren. Die Fahrt kostete 47,5 Baht. Der Reis war schon geerntet, so dass die Felder unterwegs braun waren. Maha Sarakham ist eine Stadt im Nordosten von Thailand. Dort arbeitete der DED auch in technischen Werkstätten.
In der Stadt angekommen hat uns ein Rikschafahrer zum Haus eines englischen Volunteers gefahren, in dem auch 2 thailändische Studentinnen wohnten. Die Studentinnen haben uns zu einer Veranstaltung des NSCT (National Student Center of Thailand) über den 14. Oktober 1973 in Bangkok mitgenommen. Damals tötete die Armee 77 Menschen, aber die Massendemonstration für Demokratie, vor allem der Studenten, konnte die Militärdiktatur stürzen. Die Studentinnen zogen im Land mit Dokumentarfotos, Karikaturen und Schrifttafeln herum, um die Ereignisse bekannt zu machen. Sie zeigten auch Farbcartoons für die Kinder, einen Film des United States Information Service (USIS) über die amerikanische Verfassung und einen Dokumentarfilm über die Ereignisse des 14. Oktober 1973. Das Interesse an der Vorführung war groß, da sonst fast nur Zeitungen als Informationsquelle vorhanden waren.
6. Januar 1974, Maha Sarakham, Sonntag
In Maha Sarakham wohnten wir bei dem deutschen Entwicklungshelfer Jörg Giese, der eine Werkstatt der dortigen Boys Trade School betreute. Mit Jörg und seiner Yamaha vom DED bin ich durch die Stadt gefahren. Motorräder waren ein sehr weit verbreitetes Transportmittel in Thailand. Wir sind an verschiedenen Sehenswürdigkeiten der Stadt vorbeigefahren, am Teachers College (für die Ausbildung von Lehrer:innen), an der Boys and Girls Trades School (Berufsschule für Jungen und Mädchen), am Gefängnis, am Haus des Gouverneurs, an einem falang (ausländischen) Laden mit "Luxusartikeln". Falang war auch das thailändische Wort für die weißen, westlichen Ausländer. Falang oder farang ist übrigens eine modifizierte Form des Wortes "Franken". Das stammt schon aus dem Mittelalter, aus der Zeit der Kreuzzüge, als die Franken in den Orient vordrangen. Das Wort kam über die Araber und Perser bis nach Thailand. In Jerusalem wollten die Franken damals einen christlichen Staat aufbauen, aber sie wurden von den Arabern vertrieben.
Die Schüler von Jörg waren gerade nicht in der Berufsschule, sie machten militärische Übungen, manchmal auch mit Schießen. Es war ja die Zeit des heftigen Vietnamkriegs in der Nachbarschaft von Thailand. Jörg hat mich auf einen Polizisten aufmerksam gemacht: "Der jagt Kommunisten." 40 Kilometer von hier sollten Kommunisten sein. Die thailändischen Kommunisten führten, unterstützt von der Volksrepublik China, eine Guerillakrieg gegen die thailändische Regierung, die mit den USA zusammenarbeitete und der US-Armee Militärbasen in Thailand zur Verfügung gestellt hatte, die für den Vietnamkrieg wichtig waren. Hier im Nordosten von Thailand waren wir am nächsten dran am Vietnamkrieg auf unserer Reise. Wir waren am Hotspot des Kalten Krieges.
Die großen Händler in der Stadt waren Chinesen, die kleinen Händler Vietnamesen, die als Kommunisten verdächtigt wurden und einen schwierigen Stand hatten. Außerdem gab es 3 indische Familien, die Tuchhandel betrieben und gut dastanden und sogar Autos besaßen
Nachmittags waren wir in einem Affenwald in der Nähe von Maha Sarakham. Dort sollten noch 200 Affen leben. Nebenan gab es ein buddhistisches Kloster mit einer Klosterschule. Die Schüler studierten neben den normalen Fächern auch Religion sowie Sanskrit und Pali. Sanskrit war die altindische Sprache der Brahmanen. Pali ist eine alte Sakralsprache im südostasiatischen Buddhismus, vor allem in Myanmar, Thailand und Sri Lanka. Jeder Mann sollte in Thailand vor der Hochzeit 3 Monate Mönch in einem Kloster gewesen sein. Er bekam dann von seinen Verwandten Seife, Schwamm, Streichhölzer etc. geschenkt, um für das Leben im Kloster gerüstet zu sein.
7. Januar 1974, Maha Sarakham, Montag
Vormittags habe ich Briefe geschrieben, nachmittags haben wir Jörgs Maschinenshop besichtigt. Die Werkstatt hatte 8 Drehbänke, 4 Hobelbänke, 2 Bohrmaschinen und ein Schweißgerät. Die Abgangsklasse baute jetzt gerade einen Schraubstock nach. Die Drehbänke stammten noch aus der Zeit des Koreakrieges und aus Rumänien. Außerdem gab es noch einen Tischlershop und einen Autoshop, demnächst noch einen Blechshop. Im Autoshop wurde immer an denselben Autos rumgebastelt. Morgens mussten die 200 Schüler zum Appell antreten, die Flagge von Thailand wurde gehisst, die Nationalhymne wurde gesungen, der Headmaster hielt eine Ansprache.
Abends waren wir auf dem Rummel und haben eine Theateraufführung gesehen.
© Dr. Christian G. Pätzold, Juli 2024.
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2024/06/30
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2024/06/28
Der Editor in der Neuen Nationalgalerie, Berlin Tiergarten
Sessel Barcelona von Ludwig Mies van der Rohe.
Foto von Dr. Christian G. Pätzold.
Aktuelle Ausstellungen in der Neuen Nationalgalerie Berlin:
- Zerreißprobe. Kunst zwischen Politik und Gesellschaft.
Sammlung der Nationalgalerie 1945-2000, bis 28. September 2025.
- Andy Warhol: Velvet Rage and Beauty, bis 6. Oktober 2024.
(Homoerotische Werke von Andy Warhol).
- Gerhard Richter: 100 Werke für Berlin, bis 2026.
Eintritt: 16/8 €uro.
Montags geschlossen.
Blick in die Andy Warhol Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie Berlin.
Foto von Dr. Christian G. Pätzold. Juni 2024.
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2024/06/25
Borders
Baustelle des Museums des 20. Jahrhunderts, Kulturforum, Berlin Tiergarten.
Foto von Dr. Christian G. Pätzold, April 2024.
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2024/06/22
Im Botanischen Garten Berlin Dahlem
Phoenix canariensis. Foto von Dr. Christian G. Pätzold.
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2024/06/18
Reinhild Paarmann
"Wem gehört die Welt"
Nach der Suite Nr.3, op.26 "Kuhle Wampe" von Hanns Eisler, 1930
Blechinstrumente
wecken im Präludium,
leise-langsam das
Intermezzo-Hinterhof,
rhythmische Laubenkolonie.
Sentimentale
Geige im Rondo, in der
Fabrik Misstöne,
Arbeitslosigkeit, scharfer,
rascher Widerstand, Natur
rauscht Liebe hervor
zeugende Halme im Sturm,
Hetzjagd nach Arbeit,
"Vorwärts und nicht vergessen",
sie sammeln für Abtreibung.
Großer Ärger bei
Herrn Lindner am 19.
Januar dieses
Jahres: "dass ich vor Ihnen
als fleißigen Mittelstand
über Kürzungen
sprechen muss, während
auf der anderen
Seite in dem Land Menschen
Geld bekommen fürs Nichtstun."
Sollen sich alle
Bürgergeld-Empfänger aus
dem Fenster stürzen
wegen der Schuldenbremse
wie Annis Bruder, der nicht
Arbeit fand in der
Welt, die ihm nicht gehört, wem
gehört die Stadt, fragt
der "Tagesspiegel", Grüße
von der Wohnungsnot,
Wohnung gekündigt, ziehen
sie auf Campingplatz "Kuhle
Wampe" "Leerer Bauch".
S-Bahn-Gespräch: Die
Wohlhabenden nicht
verändern die Welt, doch die,
denen sie nicht gefällt. Die
Reichen verzehren
durch Nichtstun ihr Erbe, drei
Prozent Steuern nur.
Arme wählen auch rechts, doch
Demos gegen AfD.
© Reinhild Paarmann, Juni 2024.
Zum Anfang
2024/06/14
Dagmar Sinn
Begegnung mit Westafrika, Teil IV
Sekundarstufe, Französisch Unterricht, Schule in Lac Rose/Senegal.
Foto von © Dagmar Sinn, 4.3.2024.
Montag, 04.03.2024
Nach dem Frühstück wandern unsere Koffer wie immer vor der Weiterreise aufs Dach unseres Kleinbusses. Noch aber bleiben wir vor Ort, denn Lac Rose ist berühmt als Endstation der historischen Rallye Paris-Dakar. Für das entsprechende Feeling ist gesorgt: wir besteigen zwei schrottreife Geländewagen ohne Armaturenbrett, aber mit Benzin, das aus einem Kanister auf dem Beifahrersitz mal eben aufgefüllt wird. Die Kurbel fürs Fenster macht sich selbständig, ein Wunder, dass die Türen schließen. Die Sitze sehen aus, als habe man sie mit einem Säbel bearbeitet. Und los geht's: Wir brettern geschätzt mit 150 Sachen durch die Dünen Richtung Ozean, eine Achterbahnfahrt ist ein Kinderkarussell gegen diesen Ritt. Zur Erholung dürfen wir ein Weilchen am Strand laufen, dann geht es mit der gleichen Intensität zurück. Der Ausflug nennt sich übrigens "balade en voiture". Solchermaßen erfrischt bleiben wir am Lac Rose vor dem Gedenkstein der Rallye Paris-Dakar stehen, die hier von 1979 bis 2007 endete.
Der Salzsee, auch Lac Retba genannt, ist durch seinen Rosafärbung bekannt geworden, verursacht durch die roten Pigmente von Algen mit dem Namen Dunaliella salina, allerdings ist er durch die Verdünnung mit Regenwasser die längste Zeit rosa gewesen. Geblieben ist die mühsame Salzgewinnung durch Schürfen des Salzes vom Grund. Die Salzschicht ist 1,50 m hoch, und darüber steht das Wasser ebenfalls 1,50 m hoch. Die Männer, Einheimische und Gastarbeiter, z.B. aus Mali, müssen bis zur Brust oder tiefer ins Wasser und das Salz in die Körbe auf den Booten schaufeln. Zum Schutz der Haut, die durch das Salz sehr strapaziert wird, reiben sie sich vorher mit dem heimischen Karité-Öl ein. An Land wird das Produkt 3 Wochen getrocknet und dann von den Frauen verkauft, ein wie das Schürfen mühsames, wenig einträgliches Geschäft.
In Lac Rose besuchen wir auch eine staatliche Schule. Diese Schulen orientieren sich insgesamt am französischen Schulsystem mit Grundschule, Sekundarstufe I, Sekundarstufe II und gegebenenfalls Abitur. Wir besuchen eine Sekundarstufe I, also Schüler von 10-12 Jahren. Der Schulleiter der Schule Cem de Niagha erwartet uns im salle des professeurs, im Lehrerzimmer. Geduldig lässt er sich interviewen: seine Schule besuchen 1.600 Kinder, die von 30 Lehrern, 5 davon weiblich, unterrichtet werden. Lehrer verdienen monatlich 600.000 CFA (etwas über 900 Euro). Das Schulgeld, für das es keine Unterstützung gibt, beträgt an dieser Schule 6.000 CFA. Der monatliche Durchschnittsverdienst im Land beträgt etwa 140 Euro. Die Kinder bleiben inklusive Mittagspause bis 16 Uhr in der Schule, ihr Essen müssen sie selbst mitbringen. Wir besuchen die Klasse 5a im Grammatikunterricht auf Französisch. 95 Kinder sitzen wie die Sardinen in den engen Schulbänken, deutlich mehr Mädchen als Jungen. Auf Französisch werden wir vorgestellt und das Ziel unserer Reise erklärt. Wir werden freudig begrüßt.
Dann geht es weiter nach Dakar. Trotz moderner vierspuriger Fahrbahn in beiden Richtungen geraten wir in mehrere Staus.Gegen14 Uhr kommen wir in unserem Hotel im Stadtteil Ngor nahe am Atlantik an und haben bis zum Abendessen frei. Den Nachmittag verbringe ich mit drei Teilnehmern der Gruppe in einem Café mit Atlantikblick, Cheesecake und Himbeereis.
Monument de la Renaissance africaine in Dakar/Senegal.
Mit 50 Metern die höchste Statue in Afrika.
Bildhauer: Virgil Magherusan (geb.1950).
Foto von © Dagmar Sinn, 5.3.2024.
Dienstag, 05.03.2024
Auf einer Stadtrundfahrt werden uns die Highlights von Dakar gezeigt. Wir fahren vom Westende zur Innenstadt etwa 12 km. Die Stadt hat mit Umkreis 3,9 Millionen Einwohner und ist wie viele Metropolen irgendwie gesichtslos, abgesehen von den zahlreichen winzigen Märkten, die sich am Straßenrand ducken und den Verkäufern, die unter Lebensgefahr den Leuten im Bus oder im protzigen SUV etwas verkaufen wollen. Man sagt, dass 40.000 Europäer die Stadt bevölkern.
Zunächst besichtigen wir das Monument de la Renaissance africaine, ein riesiges Mutter-Vater-Kind Denkmal, ziemlich hässlich im Stil des Ostblocks. Nach über 100 Stufen hinauf hat man immerhin einen guten Blick auf die Stadt. Sie wurde 1750 gegründet. Der Name Dakar bezieht sich auf den Tamarindenbaum. Im Arrondissement Plateau findet man den Stadtkern und die ältesten Stadtteile. Wir sehen die Mosquée de la Divinité: direkt am Meer, die Kathedrale Notre Dame de Dakar, 1932 erbaut, das Parlament, die Riesenbaustelle einer Privatklinik, einen Vergnügungspark für Kinder, dann urplötzlich Sperrungen und schwer bewaffnete Polizisten am Präsidentenpalast, der Präsident ist offenbar gerade unterwegs. Mit Abstand am schönsten ist das Bahnhofsgebäude, an dem gerade drei moderne Züge halten. Ganz in der Nähe befinden sich Nationaltheater und Nationalmuseum. Das Museum ist ein moderner repräsentativer Bau mit relativ wenig originalen Exponaten im Erdgeschoss, dafür aber mit vielen informativen Fotos und Tabellen. Im ersten Stockwerk sind Masken benachbarter Staaten ausgestellt und originelle Holzsärge. Zahlreiche Fotos zeigen afrikanische Politikerinnen aus Vergangenheit und Gegenwart. Deren Prozentsatz ist in vielen afrikanischen Staaten deutlich höher als in Europa. In einer Pause trinken wir Kaffee und Tee in einer schön schattig gelegenen Cafeteria gleich nebenan.
Unser Bus quält sich durch den Mittagsstau in der Stadt. Besichtigt werden soll noch der Fischmarkt in Soumbédioune. Außer einer Kiste Fisch mit Zackenbarsch und Doraden leider Fehlanzeige, denn die meisten Boote treffen erst nachmittags ein. Wir stöbern noch kurz im benachbarten Kunstgewerbemarkt, dann geht es zum Hotel zurück. In Eigenregie wandert ein Teil unserer Gruppe in ein Restaurant am westlichsten Punkt Afrikas bei Sonnenuntergang, was sich wirklich lohnt.
Statue der Befreiung aus der Sklaverei in Gorée/Senegal.
Bildhauer: Jean und Christian Moisa.
Foto von © Dagmar Sinn, 6.3.2024.
Mittwoch, 06.03.2024
Heute können wir ausschlafen, es ist unser letzter Erlebnistag im Senegal. Zum letzten Mal begrüßt uns Abdou im Bus mit "naga def?", wie geht's, und bezeichnet uns als seine Familie. Um 11:30 fahren wir zum Hafen, denn wir wollen mit der Fähre zur Sklaveninsel Gorée, einer der Hauptsehenswürdigkeiten im Senegal. Leider haben wir uns nicht angemeldet, der Andrang ist riesig, und wir warten eine Stunde bis zur nächsten Fähre. Gorée ist Pflichtprogramm in allen Schulen. Die Insel wurde 1644 von Portugiesen besetzt, war lange Schauplatz der Sklavenverschiffung nach Amerika und wechselte 17 Mal den Besitzer.
Nach nur 20 Minuten Fahrt landen wir im Hafen. Als erstes sieht man von der Insel den Rundbau des ehemaligen Gefängnisses, heute historisches Museum. Wir schlendern durch die vielen, leider sehr überfüllten kleinen Gassen zum modernen Memorial Gorée-Almadies und zum farbigen etwas kitschigen Sklavendenkmal. Von der viel beschworenen Stimmung und Stille erleben wir leider nichts, doch die Insel erstrahlt in bunten Farben, ist eine einzige Galerie vielseitiger Künstler. Wer jetzt noch kein Souvenir findet... Es gibt auch sehr heruntergekommene Bauten, ehemalige Hotels und den alten Gouverneurpalast. Das bekannte Sklavenhaus steckt voller Schüler, die berühmte doppelläufige Freitreppe ist nicht einen Augenblick frei. Und die berühmte Tür ohne Wiederkehr mittig unter der Treppe kann ich nur mit etwas Glück und Meerblick eine Minute lang betrachten. Von hier und mindestens 14 anderen Sammelstellen an Afrikas Küste wurden die Sklaven nach Amerika verschifft, um auf Plantagen der Neuen Welt zu schuften. Am Zielort wurden dann Zucker, Rum und Tabak für Europa geladen, und von dort Glasperlen, billiger Branntwein und Billigstoffe nach Afrika befördert. In Afrika hat es schon Haussklaven gegeben, bevor die Europäer ins Geschäft einstiegen. Nicht wenige Stammesfürsten verdienten daran, ihre Untertanen zu verkaufen. Von den vielen Millionen Menschen kam mehr als ein Drittel nicht lebend ans Ziel. Nach neueren Untersuchungen waren es in Gorée nicht mehr als ca. 500 Sklaven jährlich, aber die kleine Insel gilt als Symbol für den Sklavenhandel und ist seit 1978 UNESCO- Weltkulturerbestätte.
Es gibt doch noch stille Plätzchen auf der Insel, ich entdecke einen kleinen Park mit Palmen und Sukkulenten mit Blick aufs Meer. Hier ist mein Abschied vom Senegal und meinem Reiseabenteuer. Gegen Abend treffen wir uns in einem Hafenlokal und nehmen unser Abschiedsessen ein. Es dämmert schon, als uns die Fähre um 20:30 Uhr mit ans Festland nimmt. Mit dem Bus geht es zum 65 km entfernten modernen Flughafen Blaise Diagne. Der ehemalige Bürgermeister von Dakar, der von der Insel Gorée stammt, ist Namensgeber. Unser Nachtflug nach Lissabon dauert 4 Stunden, mit Umstieg werden wir am Folgetag mittags in Düsseldorf ankommen.
P.S. Um mich auf die Reise einzustimmen, habe ich das Buch "Im Schatten - mit dem Buschtaxi durch Westafrika" von Thomas Bering aus dem Reise Know-How Verlag, Bielefeld 2021, gelesen.
© Dagmar Sinn, Juni 2024.
Zum Anfang
2024/06/10
Dagmar Sinn
Begegnung mit Westafrika, Teil III
Megalithen Steinkreis bei Wassu. Foto von © Dagmar Sinn, 29.2.2024.
Donnerstag, 29.02.2024
Schon früh sind wir unterwegs. Auf der Landkarte machen wir eine Diagonalquerung Richtung Westen nach Kaolack. Wir haben wieder rund 500 km vor uns. In Wassu, direkt am Straßenrand, steht ein Megalithensteinkreis. Kleiner als in Europa und mit behauenen Steinen aus Laterit, einer Verwitterungsform verschiedener Gesteine in den Tropen, vor allem reich an Eisen und Aluminium. Man vermutet, dass die Anlage etwa 2.300 Jahre alt ist und eine Grabstätte war. Ein selbst ernannter Führer zeigt uns noch zwei weitere Steinkreise auf freiem Feld in der Nähe.
Für Abwechslung sorgt immer mal wieder die Gendarmerie an der Straße. Man wird angehalten, kontrolliert (Fotos verboten!) und meist freundlich zur Weiterfahrt gebeten. Heute hat unser Busfahrer das Tempolimit überschritten. Er steigt aus, diskutiert mit dem Polizisten, bekommt dann im Bus vom Reiseleiter 10.000 CFA (15,20 Euro) in die Hand gedrückt und diskutiert erneut, Ergebnis: kostenfreie Weiterfahrt, verstehe, wer will.
Am frühen Abend erreichen wir Kaolack im Zentralsenegal. Wir nutzen die geschäftige 345.000-Einwohner-Stadt (2022) am Saloum Fluss nur für eine Übernachtung auf dem Weg nach Touba und an die Atlantikküste. Hier ist das Zentrum des Erdnussanbaus, von dem wir nichts sehen, da die Ernte erst ab Oktober stattfindet. Wichtig ist auch die Salzgewinnung aus dem hypersalinen Wasser des Saloum in Salzpfannen. Vom Hotel aus können wir am Horizont die Umrisse von Salzhügeln erkennen.
Die Moschee von Touba. Foto von © Dagmar Sinn, 1.3.2024.
Freitag, 01.03.2024
Auf dem Weg nach Saint Louis halten wir zunächst in Touba, dem Mekka des Westens in Afrika. Die zweitgrößte Stadt im Senegal wird beherrscht von einer riesigen Moschee mit 7 Minaretten. Sie ist Hochburg der islamischen Bruderschaft der Mouriden. Die Organisation in Bruderschaften ist typisch für den Senegal. Ohne sie geht nichts in Wirtschaft und Politik. Ihr Einfluss auf die Regierung ist immens: der erste Weg eines neu gewählten Präsidenten führt nach Touba. Im Gelände der Moschee befindet sich auch das Grab des Sufi-Heiligen Ahmadou Bamba (1853-1927). Sufismus ist eine stark verinnerlichte Form des Islam, die direkt auf Mohammed zurückgehen soll. "Suf" ist ein arabisches Gewand aus grober Wolle. Es gibt große Unterschiede hinsichtlich der Glaubensstrenge unter den Sufi-Orden. Jedes Jahr pilgern viele Hunderttausende zum Magal-Fest, dem "großen Treffen", immer 48 Tage nach dem islamischen Neujahrsfest zu Ehren von Ahmadou Bamba nach Touba. Unser Reiseführer Abdou meint, Touba könne eine Reise nach Mekka ersetzen. Für die Stadt ist diese tagelange Pilgerreise ein florierendes Geschäft und wichtiger Wirtschaftsfaktor.
Trotz aller Toleranz bleibt den Frauen unserer Gruppe eine gewisse Verkleidung beim Betreten der Moschee nicht erspart. Jeans werden mit Wickelröcken verhüllt, Kopftücher haben wir aus hygienischen Gründen selbst dabei. Der Gebetsraum der Frauen ist winzig im Vergleich zu dem der Männer. Eine alte Frau mit lückenhaften Vorderzähnen sieht unsere Vorbereitung für ein Gruppenfoto und möchte selbstbewusst auch abgelichtet werden. Eher profan hängen draußen in der knalligen Sonne die Putzfeudel des Reinigungsgeschwaders an einer Mauer zum Trocknen. Aus einer Gruppe dunkelgrün gekleideter Frauen in Kapuzenumhängen löst sich eine extrem dünne Gestalt mit fast verdecktem dunklem Gesicht. Sie trägt einen langen Stiel über der Schulter. Fehlt nur noch die Sense, denke ich, ein unheimlicher Moment.
Gegen 15 Uhr erreichen wir die Altstadt von Saint Louis am Senegal Fluss, der insgesamt über 1.000 km lang ist. Unser "Residence Hotel" ist ein altehrwürdiges Haus, ohne Luxus, aber gepflegt und mit Stil. Bis abends haben wir Freizeit. Ich gehe auf Fotosafari durch die malerische, aber ziemlich heruntergekommene Altstadt. Immerhin fehlen hier die schlimmsten Müllberge. Mein erster Weg führt mich in eine alte Apotheke, in der gerade drei Männer als Kundschaft stehen. Auf dem Ladentisch steht ein Apple Computer, und offensichtlich hat hier eine Chefin das Sagen. Ein Angestellter stochert in seinen Zähnen und kaut unappetitlich auf einem Stäbchen herum. Eine Voltaren-Schmerzmittelwerbung steht am Ausgang. Mit 4 Mandarinen als Proviant gehe ich durch die Straßen und fotografiere auf Wunsch einen kleinen Nachwuchsfußballer. Am Flussufer gibt es Freiluftwerkstätten für alles, eine Schreinerei finde ich besonders sehenswert. Nicht zu fassen, hier gibt es am Straßenrand auch gemalte Plakate gegen Umweltverschmutzung!
Eine Gruppe Rosapelikane (Pelecanus onocrotalus) im Djoudj Nationalpark
im Norden des Senegal.
Die Rosapelikane leben das ganze Jahr über im Nationalpark,
da ihnen dort die Temperaturen gefallen und sie reichlich Fische fangen können.
Foto von © Dagmar Sinn, 2.3.2024.
Samstag, 02.03.2024
Wir sind auf dem Weg zum Djoudj Nationalpark, dem 160 Quadratkilometer großen drittgrößten Vogelreservat der Welt, das zum UNESCO Weltnaturerbe zählt. Man findet hier bis zu 400 heimische Arten und dazu im Winter die Zugvögel Europas. Auf dem Weg zum Wasser sehen wir einen Schakal und Warzenschweine. Im Wasser leben auch Krokodile und Wasserschildkröten. Wir fahren durch Sumpfgebiete im Kanu und sehen ein Paradies für Zehntausende Pelikane in allen Schattierungen ganz nah, aber auch Kormorane, Reiher, Nachtreiher, Ibisse, Löffler, Schreiseeadler, westafrikanische Nilwarane und ein westafrikanisches Krokodil, das seinen Uferplatz bei unserem Anblick fluchtartig verlässt. Das Wasser ist hier nur 1,80 Meter tief und wird auch gerne von Warzenschweinen und Kühen zum Baden genutzt. Ganz zum Schluss kann man in der Ferne auch eine Kolonie von Flamingos erkennen.
Wieder an Land, sind wir von einer jungen Familie in Saint Louis zum Mittagessen eingeladen. Ihr Haus ist von außen noch ein Rohbau, und im Flur steht man an der Treppe nach oben an der frischen Luft, für das nächste Stockwerk fehlt das Geld, und vielleicht trägt unser Mittagessen dazu bei, dass man bald weiter bauen kann. Das Wohnzimmer besteht aus einer geräumigen hellblauen neuen Polstergarnitur, auf der wir zunächst Platz nehmen. Dann wird auf dem Boden eine Decke ausgebreitet, und wir bekommen Reis und eine große Schüssel mit Fisch und gut gewürztem Gemüse zu essen, das Nationalgericht Thieboudienne. Wir essen auf dem Boden sitzend und mit Löffel, bedienen uns aus einer Schüssel. Als Getränk gibt es Wasser und Bissap Saft, als Dessert Honigmelone. Ganz zum Schluss erhalten wir grünen Tee mit Minze, Zucker und Milch, einfach köstlich. Zur Toilette geht man durch das aus einem riesigen roten Bett bestehende Schlafzimmer zum Bad mit einem europäischen WC. Wir bedanken uns bei der jungen, hübschen Hausherrin und sie winkt uns mit ihren Töchtern nach.
Nachmittags fahren wir mit der Pferdekutsche durch die Altstadt an einem alten Lastkran, der Moschee und dem bekannten Hotel de Poste vorbei und am Senegal Fluss entlang. Saint Louis, die grüne Stadt an der Mündung, ist die ehemalige Hauptstadt und steht auf Grund ihrer maurisch-arabischen Einflüsse und ihrer Kolonialarchitektur auf der Liste der UNESCO-Weltkulturerbestädte. Sie ist die älteste Stadt Afrikas, die von den Franzosen im 17. Jahrhundert gegründet wurde. Vom Festland ist sie durch den Pont Faidherbe (ehemaliger französischer Gouverneur der Kolonie Senegal) mit der Altstadt und die Altstadt wiederum durch eine weitere Brücke mit dem Fischerviertel Guet Nadar verbunden. Das ist unglaublich bunt, kinderreich, geschäftig und schmuddelig! Am späten Nachmittag gibt es überall frischen Fisch zu sehen. Aber wie und wo, er liegt überall, in Körben, Plastikschüsseln, Kisten auf dem Boden oder auf den Köpfen der Leute und auf dem Boden mitten im Müll, die Gerüche sind unbeschreiblich. Wir steigen aus und mischen uns unter die Bou, wie die Fischer hier genannt werden. Fast alle sind Moslems. Sie fangen den Fisch, sie verkaufen ihn, sie essen ihn, solange es ihn gibt. Die Regierung verkauft die Fangrechte regelmäßig an Russen, Chinesen, Koreaner oder die EU. Deren Trawler zerstören mit ihren Schleppnetzen ganz nebenbei die Fauna des Ozeans. Die Bou müssen nicht hungern, aber sie sind sehr arm und leben eher in Verschlägen als in Hütten, sind reich an Kindern, von denen nur wenige die Schule besuchen können. Der frühere Durchschnitt: 8 Kinder pro Familie, die Tendenz heute: 4 Kinder.
Wir gehen durch Plastikmüllberge, in denen Schafe, Ziegen und Esel und Hühner nach Fressbarem suchen, an den Strand, auch er vermüllt. Kindern klettern über die Sandabrisskante des nur wenige Meter entfernten Atlantiks. Die Luft ist hier wenigstens besser, der Lärm ohrenbetäubend, regelmäßig bis spät in die Nacht, der Wolof-Dialekt selbst für den Reiseleiter schwer verständlich. Die Fahrt zurück verspricht Ruhe und ein gutes Abendessen im Hotel und wie jeden Tag "Petite Gazelle" Bier.
Sonntag, 03.03.2024
Wir nehmen Abschied von Saint Louis und fahren zum Nationalpark La Langue de Barbarie. Ehemals eine Lagune, ist sie jetzt eine vorgelagerte Küsteninsel und ein etwa 20 Quadratkilometer großes Vogelschutzgebiet mit Pelikanen, Kormoranen, Reihern und im Winter mit Zugvögeln. Wir können vom Boot aus den offenen Ozean sehen. An Land werden wir wieder von zahlreichen Kindern begrüßt, der Reiseleiter verteilt unsere restlichen kleinen Geschenke. Allmählich ändert sich die Landschaft, nach einer Strecke mit ausgedehntem Gemüseanbau erstrecken sich jetzt beiderseits Dünen, mit Akazienbäumen und trockenem Gras bewachsen.
Auf Umwegen finden wir nach schlecht gepflasterter Straße das Benediktinerkloster Keur Moussa (= Moses). Im Klosterladen decken wir uns nach kurzer Kirchenbesichtigung mit Essen und Souvenirs ein. Was nicht ins Handgepäck passt sind die Koras, die hier mit 50 Stück pro Jahr hergestellt werden. Die Kora ist das bekannteste Instrument in Westafrika, wird aus Kalebassenhälften hergestellt und mit Kuhhaut bezogen. Sie hat 21 bis maximal 25 Saiten und klingt ähnlich wie eine Harfe. Eine gute Kora bekommt man für etwa 300.000 CFA (etwa 460 Euro). Der Abt kümmert sich persönlich um den Laden, wirkt aber alt und erschöpft.
Am späten Nachmittag kommen wir in Lac Rose in der Anlage "Chez Salim" direkt am See an. Wir übernachten in hübschen Lehmhütten mit Strohdach. Das Terrain verteilt sich auf 3 Terrassen übereinander und ist sehr gepflegt. Vor dem Abendessen werden wir noch gewarnt, allein an den See zu gehen, weil dort jugendliche Banden im Dunklen ihr Unwesen treiben. Als Überraschung gibt es noch Livemusik am Pool für uns. Mit Kora, Xalam (Laute) und Gesang klingt der Tag stimmungsvoll aus. Aus Spaß wird der Vorname jedes einzelnen von uns besungen. Einer der Musikanten ist ein Griot, ein Geschichtenerzähler, die in Westafrika eine lange Tradition haben. Sie geben uraltes überliefertes Wissen ihrer Völker mündlich weiter. Es gibt auch weibliche Griots.
© Dagmar Sinn, Juni 2024.
Zum Anfang
2024/06/06
Dagmar Sinn
Begegnung mit Westafrika, Teil II
Unterwegs: Esel und Kühe suchen im Abfall nach Essbarem.
Foto von © Dagmar Sinn, 25.2.2024.
Sonntag, 25.02.2024
Heute müssen wir die über 500 km nach Tambacounda Richtung Osten schaffen. Auf der National-Straße 6 fährt es sich überraschend bequem. Getankt wird in einer der zahlreichen großen Tankstellen entlang der Straße. Das Benzin kostet umgerechnet 1,30 Euro pro Liter. Jede Tankstelle hat eine Halle für "lavage" zum Waschen und "entretien", was ich erst nachschlagen muss. Es bedeutet Wartung. Uns ist schleierhaft, wann und ob die hiesigen Fahrzeuge jemals gewaschen bzw. gewartet werden. In der kleinen Stadt Tanaff legen wir spontan eine kurze Pause ein und treffen in der Pfarrkirche auf Pater Bernard aus Kamerun, der erst kürzlich hier seinen Dienst angetreten hat und auch etwas Deutsch kann. Wir werden freundlich empfangen und können uns eine Chorprobe anhören. Christen und Moslems vertragen sich hier ohne Probleme und nutzen auch gemeinsam Versammlungsräume.
Auf halber Strecke nach Kolda (etwa 100.000 Einwohner, mit 50 % Arbeitslosigkeit), gibt es einen Menschenauflauf mitten auf der Straße. Wir vermuten aus Protest gegen die von Präsident Macky Sall beschlossene Verschiebung der Präsidentenwahl, die eigentlich heute stattfinden sollte. Schon im Vorfeld hat es Unruhen gegeben, die in den europäischen Medien anders bewertet werden als hier in Afrika. Für Reiseleiter Abdou ist Sall ein guter Präsident, sehr um das Wohl des Landes bemüht.
Wenig später auf dem Lande vertreten wir uns kurz auf einem Markt die Beine. Auf den Märkten wird fast immer auch unser Proviant für unterwegs eingekauft, Bananen, Mandarinen und Erdnüsse. Abdou hat dafür noch einen Helfer, den Studenten Babacar aus Dakar, dem dieser Job in der Reisegruppe als Praktikum angerechnet wird. Wie so oft wühlen Esel im Straßenmüll nach Fressbarem.
Nach 10 Stunden erreichen wir unser Tagesziel Tambacounda, kurz Tamba genannt. Die Stadt dient uns nur als Durchgangsstation für eine Fahrt in einen Nationalpark und später in den Südosten nach Kedougou. Sie hat 165.000 Einwohner, die von Fischfang und Landwirtschaft leben und hauptsächlich von den Ethnien der Fulbe und Mandinka bewohnt wird. Im Hotel funktioniert erstmal gar nichts, ständig geht das Licht aus, Internet Fehlanzeige, Toilettenspülung defekt, Klimaanlage geht nicht, Tür nicht abschließbar. Abdou rettet mich mit einem Wasserfall von energischen Wolof-Worten an der Rezeption und aktiviert den Hotelservice.
Montag, 26.02.2024
In Geländewagen nehmen wir Platz für einen langen Ausflug in den Niokolo-Koba Nationalpark. Hinten auf die Ladefläche traue ich mich nicht. Es geht auf unglaublicher Schlagloch- und Holperpiste 33 km hin und 33 km zurück durch den Busch. Wir brauchen 5 Stunden, in denen wir Gazellen, Warzenschweine, Paviane, Reiher, Wasserböcke, Abdimstörche, Langschwanzglanzstare und eine blau schillernde Senegalracke sehen. Großtiere sind selten geworden, Löwen und Elefanten gibt es hier schon lange nicht mehr, insgesamt finde ich die Fotoausbeute eher bescheiden. Im Busch werden ab und zu begrenzt Brände gelegt, um die Ausbreitung eines flächendeckenden Buschbrandes zu vermeiden.
Unsere Mittagspause findet an einem schön gelegenen, jetzt vergammelten Hotelgelände statt, unser Lunchpaket besteht aus einem Baguette gefüllt mit kalten Pommes frites, etwas Fleisch von gestern und Zwiebeln. Am Oberlauf des Gambia River in der Ortschaft Mako halten wir an, um Frauen bei der Wäsche im Fluss zuzuschauen. Begeistert sind sie davon nicht. Wir erreichen Kedougou am frühen Abend. Beim Essen im Hotel gibt es im TV eine nationale Diskussion mehrerer Bevölkerungsvertreter wie man die aktuelle politische Situation "entknoten" kann. Präsident Sall sitzt ohne einen Ton gelangweilt im Sessel. Später wird sein Vorhaben, erst im Dezember Neuwahlen anzusetzen, überstimmt und beschlossen, dass neue Wahlen bereits am 2. Juni 2024 stattfinden sollen.
(Postscriptum: Überraschend wird direkt nach meiner Reise durch Beschluss des obersten Gerichtshofs im Senegal bereits am 24.03.2024 neu gewählt. Die Wahl gewinnt der Kandidat der Opposition, der 44jährige Bassirou Diomaye Faye. Er verspricht seinem Land einen Systemwechsel. Dazu gehören Wirtschaftsreformen und die Abschaffung des CFA Franc als Landeswährung, der als Relikt aus der französischen Kolonialzeit gilt. Die Einkünfte des Landes aus Rohstoffen sollen gerechter verteilt und die Korruption bekämpft werden.)
Frauen in einem Fulbe Dorf.
Foto von © Dagmar Sinn, 27.2.2024.
Dienstag, 27.02.2024
Auf dem Markt von Mako kaufe ich bei Fulbe-Frauen einen Kloß braune Seife und eine Zahnungskette für Kleinkinder, auch als Modeschmuck brauchbar. Auf dem Boden liegen Berge von gepressten Kötteln wie von Schafen ausgebreitet, es sind aber Akazienfrüchte zum Zerstampfen für Mahlzeiten. Die Fulbe sind ein Stamm, der sowohl nomadisch als Viehzüchter - die Kuh spielt eine große Rolle in ihrer Kultur - und Jäger als auch sesshaft lebt. Sie sind nicht nur im Senegal, sondern auch in den Nachbarstaaten weit verbreitet. Wir wollen die Fulbe näher kennen lernen und besuchen ein Dorf. Dort treffen wir hauptsächlich Frauen an, die Männer arbeiten auf den Feldern oder sind auswärts tätig. Ein prächtiger Neembaum steht neben einem gemauerten Haus. Neemöl ist vielseitig anwendbar, antibakteriell in Pflanzenschutz, Medizin und Kosmetik. Vor dem "Rathaus", auch einem festen Lehmhaus, sitzt der Dorfchef, mit dem man ein paar Worte auf französisch wechseln kann.
Unsere Mittagspause verbringen wir bei den Bassari in Ethiolo. Der Fortschritt lässt sich auch hier nicht aufhalten. Wir dürfen in eine moderne Hütte nur zum Kochen mit Edelstahlschüsseln und offenem Feuer schauen. Ein älterer Mann zeigt uns stolz seine Luxushütte mit Bett, Fernseher und Gefriergerät. Wir bekommen Yassa, ein Gericht aus Reis, mariniertem Hähnchenfleisch mit Knochen, Kartoffeln und den unvermeidlichen gedünsteten Zwiebeln zu essen. Im Gegensatz zu den Fulbe sind die Bassari Nichtmuslime und beten als Animisten Papa Chamäleon an. Allerdings ist man auch hier in Glaubensdingen gerade beim Nachwuchs tolerant. Die meisten Bassari leben in Guinea, aber ihr größtes Dorf liegt im Senegal. "Im Senegal vermischen wir alles" sagt Student Babacar, der selbst halb Fulbe, halb Wolof ist, Abdou dagegen halb Mandinka, Halb Wolof.
Wir warten noch auf eine rituelle Tanzdarbietung, schließlich erscheinen vier junge Frauen und fünf Männer mit einem wohl eher auf Touristen zugeschnittenen Tanz mit Schellenläuten, Wedeln und Gesang. Die Frauen tragen T-Shirts, die Männer Bade- oder Turnschuhe. Eine Frau trägt am Rockbund ein Handy. Wir teilen uns die Zuschauerplätze mit einer polnischen Reisegruppe, die eine Woche Senegal gebucht hat.
Vor uns liegt noch eine zweistündige Fahrt vom Bassariland in das Dindefelo- Hochland zum gleichnamigen Wasserfall. Er soll einer der schönsten im Senegal sein. Dindefelo liegt nur 5 km von der Grenze zu Guinea entfernt und heißt in der Landessprache "in der Nähe der Berge". Hier im Südosten wird es immer wärmer. Mittags steigt das Thermometer auf 42 Grad. Die Piste wird durch roten Staub vernebelt. Abkühlung ist willkommen. Nach einem Kilometer Wanderung klettern wir über Steine nahe an den Wasserfall. Das Wasser ist unerwartet kühl und eine Wohltat als Voll- oder Teilbad. Trotzdem werden wir staubgepudert wie noch nie. Unser schrottreifer Geländewagen mit kaputter Windschutzscheibe lässt allen Staub durch. Auf dem Rückweg brettert der Fahrer durch die Landschaft wie ein Gesengter. In allen Poren, in allen Kleidungsstücken hängt roter Puder, unsere Haare sind hennarot gefärbt. Wir freuen uns auf eine weitere komfortable Nacht in Kedougou.
Verkaufsverhandlungen im Bedik Dorf Iwol.
Foto von © Dagmar Sinn, 28.2.2024.
Mittwoch, 28.02.2024
Wir fahren in das Städtchen Ibel. Dort gibt es erstaunlicherweise 3 Schulen jeder Bildungsstufe. Wir besuchen nochmals ein Fulbe Dorf. An einer Hütte lehnen hölzerne Korantafeln, hier findet Koranunterricht statt. Babacar, unser Student, freut sich sichtlich über den Besuch, offenbar kennt er hier einige Leute, mit denen er sich in der Stammessprache unterhält. Im Dorf sind Lehmziegel aufgestapelt für neue Hütten. Wir sehen auch einen Ziegenstall auf Stelzen gegen Hochwasser. Das beste aber ist ein sorgsam gepflegter Gemüsegarten, in dem das ganze Dorf arbeitet und der uns stolz vorgeführt wird. Hier wachsen unter sengender Sonne Salat, Lauchzwiebeln und Kohl und müssen gründlich gegossen werden. Ich stehe an einem kleinen Baum vor dem Garten und kann ihn nicht bestimmen. Er hat efeuähnliche Blätter. Später erfahre ich, dass da ein kleiner Ginkgo wächst.
Der Senegal ist ein eher flaches Land mit wenig Bergen. Nur an der Grenze zu Guinea hat der Staat einen kleinen Anteil am Fouta Djallon Gebirge, die höchste Erhebung misst 581 Meter.
Die Hälfte unserer kleinen Gruppe entschließt sich, auf das Hochplateau von Iwol, Wohnort der Bedik und Weltkulturerbe, mit einer Steigung von 480 m zu wandern. Schon um 10 Uhr sind es 40 Grad, der steinige Weg nach oben verspricht wenig Schatten zu spenden. Wir nehmen für unterwegs Suleiman mit, weil wir im Dorf einen Dolmetscher brauchen. Unsere Reisebegleiter sind Sprachgenies, aber nicht überall werden wir verstanden. Suleiman schleppt auch unseren Wasservorrat. Auf dem unteren Drittel unserer Wanderstrecke kommt uns eine Frau mit einem schweren Sack auf dem Kopf entgegen. Außer Flipflops hat sie nichts an den Füßen. Anscheinend mühelos hat sie den auch abwärts schwierigen Weg gut gemeistert. Hat sie überhaupt Wasser dabei? Sie bekommt ein Stück Seife vom Markt geschenkt und lächelt. Der Weg ist wirklich eine Herausforderung. Nur langsam geht es vorwärts, alles was ein bisschen Schatten wirft reicht für eine kleine Pause. Wir brauchen eine Stunde und 15 Minuten, dann haben wir es geschafft. Eine von uns schläft erschöpft unter einem alten Baum. Ich trinke gefühlt 5 Liter Wasser. Männer sind bis auf einen Ausnahme nicht zu sehen. Wir werden in das Dorf geführt. Dort laufen schon geschäftig mehrere Frauen mit Ketten zum Verkauf herum. Einige tragen Stachelschweinstacheln in der Nase. Und lassen keineswegs mit sich handeln. Geld wechseln wollen oder können sie auch nicht. Ich kaufe eine Kette zum Festpreis. Die kleinen Fetische aus Ton sind Massenproduktion, werden nur zögerlich gekauft. Auch kleine Kalebassen mit Schnitzereien sind im Angebot. Wir wundern uns, dass die Bedik Christen sind. Natürlich nicht ohne die vertrauten Naturgeister. Ein paar Minuten machen wir Pause in ihrer schattigen Kirche mit Strohdach. Mittags kommen die Kinder aus der Schule, wir werden kurz bestaunt, dann flüchten auch sie in den Schatten. Wir setzen uns in eine Hütte, wo uns ein deutsches (!) Informationsblatt erzählt, dass das Dorf von 618 Einwohnern aus 4 Familien bewohnt wird, von denen jede festgeschriebene Aufgaben übernimmt, z. B. Feste organisieren, Bräuche pflegen Mitten im Dorf sehe ich ein selbstgebautes Regal mit einem Solarelement. Unter einem Tuch, das extra für mich angehoben wird, liegen 3 angeschlossene Mobiltelefone. Was für eine Idee! Ohne Proviant steigen wir wieder vorsichtig ab, werden unten mit dem Bus abgeholt. Im Hotel kann ich gerade noch vor Küchenschluss einen großen Teller Gemüsesuppe bestellen. Dann ist ausgiebige Siesta angesagt.
© Dagmar Sinn, Juni 2024.
Zum Anfang
2024/06/02
Dagmar Sinn
Begegnung mit Westafrika, Teil I
Landkarte von Senegal und Gambia. Quelle: Wikimedia Commons.
Mittwoch, 21.02.2024
Es ist ein Uhr nachts. Wir sind seit dem Vortag unterwegs und kommen nach 7stündigem Flug von Düsseldorf über Lissabon in Banjul, der Hauptstadt Gambias, an. Ein einsamer Lotse steht auf dem Rollfeld. Der Flughafen ist winzig. In der Ankunftshalle wird kein Visum erteilt, wie man uns informierte, sondern der Pass kassiert und gegen eine Zahlung von 20 Dollar, einer so genannten security fee, zurückgegeben. 20 Euro, derzeit etwas mehr wert, werden gerne entgegengenommen. Ich bekomme noch 100 Dalasi in Landeswährung (73 Dalasi = 1 Euro) zurück. Sogleich werden peinlich genau unsere Fingerabdrücke genommen. Eine schwarze Hand drückt sorgfältig, aber fest meine Finger auf einen Touchscreen, auch die Daumen werden penibel ausgerichtet. Nochmals Passkontrolle, dabei werden meine 100 Dalasi, wohl als Trinkgeld, einbehalten. Nicht bei jedem. Das gesamte Gepäck wird durchleuchtet. Dann darf unsere Reisegruppe, 11 Teilnehmer mit 3 Ausnahmen alle im Rentnerstatus, zum Ausgang. Überall wird man beäugt und angesprochen von Männern auf der Suche nach Gelegenheitsjobs. Nicht weit davon steht unser Kleinbus für die nächsten Wochen, davor unser Reiseleiter Abdou, ein baumlanger Senegalese von kräftiger Statur und sympathischem Lächeln. Nach etwa 40 Minuten Fahrzeit durch die Dunkelheit über Asphalt und ausgeprägte Schlaglochpisten erreichen wir unser 5 Sterne Hotel Ocean Bay in Atlantiklage.
Nach Gepäckverteilung und Anmeldung beziehen wir unsere Wohneinheiten, schön gelegen, etwas abgenutzt, etwas feucht riechend, aber mit funktionierender Klimaanlage. Die Nacht wird kurz. Am Morgen wartet ein tolles Frühstück unter Palmen und mit Poolblick auf uns. Es gibt frisch geschnittene Papaya, Mangos, Orangen, alles, was das Herz begehrt. Ich lerne den leckeren Bissap-Saft aus getrockneten Hibiskusblüten kennen.
Heute wollen wir auf dem Gambia Fluss mit dem Boot nach Kunta Kinteh Island (James Island) fahren. Die kleine Insel hat historische Bedeutung seit den Zeiten des Sklavenhandels und ist seit 2003 UNESCO-Weltkulturerbe. Die Hauptperson aus Alex Haleys Roman »Roots« (1976), Kunta Kinteh, soll von hier als Sklave verschifft worden sein und in dem Dorf Juffreh noch Verwandte haben. Wir steigen auf eins der vielen farbenfrohen Motorboote mit Sonnendach und fahren über den mächtigen Fluss, der an manchen Stellen mehr als 40 km breit ist und der ehemaligen englischen Kolonie ihren Namen gegeben hat. Wir haben den Eindruck, auf dem offenen Meer zu schwimmen, können weder das eine noch das andere Ufer sehen. An Bord ist eine einfache kleine Küche, aus der wir später bekocht werden sollen. Leider geht unser Plan nicht auf, denn der Seegang auf dem Fluss wird zu gefährlich. Wir fahren zurück nach Banjul an Land und erleben im Hafen, wie dort riesige Rostkähne ankern und Fische und Garnelen für China verladen werden, und das alles bei brennender Mittags- und Nachmittagssonne. An den Holzpfosten im Wasser kleben Kolonien von Austern. An Land, auf den vermüllten "Bürgersteigen" sitzen zahlreiche Männer untätig im Schatten. Wir warten auf unseren Bus und fahren dann durch die Stadt zum Fähranleger. In einer Hausnische wird noch eben, bevor die Fähre kommt, gebetet. Teppich to go, Kanne mit Wasser zum Waschen, alles unkompliziert. Praktikabler sunnitischer Islam, das sollte uns noch oft begegnen. Auf der Fähre wird alles verladen, was sich nicht wehrt, PKWs, Busse, Ziegen, Schafe, Geflügel, ganze Möbeleinrichtungen, alles eng an eng. Die Fähren spielen eine große Rolle in Gambia, denn hier gibt es nur eine Brücke über den Fluss und dort wird man scharf kontrolliert.
Wir überqueren den Gambia River in Richtung Barra und fahren dann zum Dorf Juffreh. Hier steht seit 1996 ein einfaches Mahnmal zur Erinnerung an die Sklaverei. Eine sehr ärmliche Umgebung und wie fast überall unzählige Kinder, niedlich, schmuddelig, neugierig, manche betteln. Von hier können wir wagen nach James Island in einer Piroge überzusetzen, einem schmalen, motor-betriebenen Fischerboot, das ursprünglich ein Einbaum mit Rudern war. James Island besteht heute nur noch aus Ruinen, ein paar rostigen Kanonen und imposanten Baobab Bäumen. Die Insel hat durch Überschwemmungen nur noch einen Bruchteil ihrer ursprünglichen Größe, ihre Festung, ihre Funktion als Handelsplatz und Ort kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen Franzosen und Engländern, das alles ist Geschichte. Wichtig bleibt sie als Symbol der Sklavenzeit mit der Verschiffung nach Gorée, die von hier ausging. Unser erster Ausflug hat noch eine Überraschung parat - mitten auf dem Gambia River bleiben wir mit Motorschaden liegen. Es dauert eine Weile, dann kriegt unser Kapitän Kontakt und eine Piroge in der Nähe schleppt uns ab.
Wieder an Land, wollen wir uns in Juffreh, dem Dorf Kunta Kintehs, kurz umschauen. Wir sehen einfache, solide gebaute Großfamilienhäuser, in denen angeblich noch Nachfahren leben. Dekorativ und ganz in gemustertes Lila gekleidet sitzt eine alte Frau auf einer Bank. Sie spricht nicht, kann nicht lesen und schreiben und man sagt, sie stammt in der x-ten Generation von Kunta Kinteh ab. Die Leute mögen Märchen... Weniger märchenhaft endet unsere Fahrt an diesem Tag. Wir verpassen die Fähre nach Banjul und müssen unglaublich lang im Dunkeln auf die nächste warten. Um 23 Uhr essen wir im Hotel unser gekochtes Mittagessen vom Boot kalt. Noch kälter ist unser Bier, aber herrlich erfrischend: La petite Bière la Gazelle, ab jetzt jeden Abend!
Dagmar Sinn im Krokodilpark in Banjul (Gambia), 22.2.2024.
Donnerstag, 22.02.2024
Wir verlassen unser luxuriöses Domizil, um uns die Hauptstadt der "Republic of the Gambia" Banjul näher anzusehen. Der Staat wird mit Ausnahme der Atlantikküste komplett vom Senegal umschlossen und verläuft mit einer Breite von ca. 45 km etwa 740 km lang am Gambia River. Mit 2,64 Millionen Einwohnern ist er der kleinste Staat Afrikas auf dem Festland und seit 1965 unabhängig von Großbritannien. Amtssprache ist Englisch, Umgangssprachen ähnlich wie im Senegal die Stammessprachen Wolof, Mandinka und Diola. In Gambia herrscht im Gegensatz zum Senegal Schulpflicht. Hauptreligion ist in beiden Staaten, die sich gut verstehen, der sunnitische Islam.
Heute schauen wir uns einen besonderen Krokodilpark an, den Kachikally Crocodile Pool. Hierher kommen Gambias Frauen mit Kinderwunsch. Das Krokodil gilt als Symbol für Fruchtbarkeit. Wir möchten etwas anderes von den urtümlichen Echsen, sie unter Aufsicht eines Guides streicheln. Sie liegen da wie ausgestopft mit aufgerissenem Maul, tatsächlich regulieren sie ihre Körpertemperatur. Da sie gut gefüttert werden, lassen sie sich berühren ohne zu schnappen. Es funktioniert nur, weil sie nicht in ihrer natürlichen Umgebung leben, sondern sich im Park in angelegten Pools tummeln. Schon ein sehr spezielles Gefühl, mit der Hand ihren Panzer zu berühren. Ab und zu werden sie für mehr Aktion ins Wasser gescheucht. Ich lasse mich nicht beirren - eins ist bestimmt nicht mehr lebendig - nach 20 Minuten schaue ich nach und sehe nur noch einen feuchten Fleck! Ein Albino, meint der Guide lakonisch. - Im Park steht ein wunderschöner alter Kapokbaum, 500 Jahre alt. Diese Baumdenkmäler werden uns noch oft begleiten, manche sind heilige Bäume. Kapok ist veganes natürliches Füllmaterial aus Fruchtkapseln für Kissen, Matratzen und Polsterungen.
Wir besichtigen noch kurz eine kleine Moschee und dann das Nationalmuseum von Banjul, einen unscheinbaren, eher heruntergekommenen Bau mit Wellblechdach. Innen einige Fotos und Plakate zur Geschichte des Landes, ein paar prähistorische Exponate. Interessant ist die Musikabteilung mit der Kora, dem typischen aus Kalebassen hergestellten Saiteninstrument und verschiedene Typen von Trommeln.
Auf dem täglichen Albert Market werden Lebensmittel, Haushaltsgegenstände und Kunsthandwerk verkauft. Die Hygienebedingungen sind unter aller Kritik. Fünf Zentimeter unter meinen Füßen, die über Bretter gehen, läuft stinkend das Abwasser. - Optimistisch planen wir das Mittagessen im Makasutu Kulturwald einzunehmen. Auf dem Weg dorthin werden wir an der Straße von einer Gruppe missgelaunter Polizistinnen angehalten. Sie wollen Geld für die Weiterfahrt, wir aber kehren um. Nach langem Umweg auf schlechter Strecke landen wir schließlich in einem 400 ha großen Palmenwald. Makasutu heißt in der Mandinka Sprache "heiliger, tiefer Wald", war früher ein Eingeborenen-Königreich und wurde ab 1992 von zwei Engländern in einen naturnahen Wald und ein Erholungsgebiet umgestaltet, dessen Areal an einem wunderschönen Nebenfluss des Gambia River (Mandina Bolong) liegt. Hier gibt es verschiedene Ökosysteme, Mangroven und Savannen. Zahlreiche Paviane begleiten uns beim Wandern. Essen gibt es nicht, wir leben von unseren Vorräten.
Später als geplant starten wir Richtung Kassagne. Ausgerechnet jetzt ist dank der schlechten Piste ein Reifenwechsel nötig. Müde und hungrig erreichen wir für eine Nacht Abca's Creek Lodge in Kassagne. Das Abendessen ist ordentlich, die Häuschen zum Übernachten sehr einfach, zwei Gambia Sterne nach fünf, ich bin froh, dass ich mir das kleine Zimmer nicht mit jemandem teilen muss. Die einfache Dusche an der Decke setzt das Bad unter kaltes Wasser, die Fliesenschäden sind erheblich, den Toilettendeckel ignoriert man besser. Beruhigend ist das Moskitonetz über dem Bett, auch wenn jetzt Trockenzeit ist. Für eine Nacht sich in der schwachen Beleuchtung einzurichten erfordert Pioniergeist. Immerhin habe ich an eine Taschenlampe gedacht.
Kollektives Schnippeln, Schälen und Kochen für das heutige Fest. 23.2.2024.
Foto von © Dagmar Sinn.
Freitag, 23.02.2024
Sobald es hell wird, verlasse ich meine Wohnhütte und staune wie herrlich naturnah sich die Anlage an einem Seitenarm des Gambia River ausbreitet, eine Landschaft mit Mangroven, Vogelgezwitscher und Meerkatzen am Wasser zu dieser frühen Stunde. Vor lauter Begeisterung verirre ich mich und habe Mühe zu meinem Domizil zurückzufinden. Nach einem knappen Frühstück und Gepäcktransport brechen wir zeitig Richtung Kassagne-Dorf auf. Am Strand wird gerade der frische Fischfang aufgeteilt. Ein Wohnmobil mit Chinesen parkt in Strandnähe. Sie sind wirklich überall. Bevor wir ins Dorf gehen sehen wir einige stabil gebaute Familienhäuser, die wie Reihenhäuser aussehen mit gemeinsamer überdachter Veranda und Wellblechdach. Gemahlene Austernschalen, die haufenweise herumliegen, dienen als stabilisierendes Baumaterial. Jede Familienabteilung bewohnt einen Hausteil für sich. Ziegen und Schafe, von denen jeder weiß, wem sie gehören, laufen frei herum, auch auf Straßen. Vorbei an einem abseits gelegenen Müllhaufen und einem sehr alten Kapokbaum erreichen wir das Dorfzentrum. Liebevoll wird ein Gärtchen voller Minzepflänzchen gegossen. Kinder laufen uns entgegen und gehen unbefangen an unserer Hand. Im Dorf sitzen die Frauen und schnippeln Gemüse für ein Fest, das heute stattfinden soll. Jede macht mit. Man sitzt in gemütlicher Runde und hält ein Schwätzchen. Gerne dürfen wir fotografieren! Gerade ist Unterrichtspause in der Dorfschule. Kinder in blau-weißer Schuluniform, die Mädchen mit Kopftuch, freuen sich über unseren Besuch.
Heute überschreiten wir die Grenze in den Senegal: nach Stunden Staub auf nicht asphaltierten Straßen müssen wir an der Grenze umständliche Passkontrollen und die übliche Fingerabdruckprozedur in voller Mittagshitze über uns ergehen lassen, bis uns ein einsichtiger Grenzbeamter nach Diskussion mit einer übereifrigen Mitarbeiterin vorzeitig gehen lässt.
In der Provinzstadt Ziguinchor bekommen wir an einer Raststätte mit einem hochmodernen klimatisierten Restaurant ein leckeres Reisgericht als Mittagessen. Beim anschließenden Gang über den Markt mit Bergen von Plastikmöbeln und Geschirr wird uns beim Anblick von brettharter getrockneter Seezunge und weichem Meeresschneckenfleisch ganz anders. Wir besichtigen eine katholische Kirche, ein Verwaltungsgebäude und das schiffförmige Mahnmal der Fährkatastrophe auf dem Casamance Fluß von 2002, als in der Regenzeit das Schiff kenterte und 1.800 Menschen ertranken.- Auf den schlaglöchrigen Straßen liefern sich derweil Halbstarke mit ihren Mopeds Wettrennen.
Am frühen Abend kommen wir in Cap Skirring an. Dieser schöne Badeort im Senegal liegt direkt am Atlantik und an der Grenze zu Guinea-Bissau. Für 2 Nächte sind wir im Hotel Maya.
Ein beeindruckender Kapokbaum (Ceiba pentandra) mit großen Brettwurzeln,
in Mlomp, in der Basse Casamance/Senegal. 24.2.2024.
Foto von © Dagmar Sinn.
Samstag, 24.02.2024
Noch vor dem Frühstück begrüße ich mit den Füßen das Meer, in dem man auch hier wegen der Strömung nicht baden kann.- Im Senegal ist die Amtssprache Französisch und leider das Frühstück auch. Der Staat hat 17,3 Millionen Einwohner und ist seit 1960 von Frankreich unabhängig. Nicht ganz, denn die Währungsunion, zu der auch einige Nachbarstaaten gehören, hatte einen festen Wechselkurs erst mit dem Franc, jetzt mit dem Euro. Ein Euro entspricht 655,95 CFA. An die "astronomischen Preise" gewöhnt man sich aber schnell. Wir sind jetzt in der unteren, der Basse Casamance, wie die Gegend nach dem Fluss genannt wird. Hier gibt es auch Gebiete mit tropischem Regenwald. Es ist die Region der Diola-Ethnie, einer christlichen Minderheit, die ihre Religion einst von den Portugiesen übernommen hat, was sie nicht hindert ihren Naturglauben und ihre Fetische beizubehalten. Die Diola sind ein eigenwilliges Volk. Sie wollen sich nicht dem großen Einfluss der Wolof in Politik und Wirtschaft anpassen und streben nach Unabhängigkeit - regelmäßig sorgen sie in der Casamance für Unruhen.
Heute fahren wir nach Oussouye, einem Zentrum der Diola. Wir sind zu einer Töpferei-Vorführung angemeldet. Eine Einheimische, die als Lehrerin für das Töpfern ausgebildet ist und Französisch mit kreolischem Akzent spricht, zeigt uns wie man auf einem Brett und nur mit den Händen Gefäße herstellt. Dazu sammelt man in mühsamer Arbeit Mangrovenschlamm, um ihn dann mit gemahlenen Austernschalen in einem bestimmten Verhältnis zu mischen. Nach dem Formen lässt man die Gefäße mehrere Wochen trocknen und brennt sie dann in einem Ofen. Sie zeigt uns ihre Kollektion von Gefäßen und Fetischen; uns sind ihre Kunstwerke leider zu teuer. In einem nahe gelegenen "heiligen Wald" treffen wir einen Diola König, in seinem roten Gewand eine wahrhaft königliche Erscheinung. Er erscheint hinter einer verkleideten Wand und beantwortet routiniert unsere Fragen: Er ist 72 Jahre alt, hat 3 Frauen und 18 Kinder. In den 17 Dörfern, die ihm unterstellt sind, regiert er nicht, sondern berät die Einwohner in allen Fragen des Zusammenlebens und schlichtet auch mal Streitigkeiten. Er behält sein Amt lebenslang und vererbt sein Amt nur an einen Nachfolger aus seiner Familie. Für ein Foto dürfen wir ihm die Hand schütteln.
Danach geht es in das Diola Dorf Mlomp, das für seine mehrstöckigen Lehmbauten bekannt ist. Faszinierend, wie diese Bauten mit Holzunterkonstruktion jahrzehntelang halten. Stolz zeigt uns ein Hausherr sein Treppenhaus und die oberen Räume. Das Heimatmuseum im Dorf ist in Form eines Impluviums gebaut, eines Regenhauses. In dieser Form von Rundbauten wird in einer offenen trichterförmigen Dachkonstruktion im Innenhof Wasser in einem Becken aufgefangen. Um den runden Innenhof gruppieren sich die Wohnhäuser von Großfamilien mit Männer- und Frauenräumen sowie Stallungen.
Im Fischerdorf Elinkine am Ufer des Casamance Flusses besteigen wir ein Boot, um das Delta bis zur tropischen Insel Carabane zu überqueren, einem ehemaligen Handelsknotenpunkt mit Kirche und Sklavensammelplatz. Heute leben hier noch 500 Menschen.
Abends im Hotel gibt es Livemusik mit Gesang, Kora und Trommelrhythmen. Beim Song "Gambia" reißt es uns von den Stühlen.
© Dagmar Sinn, Juni 2024.
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2024/05/31
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2024/05/28
Mohnzeit
Türkischer Mohn (Papaver orientale). Foto von Dr. Christian G. Pätzold.
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2024/05/25
Mohnfeld am Niederrhein
Die Samen des Schlaf-Mohns (Papaver somniferum) werden für Backwaren
(Mohnkuchen, Mohnbrötchen) verwendet.
Foto von © Dagmar Sinn.
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2024/05/22
Fotos aus den Mühlenhaupthöfen
aufgenommen von Dr. Christian G. Pätzold, April 2024
Hannelore Mühlenhaupt spielt den Leierkasten von Kurt Mühlenhaupt.
Zwerge von Kurt Mühlenhaupt.
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2024/05/20
Ein Besuch im Kurt Mühlenhaupt Museum
in Berlin Kreuzberg, Fidicinstraße 40
von Dr. Christian G. Pätzold
Der Feuerwehrmänner-Brunnen (1981) von Kurt Mühlenhaupt am Mariannenplatz
in Berlin Kreuzberg, beim MyFest 2014.
Foto von Dr. Christian G. Pätzold, 1. Mai 2014.
Es gibt in Berlin nicht so viele Museen, die einem einzigen Maler/Malerin oder einem einzigen Bildhauer/Bildhauerin gewidmet sind. Da fallen einem das Käthe Kollwitz Museum und das Georg Kolbe Museum und das George Grosz Museum ein, auch die Liebermann-Villa am Wannsee, die teilweise schon auf www.kuhlewampe.net beschrieben wurden. Zu diesem kleinen Kreis zählt auch das Kurt Mühlenhaupt Museum in Kreuzberg im Chamissoplatz-Kiez. Aha, denkt man. Dieser Kurt Mühlenhaupt (1921-2006) muss also ein wichtiger Künstler gewesen sein, wenn er ein eigenes Museum ganz für sich alleine hat. Und es stimmt. Kurt Mühlenhaupt war tatsächlich einer der wichtigsten und besten Berliner Maler und Bildhauer in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts. Das ist heute allgemein anerkannt.
Kreuzberg zu Mauerzeiten. Kreuzberg in den 1960er, 1970er und 1980er Jahren, das war ein ganz besonderes Biotop. Kreuzberg lag direkt an der Mauer, war quasi die Sackgasse von West-Berlin, fast vergessen, da fuhr kein gehobener Bürger hin. Kreuzberg hatte noch viele renovierungsbedürftige Arbeiter-Mietskasernen aus der Kaiserzeit, die die Bomben des 2. Weltkriegs überstanden hatten. Abgebröckelte Mietskasernen mit dunklen Hinterhöfen, Ofenheizung mit Braunkohlebriketts, Toilette auf halber Treppe im Treppenhaus. Diese Mietshäuser moderten so vor sich hin, und man hatte den Eindruck, dass ihre Eigentümer schon längst nach Bayern geflüchtet waren. Aber es gab auch schon damals vor 50 Jahren Immobilienspekulanten in Kreuzberg. Das kann man im Rauch-Haus-Song von Rio Reiser nachhören. Und auch Kurt Mühlenhaupt wurde mehrmals von Investoren wegsaniert.
Wer hauste im Kreuzberger Biotop? Viele türkische "Gastarbeiterfamilien", arme Student:innen, die westberliner Bohème, Exzentriker, hängen gebliebene Altberliner, die "kleinen Leute", später Hausbesetzer:innen. Das war das Milljöh von Kurt Mühlenhaupt, das er in seiner Malerei so authentisch wiedergeben konnte. Und auch ich kannte dieses Milljöh gut, denn ich machte zu der Zeit meine Lehre als Offset-Drucker in Kreuzberg am Moritzplatz, meine Berufsschule für das graphische Gewerbe war am Mariannenplatz. 1990 wurde die Mauer fast vollständig abgerissen. Kreuzberg war plötzlich Innenstadt-Bezirk und wurde sukzessive zum Szene-Bezirk und gentryfiziert.
Kurt Mühlenhaupt, Jahrgang 1921, stammte aus eine proletarischen Familie. Er wuchs in einer Laubenkolonie in Berlin Tempelhof auf. Nach Schule und Lehre wurde er in den 2. Weltkrieg geschickt, in dem er mehrmals schwer verwundet wurde. Nachdem er den Krieg knapp überlebt hatte, wollte er in Berlin eine Ausbildung zum Kunst-Maler absolvieren, bekam aber keinen Studienplatz. So bildete er sich selbst autodidaktisch zum Maler aus und jobbte als Leierkastenmann, Trödelhändler und Kneipenwirt. Seit 1958 lebte er in Kreuzberg, 1960 nahm er an der Großen Berliner Kunstausstellung teil, was ihn bekannt machte. 1961 gründete er das Künstlerlokal "Leierkasten" in Kreuzberg in der Zossener Straße Ecke Baruther Straße. 1970 war er so bekannt und wohlhabend geworden, dass er von seiner Malerei leben konnte. Er zog in ein neues Atelier am Chamissoplatz 8 in Kreuzberg. 1972 wurde die Künstlergruppe der 14 Berliner Malerpoeten gegründet, in der Kurt Mühlenhaupt Mitglied war. Weitere bekannte Mitglieder waren bspw. Günter Grass und Oskar Pastior.
Mit seiner Kunst wohlhabend geworden, kaufte er 1989 die Mühlenhaupthöfe in Kreuzberg. Nach dem Zusammenbruch der DDR 1990 kaufte er auch einen Gutshof in Bergsdorf bei Zehdenick im Havelland. Dort hatte er seine letzte Wohnung, sein Atelier, seine Galerie und nutzte den Hof als Veranstaltungsort. Er modellierte in seinen letzten Jahren vor allem Gartenzwerge. Kurt Mühlenhaupt starb dort 2006 mit 85 Jahren. Das Kurt Mühlenhaupt Museum befindet sich seit 2020 in der Fidicinstraße 40 in Kreuzberg in den Mühlenhaupthöfen.
Seine Malerei gehört am ehesten zum naiven Stil. Seine Bilder haben oft einen etwas grauen Touch, der gut zum Grau der Kreuzberger Mietshäuser zu Mauerzeiten passt. Mit Heinrich Zille (1858-1929) und Otto Nagel (1894-1967) gehört Kurt Mühlenhaupt zum Trio der bekannten Berliner proletarischen Maler im 20 Jahrhundert, die das Arbeitermilieu festhielten. Er malte viele Porträts von Arbeitern und Arbeiterinnen und Bilder der Hinterhöfe der Arbeiter-Mietskasernen.
Bekannt ist auch sein Feuerwehrmännerbrunnen am Mariannenplatz in Kreuzberg. Er besteht aus 3 bronzenen Feuerwehrmännern mit Wasserschläuchen beim Löschen. Das sprudelnde Wasser ist natürlich bei den Kindern im heißen Sommer sehr beliebt. Nur leider sprudelte der Brunnen oft nicht, weil Kreuzberg kein Geld für den Betrieb hatte, während gleichzeitig im wohlhabenden Wilmersdorf die Brunnen für die Wilmersdorfer Witwen munter in Betrieb waren.
Das Kurt Mühlenhaupt Museum in der Fidicinstraße 40 in Berlin Kreuzberg ist zwar ein recht kleines, aber doch sehr sehenswertes Museum, in schön renovierten Räumen. Es ist ein privates Museum der Kurt und Hannelore Mühlenhaupt Stiftung. Es befindet sich in den Mühlenhaupthöfen, auf einem Grundstück mit überwiegend eingeschossigen und zweigeschossigen Bauten, die früher mal zu einer Bierbrauerei gehörten. Dort sind auch das English Theatre Berlin und das theater thikwa beheimatet. Im Museum gab es im April 2024 nur 2 kleinere Gemälde von Kurt Mühlenhaupt zu sehen, der Rest waren grafische Arbeiten. Wahrscheinlich sind die Gemälde von Kurt Mühlenhaupt zu wertvoll, so dass sie ständig bewacht werden müssten, und daher nicht ausgestellt werden können. In den Höfen sind jedoch zusätzlich zahlreiche der berühmten Zwerge von Kurt Mühlenhaupt aufgestellt. Im Museum gibt es auch eine Druckwerkstatt für Kinder, die dort Linolschnitte und Drucke anfertigen können. Außerdem gibt es noch zahlreiche weitere Aktivitäten im Museum wie Lesungen, Konzerte und Hoffeste.
Nach Möglichkeit sollte man an einer Führung im Museum teilnehmen. Dann hat man die Chance, Frau Hannelore Mühlenhaupt am Leierkasten von Kurt Mühlenhaupt zu erleben. Das beschwingt einen doch enorm. Wenn man etwas mit nach Hause nehmen möchte: Von Kurt Mühlenhaupt gibt es einige bebilderte Bücher.
Ich frage mich, ob das nicht Kreuzberg-Nostalgie ist. Verklärung alter Zeiten, die auch nicht gut waren. Heute wird die alte Bevölkerung in einem rasanten Tempo weggentryfiziert. Kreuzberg ist heute das El Dorado der Immobilienspekulanten. Das ist purer Terror. Vielleicht müssen wir unsere Illusionen von einem guten Leben einfach abschreiben.
Trotzdem. Wer noch einmal das gute Kurt-Mühlenhaupt-Gefühl für ein paar Stunden erleben möchte, ist in den Höfen genau richtig.
Kurt Mühlenhaupt Museum
Berlin Kreuzberg, Fidicinstraße 40 (im Hof)
Dienstag - Sonntag, 14 - 18 Uhr
Der Eintritt ist frei
www.muehlenhaupt.de
www.muehlenhaupt.de
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2024/05/16
dr. christian g. pätzold
feierabend im manstein 4
"ja ja ja jetzt wird wieder in die hände gespuckt
wir steigern das bruttosozialprodukt
ja ja ja jetzt wird wieder in die hände gespuckt
wir steigern das bruttosozialprodukt"
nichts da jetzt ist feierabend !
als berliner trüffelschweinchen ist man ja immer
auf der suche nach seltsamen locations
ich sitze auf der straße vor dem
café in der mansteinstraße 4
alt-schöneberger kiez
seit 130 jahren unverändert
der originale kaiserzeitstuck an der decke
die wände original getüncht
damals wars
wer ist hier alles rein und raus gegangen ?
wer hat hier den 1. weltkrieg überlebt ?
die weimarer republik ?
den 2. weltkrieg ?
die mauerzeit ?
wer wird den 3. weltkrieg überleben ?
nichts hat sich hier geändert
nur die menschen wurden ausgetauscht
heute sind wolfgang da und wolle
und dave und götz
chris und arnd und karsten
es gibt cola, earl grey, trinkschokolade
diverse selbstgebackene kuchen
veganen gulascheintopf
es gibt exotische cocktails
deren namen ich noch nie gehört habe
altes zusammengewürfeltes mobiliar
riesige plüsch-ohrensessel
sehr gemütlich
wovon das café existiert
und die miete bezahlt
ist mir schleierhaft
die likördestille leydicke gleich rechts nebenan
zum glück ein raucherlokal
buletten gibts nur sonntags
heute ist der 1. mittwoch im monat 18 uhr
und heute ist wieder textetisch aka slamily.de
existiert seit 2002
7 schräge bohemiens aus ganz berlin sind eingetroffen
welche sprachlichen feinheiten werden heute debattiert ?
zitat am anfang von geier sturzflug
ein alternativer anfang des gedichts:
"bau auf bau auf !
bau auf bau auf !
freie deutsche jugend bau auf !"
nichts da jetzt ist feierabend !
© dr. christian g. pätzold, mai 2024.
(nicht von chat gpt, ki oder algorithmen generiert)
poetry to the people !
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2024/05/13
Das Rathaus von Papenburg
Die Brigg "Friederike von Papenburg" vor dem Rathaus am Hauptkanal
in Papenburg/Emsland.
Foto von © Dagmar Sinn, Dezember 2023.
Das Rathaus von Papenburg im Emsland ist ein repräsentativer roter Backsteinbau, wie man ihn in Norddeutschland erwartet. Es ist ein typischer Bau aus der Spätzeit des deutschen Kaiserreichs, mit leichten neobarocken Anklängen, luxuriösen Loggien, Fassadenverzierungen und einem gärtnerisch gestalteten Vorgarten. Das Rathaus befindet sich am Hafen, denn Papenburg ist von Kanälen durchzogen, die mit der Ems verbunden sind. Der Bau wurde 1913 eingeweiht, also kurz vor dem Ende des Kaiserreichs. 1913 wurden viele Rathäuser in Deutschland fertig gestellt. Als dann alle Rathäuser standen, begann 1914 der 1. Weltkrieg, der 1918 mit dem Zusammenbruch des Kaiserreichs endete. Es war ein spannender Zeitpunkt der Geschichte, für den das Rathaus von Papenburg auch exemplarisch steht. 1914 endete die kaiserzeitliche Bauepoche in Deutschland, die durch Historismus und Eklektizismus gekennzeichnet war. Während des Krieges war nicht an Bauen zu denken. Nach 1918 gab es eine neue Generation von Architekten, die genug von Kaiserzeit hatten. Es begann die neue Epoche des Modernen Bauens in Deutschland, die bis heute aktuell ist.
Dr. Christian G. Pätzold.
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2024/05/10
Kastanienblüte
Rosskastanienblüte (Aesculus hippocastanum),
fotografiert von Dr. Christian G. Pätzold.
In diesem Jahr begann die Kastanienblüte in Berlin schon im April
wegen des warmen Wetters.
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2024/05/06
Jom haScho'a
Der Tag des Gedenkens an die Schoah wird in diesem Jahr am Montag, dem 6. Mai 2024 begangen. Bei Wikipedia heißt es:
"Jom haScho'a oder Jom haZikaron laScho'a weLaGwura (Tag des Gedenkens an die Schoah und jüdisches Heldentum) ist ein israelischer nationaler Gedenktag für die Opfer der Schoah (des Holocausts) und den jüdischen Widerstand gegen die Judenverfolgung durch Hitlerdeutschland und das Heldentum der jüdischen Untergrundkämpfer.
Als Gedenktag wurde der 27. Nisan des jüdischen Kalenders festgelegt. Jüdischer Tradition entsprechend dauert er vom Sonnenuntergang des Vortags bis zum folgenden Abend. Ist der 27. Nisan ein Freitag, so wird der Gedenktag auf den 26. Nisan vorverlegt. Ist er ein Sonntag, dann erfolgt die Verlegung auf den 28. Nisan. Ursprünglich wurde der 14. Nisan vorgeschlagen, das Datum des Beginns des Aufstands im Warschauer Ghetto (19. April 1943). Da dies nur einen Tag vor dem Pessach-Fest ist, wurde das Ansinnen jedoch verworfen.
Das Datum des Jom haScho'a wurde unter David Ben Gurion und Jitzchak Ben Tzwi am 21. April 1951 von der Knesset festgesetzt. Zu seiner Gestaltung wurden zunächst keine Regelungen getroffen. Als sich zeigte, dass der Gedenktag im öffentlichen Leben kaum berücksichtigt wurde, entstanden Initiativen zu einer gesetzlichen Regelung. In der Folge wurde das Gesetz zum Gedenktag an Shoa und Heldentum im April 1959 von der Knesset verabschiedet und zwei Jahre später noch einmal novelliert, wodurch der Tag seitdem den Charakter eines ernsten nationalen Feiertags hat. Genau eine Woche später, am 4. Ijjar, folgt Jom haZikaron, der "Gedenktag an die gefallenen israelischen Soldaten und Opfer des Terrorismus", so dass die ganze dazwischen liegende Woche ein Gepräge von Trauer und Gedenken erhält.
Zur Eröffnungszeremonie am Vorabend des Jom haScho'a werden üblicherweise sechs Fackeln entzündet, die symbolisch für die sechs Millionen jüdischen Opfer des Holocaust stehen. Der Morgen beginnt mit Gedenkveranstaltungen in Yad Vashem. Im gesamten Land heulen um 10 Uhr für zwei Minuten die Sirenen. Der öffentliche Nahverkehr und normalerweise auch alle anderen Fahrzeuge halten an, die meisten Passanten bleiben schweigend stehen. Zu Füßen der sechs Fackeln in Yad Vashem werden Kränze von Vertretern verschiedener Institutionen und Gruppen Überlebender niedergelegt.
Während Jom haScho'a sind sehr viele öffentliche Einrichtungen in Israel geschlossen, im Fernsehen und Radio laufen keine Unterhaltungssendungen, sondern Trauermusik oder Dokumentationen zum Holocaust. Alle Fahnen wehen auf halbmast. Bei Gedenkveranstaltungen wird das Gebet El male rachamim vorgetragen."
Lehrmaterial für SS-Wachmannschaften.
Quelle: United States Holocaust Memorial Museum, Washington.
Wikimedia Commons.
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2024/05/02
Reinhild Paarmann
Jacques sagte
"Jacques sagte,
sein Hauptmann habe gesagt,
alles, was uns hienieden
an Gutem oder Bösen widerfahre,
stehe da oben geschrieben." (1)
Steht da oben auch geschrieben,
dass jeder Quadratmeter
im Süden der Ukraine
mit vier Minen belegt wird?
"Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage:
Ob's edler im Gemüte, die Pfeil' und Schleudern
Des wütenden Geschicks erdulden?" (2)
Klimakrise, 1,5 Grad Erwärmung ist doch gar nicht viel
Wetterextreme, Artensterben, Konflikte
Migration, Wälder brennen
Gletscher schmelzen.
Es ist eh zu spät, die Dinge laufen wie sie laufen.
Was soll's, das Leben noch in vollen Zügen genießen.
"Amor fati", Liebe das Schicksal.
Das Notwendige in den Dingen als das Schöne sehen
"oder, sich wappnend gegen eine See von Plagen
durch Widerstand enden?" (3)
Vorbestimmt,
Hamas nehmen 240 Geiseln?
Vor der FU liegen
Leichensäcke mit Studenten
zu Trauermusik
mit Schildern und Fotos der
Getöteten im Gaza-Streifen.
"Da ergriffen ihn die Philister
und stachen ihm die Augen aus,
führten ihn hinab nach Gaza." (4)
Kriege laufen,
bis sich das Material erschöpft.
Wir liefern Munition,
die Waffenlobby freut sich.
Ist das nicht fatal?
Ein arabischer Fahrschüler
fährt sehr riskant.
Sein Lehrer ermahnt ihn.
"Das ist Kismet,
Allah beschützt mich",
antwortet er.
(1) Denis Diderot: "Jacques der Fatalist und sein Herr"
(2) Shakespeare: "Hamlet"
(3) Nietzsche
(4) Altes Testament Richter 16. Samson
© Reinhild Paarmann, Mai 2024.
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2024/05/01
Sonnige Grüße zum 1. Mai !
El Lissitzky, 1890-1941: Lenin-Tribüne, 1920.
Quelle: Wikimedia Commons.
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2024/04/30
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2024/04/26
dr. christian g. pätzold
elefantengedächtnis
das durchschnittsgedächtnis des durchschnittsberliners
ist nicht so groß
es umfasst nur 4 fragen:
wo kann ick bier holen ?
wo ist die fernbedienung vom fernseher ?
an welcher stelle der tabelle steht hertha bsc ?
was ist das thema vom nächsten textetisch ?
das gedächtnis des elefanten dagegen ist groß
denkt man
weil er einen so großen kopf hat
aber das stimmt nicht
er enthält fast nur wasser
wo sind die nächsten wasserstellen in meiner umgebung ?
die indischen elefanten sollen sich zusätzlich
mit buddhismus auskennen
die weißen elefanten sind übrigens
auch nicht schlauer als die grauen
sie sind nur deswegen so teuer
weil sie selten sind
wirklich groß ist nur das gedächtnis des www
dort findest du trillionen antworten auf milliarden fragen
aber nur wenn du einen internet-anschluss hast
von der deutschen telekom (sehr teuer).
© dr. christian g. pätzold, april 2024.
(nicht von chat gpt, ki oder algorithmen generiert)
poetry to the people !
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2024/04/22
Immanuel Kant zum 300. Geburtstag
Königsberg/Ostpreußen 22. April 1724 - Königsberg 12. Februar 1804
Denkmal von Immanuel Kant in Königsberg (Kaliningrad)/Ostpreußen.
Die Statue stammt von Christian Daniel Rauch (1777-1857).
Quelle: Wikimedia Commons.
"AUFKLÄRUNG ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung. Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung freigesprochen (naturaliter maiorennes), dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt usw., so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen. Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das verdrießliche Geschäft schon für mich übernehmen..."
Immanuel Kant. Zuerst erschienen unter dem Titel: »Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?« in: »Berlinische Monatsschrift«, Dezember-Heft 1784, S. 481-494.
Mit diesen klaren Worten hat Immanuel Kant vor 240 Jahren das emanzipatorische Programm der Aufklärung umschrieben. Es ging ihm um das eigene rationale Denken und den Einsatz der eigenen Vernunft, um unabhängig handeln zu können. Selber denken? Dieser Gedanke war revolutionär! Die Reste der mittelalterlichen Mystik und der religiösen Fantastereien in der Philosophie und im Denken lehnte er ab. Damit markierte er einen Wendepunkt in der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie wurde durch ihn eine Wissenschaft, die sich an den Tatsachen und der Rationalität orientierte, nicht an religiösen Wundern und Träumen. Nie mehr Aberglaube, Magie, Esoterik oder Okkultismus. Nach ihm konnten Fragen der Logik, der Ethik, der Ästhetik und viele weitere Themen auf einer wissenschaftlichen Grundlage untersucht werden.
Die Aufklärung war aber nicht nur eine Idee von Kant allein. Sie war im 18. Jahrhundert eine intellektuelle wissenschaftlich-literarische Bewegung in ganz Europa, die in Opposition zur christlichen Religion, zur feudalistischen Wirtschaftsordnung, zum politischen Absolutismus und zum Aberglauben stand. Die Aufklärungszeit heißt auf Französisch lumières oder siècle philosophique. Die Aufklärer förderten die Entwicklung der Wissenschaften und verteidigten die Rechte der Individuen gegenüber dem absolutistischen Staat. Ein wichtiger Bestandteil der Philosophie der Aufklärung war der Gedanke des Fortschritts, wonach das Leben der Menschen kontinuierlich verbessert werden könne. Die Gedanken der Aufklärer waren ein wichtiger Anstoß für die Französische Revolution von 1789 mit den Idealen von Liberté. Égalité, Fraternité. Das Wissen der Aufklärungszeit wurde in der Encyclopédie gesammelt, die von Diderot und D'Alembert in 35 Bänden zwischen 1751 und 1780 herausgegeben wurde.
Wir leben noch heute von den Erkenntnissen der Aufklärer. Leider hat sich das nicht bei allen rumgesprochen. Die Leute hängen Geisterfänger in ihre Fenster, lesen Horoskope oder geben Geld für Lotto aus. Überall Aberglaube wohin man blickt, auch 300 Jahre nach Kant. Manchmal fragt man sich, wo der Fortschritt sich versteckt hat. Fortschritt ist zwar möglich, aber nicht garantiert. Es kann immer wieder zu Rückschritten kommen. Es ist nicht so, dass mit der Aufklärung plötzlich das klare wissenschaftliche Denken bei allen Menschen angeknipst worden wäre. Heutzutage gibt es neben dem klaren Denken noch jede Menge steinzeitliches Denken, Fake News und Ideologien aller Art und Horden von Spiritisten, die mit ihren Ideen das Internet fluten. Es ist eine toxische Mischung.
Besonders bekannt ist auch der "Kategorische Imperativ" von Kant: "Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne." Der kategorische Imperativ stammt aus Kants Werk »Kritik der praktischen Vernunft« von 1788.
Kant hat über viele Fragen nachgedacht, bspw. über den Frieden. Darüber schrieb er sein Buch »Zum ewigen Frieden« (1795). Er schrieb auch ein Buch gegen den schwedischen Spiritisten Emanuel Swedenborg, der damals sehr berühmt war und seine Visionen des Lebens im Jenseits veröffentlichte. Das Werk von Kant hat den Titel »Träume eines Geistersehers« (1766). Der preußische König Friedrich Wilhelm II. (regierte 1786 bis 1797) war nicht so erfreut über die Schriften seines Professors Kant in Königsberg und hat ihm schon mal verboten, über bestimmte Themen zu veröffentlichen. Bei Wikipedia heißt es:
"Rituelle kirchliche Praktiken kritisierte Kant als Pfaffentum. Nach der Veröffentlichung der Religionsschrift »Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft« 1793 und 1794 erhielt Kant tatsächlich per Kabinettsorder das Verbot, weiter in diesem Sinne zu veröffentlichen. Kant beugte sich für die Regierungszeit des Königs, nahm die Position nach dessen Tod in dem »Streit der Fakultäten« jedoch unvermindert wieder auf."
In Berlin gibt es heute 3 Kantstraßen, was zeigt, dass Kant immer noch seine Anhänger hat. Die bekannteste und längste Kantstraße befindet sich in Berlin Charlottenburg. Es ist eine sehr lebendige Straße mit sehr vielen Geschäften und mit angesagten Restaurants. An der Straße liegt auch einer der schönsten Plätze Berlins, der Savignyplatz, und die Einkaufsstraße Wilmersdorfer Straße. Die Straße führt von der City West nach Westend. Sie hat einige U-Bahnhöfe und S-Bahnhöfe.
Dr. Christian G. Pätzold.
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2024/04/18
Jürgen Henschel - Fotochronist im geteilten Berlin
Ausstellung im Schöneberg Museum, Hauptstraße 40, Berlin Schöneberg
bis 2. Juni 2024
Ikonisches Foto des sterbenden Studenten Benno Ohnesorg,
Berlin Charlottenburg, 2. Juni 1967, Foto von Jürgen Henschel.
Abfotografiert im Schöneberg Museum.
Das Foto des sterbenden Benno Ohnesorg am Abend des 2. Juni 1967 in Berlin Charlottenburg ist das bekannteste Foto von Jürgen Henschel (1923-2012). Es ist eine Ikone der Studentenbewegung. Und es ist ein für ihn typisches Foto, denn er hat seit Beginn der 1950er Jahre vor allem auch die Proteste auf den Straßen West-Berlins in Fotos festgehalten. Die Werkschau des Fotografen Jürgen Henschel im Schöneberg Museum, des kommunalen historischen Museums des Bezirks Schöneberg in Berlin, zeigt 100 schwarz-weiß Fotos, die zwischen 1953 und 1990 aufgenommen wurden, vor allem in Schöneberg und Tempelhof. Sie stammen aus dem Archiv der Museen Tempelhof-Schöneberg, in dem 23.000 Negative von Jürgen Henschel aus seinem Nachlass aufbewahrt werden. (Weitere 25.000 Negative befinden sich im Archiv des Friedrichshain-Kreuzberg Museums. Zwischen 1959 und 1991 nahm Jürgen Henschel über 200.000 Bilder auf.)
Der Mörder von Benno Ohnesorg war der westberliner Polizist Karl-Heinz Kurras, der Mitglied der SPD in West-Berlin war, und gleichzeitig Mitglied der SED in Ost-Berlin. Viel später wurde bekannt, dass Kurras auch Inoffizieller Mitarbeiter (IM) der Stasi war. Die ganze Geschichte des politischen Mordes war ziemlich wirr und verworren, und genauso wirr war die Situation in West-Berlin. Die SED solidarisierte sich umgehend mit den Studenten und prangerte die Notstandspolitik des westberliner Senats als unmenschlich an.
Bevor Jürgen Henschel als Autodidakt in West-Berlin zum Fotografen wurde, hatte er schon ein bewegtes Leben hinter sich. In Berlin 1923 geboren, wurde er als junger Mann in die Wehrmacht gesteckt und im 2. Weltkrieg an die Ostfront geschickt. Nach sowjetischer Kriegsgefangenschaft entwickelte er eine kommunistische Überzeugung. Nach der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft 1949 lebte er in West-Berlin. Als politisch engagierter Mensch fotografierte er Proteste und Demonstrationen, die Veränderungen in der Stadtlandschaft, den Abriss von Ruinen, die Studentenbewegung, die Kämpfe der Hausbesetzungen, die Auseinandersetzungen um den Autobahnbau, die Eintönigkeit des sozialen Wohnungsbaus, den Alltag der Stadt.
Er fotografierte vor allem für die sozialistische Tageszeitung »Die Wahrheit«. Von 1967 bis 1990 war er festangestellter Pressefotograf der »Wahrheit«, der Parteizeitung der Sozialistischen Einheitspartei Westberlins (SEW). Übrigens: West-Berlin oder Berlin (West) wurde von den Kommunisten stets Westberlin geschrieben. Die SEW war die Schwesterpartei der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) in Ost-Berlin, das aber offiziell "Berlin, Hauptstadt der DDR" hieß. (Die Parteizeitung der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) hieß übrigens auch "Prawda" (Wahrheit)).
Die Partei SEW war zu Mauerzeiten (1961-1990) in West-Berlin nicht sehr erfolgreich und dümpelte bei Wahlen um die 1 % herum. Auch die sozialistische Tageszeitung »Die Wahrheit« war keine weit verbreitete Zeitung, sondern überlebte nur dank der Finanzierung aus Ost-Berlin. Jürgen Henschel war auch als der "Mann mit der Leiter" bekannt, denn häufig hatte er eine Leiter bei Demonstrationen dabei, um die Menschenmassen aus einer erhöhten Perspektive beeindruckender fotografieren zu können. Jürgen Henschel war ein politischer zeitgeschichtlicher Fotograf von West-Berlin, er war kein Arbeiterfotograf im eigentlichen Sinn, dafür war er zu spät geboren.
Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass die 100 Bilder des kommunistischen Fotografen heute in der Protz-Villa eines Schöneberger Millionenbauern gezeigt werden.
Dr. Christian G. Pätzold.
Jürgen Henschel - Fotochronist im geteilten Berlin
Ausstellung im Schöneberg Museum, Hauptstraße 40, Berlin Schöneberg
Öffnungszeiten: Samstags bis Donnerstags 14 bis 18 Uhr, Freitags 9 bis 14 Uhr
Der Eintritt ist frei.
www.museen-tempelhof-schoeneberg.de
Seht bitte auch den Artikel "Alfred Hrdlicka - Der Tod des Demonstranten" mit Foto des Kunstwerks in Berlin Charlottenburg vom 2017/06/02 auf www.kuhlewampe.net.
Der Mann mit der Leiter.
Jürgen Henschel fotografiert eine Friedensdemonstration in der Pallasstraße
auf Höhe des Bunkers und des heutigen Pallasseums, Berlin Schöneberg 1986.
Foto Ute und Bernd Eickemeyer, Museum Tempelhof-Schöneberg | Archiv.
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2024/04/14
wolfgang weber
one more once
ein weiteres mal
immer immer wieder
monotonie
immer der gleiche handgriff
gibt's da 'nen begriff für
handgreiflich
nicht doch
routine
standard
vielleicht
wiederkehrend
immer wieder
wieder kehrend
one more once
kehrwieder
insel in hamburg
kehr ein immer wieder
zum stammtisch
bier & schnaps
sagt das klischee
schlechter ruf
schlimmer ruf
hinterzimmer
dunkel
verraucht
unter bestimmten voraussetzungen
geht das immer noch
eintritt erst ab 21
parolen
geschrei
geflüster
speak easy
spielkarten
skat
doppelkopf
elfer raus
schnaps
saufen
grölen
alles vorurteil ?
(fragezeichen)
ja & nein
schwarz & weiß
hell & dunkel
kurz & lang
schnell & langsam
hoch & tief
halb & doppelt
wild & gesittet
wellensittich
groß & klein
so soll es sein
lang & breit
mit darm & ohne
brav & heftig
one more once
so heißt es in einem stück
von count basie
es gibt mehrere falsche schlüsse
besonders bei live aufnahmen
immer wieder
ruft basie
one more once
obwohl das stück
schon mehrmals zuende war
heißt es immer & immer wieder
one more once
noch einmal
nach dem ersten
& dem allerletzten schluss
kommen immer &
immer wieder
weitere falsche schlüsse
one more once
noch ein trommelwirbel
noch ein basslauf
ein weiteres glissando vom klavier
noch ein tutti der bläser
saxophone trompeten
klarinetten flöten
one more once
wie sagen sie im funk [a:]
nicht funk [u]
more bounce to the ounce
© wolfgang weber, april 2024.
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2024/04/10
Dagmar Sinn
Im Tunnel
Vor etwa 20 Jahren - Deutschland, eine Kreisstadt am Niederrhein:
Eine Abiturientin schreibt für den Deutschunterricht eine Hausarbeit mit der Überschrift "Die Angst vor dem schwarzen Loch": Ein junges Mädchen russischer Herkunft nimmt Abschied von ihrer Familie, um in Deutschland armen Menschen zu helfen. Sie kommt vom Weg ab, fängt sich aber und will im Westen ein neues Leben beginnen. Sie kauft sich ein kleines Auto und fährt Richtung Hamburg. Im Elbtunnel fährt sie auf einen Tanklaster auf und verunglückt tödlich.
Eine erfundene Geschichte.
2006, Norwegen, Trondheim:
Die Schülerin ist jetzt Studentin an der NTNU (Norwegian University of Science and Technology). Zusammen mit 3 Bekannten will sie einen Ausflug auf die Inselgruppe der Lofoten machen. Sie mieten einen 14 Jahre alten Mazda. Sie kommen nie an. Abends gegen 23 Uhr werde ich angerufen - Unfall in einem Tunnel. Ich kriege eine Gänsehaut. Die Lenkung des alten Mazda hat versagt. Totalschaden, der PKW verfehlt knapp die Tunnelwand. Die Insassen kommen mit dem Schrecken davon. Unsere Tochter war kurz vorher auf dem Rücksitz eingeschlafen. Nur ihre Jeans ist zerrissen.
Eine wahre Geschichte. Zufall?
destino, spanisch: Schicksal, Bestimmungsort, Ziel.
© Dagmar Sinn, April 2024.
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2024/04/08
Dr. Jane Goodall ist 90
Primatenforscherin und Umweltaktivistin
geboren in London/England am 3. April 1934
Quelle: www.
Dr. Jane Goodall im Botanischen Garten Berlin Dahlem, Juni 2015.
Foto von Dr. Christian G. Pätzold.
Jane Goodall war ursprünglich keine ausgebildete Wissenschaftlerin. Trotzdem hat sie durch ihre jahrelangen Beobachtungen seit 1960 von frei lebenden Schimpansen im Gombe-Stream-Nationalpark in Tansania wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse gewonnen. Schimpansen gelten ja als die nächsten Verwandten der Menschen im Tierreich. Ausgangspunkt ihrer Arbeit war die Begegnung 1957 mit Louis Leaky (1903-1972) im Kenya National Museum in Nairobi. Louis Leaky war ein britischer Paläoanthropologe und der Direktor des Kenya National Museum. Dort bekam Jane Goodall eine Anstellung. Leaky wollte durch Langzeitbeobachtungen des Verhaltens von Menschenaffen neue Erkenntnisse über das Verhalten der frühen Menschen herausfinden, quasi durch Analogieschlüsse. Und so kam es, dass Jane Goodall die Schimpansen im Freiland studierte, Dian Fossey die Gorillas und Biruté Galdikas die Orang-Utans in Borneo. Sie wurden später die Trimates genannt.
Jane Goodall entdeckte als erste, dass frei lebende Schimpansen Werkzeuge verwenden (Tool using). Früher war angenommen worden, dass der Gebrauch von Werkzeugen ein ausschließliches Merkmal des Menschen sei. So verwenden frei lebende Schimpansen Steine als Hammer und Amboss, um Nüsse zu knacken. Sie benutzen auch Pflanzenstängel, um Termiten aus ihren Bauen zu angeln. Außerdem konnte sie beobachten, dass verschiedene Schimpansengruppen eine Art Krieg gegeneinander führen, bei dem es auch zu Toten kommt. Eine andere Beobachtung war, dass Schimpansengruppen gemeinschaftlich Jagd auf andere Affenarten machen und deren Fleisch essen. Über ihre ethologischen Beobachtungen hat Jane Goodall mehrere Bücher veröffentlicht.
Dr. Christian G. Pätzold.
Literatur: Jane Goodall: Ein Herz für Schimpansen - Meine 30 Jahre am Gombe-Strom. Reinbek bei Hamburg 1991 (Rowohlt).
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2024/04/06
Tagebuch 1974, Teil 73: Bangkok II (Krung Thep)
von Dr. Christian G. Pätzold
Königstempel Wat Phra Kaeo (Innenhof), Bangkok.
Quelle: Wikimedia Commons. Foto von Ch. Meissner, September 2004.
1. Januar 1974, Bangkok, Dienstag
Heute war Neujahr, der erste Tag des Jahres 1974. Wir haben uns ausgeruht und gelesen. Ich habe etwas Thailändisch gelernt, um die Basics der wundervollen thailändischen Kochkunst zu verstehen. Thailändische Gerichte:
Mu Pat Prio Wan = Schwein süß-sauer; Lat Kao = auf Reis;
Gai Pat Lat Kao = Huhn mit Reis; Goitio Nam = Nudelsuppe;
Nüa Pat Naman Hoi = Rind gebraten in Muschelöl; Salat Gai = Hühnersalat;
Goitio Pat Tai = Nudeln mit Bambus; Boibia Sai Gung = überbacken mit Krabben;
Salat Kai = Eiersalat; Kai Jak Sai = Omelett mit Gehacktem;
Mi Mai ? = Haben Sie ?; Tau Lai ? = Wie viel kostet ?
2. Januar 1974, Bangkok, Mittwoch
Bangkok war bunt, tropisch, exotisch und interessant. In Thailand herrschte König Bhumibol (1927-2016) mit seiner Königin Sirikit (geb. 1932), die angeblich im Volk beliebt waren. König Bhumibol nannte ich immer Blumenkohl, weil ich mir Bhumibol nicht gut merken konnte. Es ist interessant zu wissen, dass Thailand (früherer Name: Siam) nie eine Kolonie einer europäischen Macht war, im Gegensatz zu den anderen Ländern in Süd-Ost-Asien. Thailand war immer ein selbständiges Königreich.
Thailand war buddhistisch geprägt, aber vermischt mit einem lebendigen Geisterglauben. Kleine Geisterhäuschen auf Pfählen sah man öfter in den Straßen von Bangkok. Dort platzierten die Thailänder:innen Räucherstäbchen und Nahrungsmittel für die Geister, wahrscheinlich um sie bei Laune zu halten.
3. Januar 1974, Bangkok, Donnerstag
Meine Reisepartnerin hat für 90 Baht eine Fahrt durch die Klongs von Bangkok unternommen. Klong heißen die Kanäle, die als Transportwege und als schwimmende Märkte dienten, mit Häusern auf Stelzen an den Ufern. Die Klongs waren auch eine Touristenattraktion, weil man dort das bunte Alltagsleben der Thailänder:innen ansehen konnte. Die schmalen Kanäle waren ziemlich verstopft durch die vielen Boote.
Wir haben den Tempelbezirk besucht, in dem sich der Smaragd-Buddha befindet. Von den hunderten Tempeln Bangkoks ist der Königstempel Wat Phra Kaeo (Tempel des Smaragd-Buddha) der wichtigste Tempel. Wat bedeutet Tempel. Darin befindet sich der Smaragd-Buddha (englisch: Emerald Buddha), das Nationalheiligtum Thailands. Tatsächlich ist der Buddha jedoch nicht aus Smaragd hergestellt, sondern aus Jade. Der Smaragd-Buddha hat 3 verschiedene Gewänder, die den Jahreszeiten angepasst werden, 1 Gewand für die Heiße Jahreszeit, 1 Gewand für die Kühle Jahreszeit und 1 Gewand für die Regenzeit. Das zeigte das Feingefühl der Thailänder, dass sie den Buddha je nach Jahreszeit passend einkleideten. Ich habe den Smaragd-Buddha in der Kleidung für die kühle Jahreszeit gesehen, bei der der größte Teil des Körpers des Buddha mit goldener Kleidung bedeckt ist. Die ganze Tempelanlage war sehr eindrucksvoll, golden und glitzernd, mit der typischen thailändischen Tempelarchitektur.
4. Januar 1974, Bangkok, Freitag
Heute haben wir uns den ganzen Tag um unser Flugticket nach Los Angeles mit zahlreichen Zwischenstops gekümmert. Die günstigste Fluggesellschaft war Korean Airlines. Es gab einige Fluggesellschaften, die sich bemühten, ihre Flugzeuge auf der Trans-Pazifik-Strecke voll zu bekommen, daher waren die Flüge relativ günstig zu haben. Korean Airlines bot Zwischenstops in Hongkong, Taipeh, Seoul, Tokio und Honolulu an, das heißt man konnte dort aussteigen, ein paar Tage oder Wochen bleiben, und dann wieder zum nächsten Stop fliegen. Das war genau in unserer Absicht, denn wir wollten ja die verschiedenen Länder näher kennen lernen.
Vor dem Central Department Store in der Silom Road haben wir demonstrierende Studenten gesehen. Sie agitierten gerade vor dem Kaufhaus gegen den Kauf von ausländischen Waren und Luxusartikeln, was mit der buddhistischen Tugend der Genügsamkeit zusammen passte, und für den Kauf von thailändischen Waren.
© Dr. Christian G. Pätzold, April 2024.
Der Smaragd-Buddha in Winterbekleidung, Wat Phra Kaeo, Bangkok.
Quelle: Wikimedia Commons. Foto von Gremel Madolora, Dezember 2011.
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2024/04/02
Tagebuch 1973, Teil 72: Bangkok I (Krung Thep)
von Dr. Christian G. Pätzold
Das Wappen von Bangkok. Quelle: Wikimedia Commons.
29. Dezember 1973, Bangkok (Krung Thep), Sonnabend
Wir waren mit dem Zug in Bangkok eingetroffen und sind mit dem Taxi zum DED Office gefahren. Die thailändische Hauptstadt Bangkok heißt auf Thailändisch Krung Thep. Die Währung hier hieß Baht. Das Königreich Thailand war schon die 3. Monarchie, die wir besuchten, nach dem Kaiserreich Iran und Malaysia. Im Lauf unserer Reise sollten wir noch das Kaiserreich Japan besuchen. Das wars dann aber auch mit den Monarchien. In Amerika, wohin wir danach reisten, gab es keine Monarchien.
Herr Haverkorn vom Deutschen Entwicklungsdienst (DED), den wir im Zug kennen gelernt hatten, ließ uns im Office des DED in Bangkok im Gästezimmer übernachten, jedenfalls solange keine Entwicklungshelfer:innen eintrafen, die dort übernachten wollten. Das war sehr freundlich, dadurch konnten wir die Kosten für ein Hotel sparen und Entwicklungshelfer:innen kennen lernen.
Ich war mir aber nicht so sicher, ob die Thailänder:innen überhaupt Entwicklungshelfer:innen aus der Bundesrepublik Deutschland brauchten. Thailand war ein ganz normales südostasiatisches Land mit einer hohen kulturellen Entwicklung. Entwicklungshilfe hatte Thailand eigentlich nicht nötig. Das Königreich Thailand war nie Kolonie einer ausländischen Macht gewesen. Aber die Thailänder waren ein gutmütiges Volk und haben wahrscheinlich gedacht: Wenn ihr unbedingt deutsche Entwicklungshelfer:innen schicken wollt, dann schickt sie eben. So ein paar Helfer:innen können ja keinen großen Schaden anrichten. Schließlich galt Thailand als Land des Lächelns. Und die deutsche Bundesregierung war natürlich der Meinung, am deutschen Wesen solle die ganze Welt genesen. Für uns war die Bekanntschaft mit den deutschen Entwicklungshelfer:innen in Thailand sehr hilfreich, denn durch sie konnten wir das Leben in einigen thailändischen Dörfern etwas näher kennenlernen.
Der thailändische Kalender war anders als der christliche europäische Kalender. In Thailand hatten wir heute nicht den 29. Dezember 1973, sondern den 29. Dezember 2516. Der Thailändische Suriyakati-Kalender basiert auf der Buddhistischen Zeitrechnung. Die Zählung der Jahre beginnt mit dem Jahr 1 nach dem Todesjahr von Gautama Buddha, also mit dem Jahr 544 vor der christlichen Zeitrechnung. Dadurch sind die Jahreszahlen um 543 größer als in der christlichen Zeitrechnung. Nach dem thailändischen Kalender waren wir also schon im 26. Jahrhundert. Früher auf unserer Reise hatten wir ja schon den Islamischen Kalender kennen gelernt, der auch anders zählt als der christliche Kalender.
Thailand hat auch eine eigene thailändische Schrift, die ich in der Kürze der Zeit nicht lernen konnte. Das war aber kein Problem, da die wichtigsten Infos für Reisende in lateinischer Schrift und in englischer Sprache angeschlagen waren. Allgemein kann man sagen, dass die thailändische Schrift komplizierter ist als die lateinische Schrift, da sie mehr Schriftzeichen hat.
Abends haben wir einen in Hongkong gedrehten Martial-Arts-Film gesehen, »Enter the Dragon« (deutsch: Der Mann mit der Todeskralle) mit Bruce Lee (1940-1973), der der bekannteste chinesische Kung-Fu-Schauspieler war. Es war eine moderne Geschichte, etwas im Stil von James Bond. Es war der letzte Film mit Bruce Lee. Er war kurz vorher am 20. Juli 1973 in Hongkong an Überarbeitung gestorben, mit nur 32 Jahren. Der Film gilt als Klassiker der Kung-Fu-Filme.
Ich habe noch etwas Geld gewechselt. Wechselkurs: 1 DM = etwa 7 Baht.
30. Dezember 1973, Bangkok, Sonntag
Heute waren wir an der Thammasat University, um mit einem Studentenvertreter zu sprechen, dessen Adresse wir hatten. Die Thammasat University war eine renommierte und große staatliche Universität. Unser Gesprächspartner war von der Federation of Independent Students of Thailand (FIST). Er war sehr reserviert und hat kaum mit etwas rausgerückt. Zu Forderungen für die neue Verfassung wollte er gar nichts sagen. Immerhin war von ihm zu hören, dass der König gut sei und beim Volk beliebt. Grundsätzliches zur Monarchie wollte er nicht sagen. Es gab auch eine weitere Studentenorganisation, das Nationale Studentenzentrum Thailands (NSCT), das stärker links ausgerichtet zu sein schien.
Die Thammasat University war in den 1970er Jahren ein Zentrum der prodemokratischen Studentenbewegung, die sich für eine neue Verfassung und für Demokratie einsetzte. Von ihr ging der Volksaufstand im Oktober 1973 aus, der zum Ende der 15-jährigen Militärdiktatur führte. Der Rektor der Universität wurde vom König beauftragt, eine liberale Verfassung auszuarbeiten.
Die Situation Ende 1973 muss vor dem Hintergrund des Vietnamkrieges gesehen werden, der in der Nachbarschaft von Thailand wütete. Die herrschende Oberschicht in Thailand hatte Angst, dass Thailand als Dominostein kommunistisch werden würde, wenn Vietnam, Kambodscha und Laos kommunistisch würden. Viele Studenten der Thammasat University waren links, kommunistisch, sozialistisch, marxistisch oder maoistisch eingestellt. Die Einflüsse der Sowjetunion und der Volksrepublik China waren groß.
Nachts war es hier sehr kühl, nur 15 Grad Celsius, im Norden sogar nur 5 Grad Celsius. Man sagte, es sei der kälteste Winter seit 36 Jahren. Ich habe die Kälte allerdings überhaupt nicht gespürt, für mich war es ganz normales Sommerwetter.
31. Dezember 1973, Bangkok, Montag
Heute war Silvester, der letzte Tag des Jahres, aber von Silvesterfeierlichkeiten in Bangkok habe ich nichts mitbekommen. Wir haben uns etwas ausgeruht. Das ist eine Gelegenheit, auf unsere bisherige Reise zurückzublicken. Seit wir am Sonnabend 7. Juli 1973 in Berlin Richtung Warschau losgefahren sind haben wir schon eine Reihe von Ländern besucht, immer Richtung Osten: Wir waren in Polen, in der Ukraine, Russland, Georgien, Armenien, Iran, Afghanistan, Pakistan, Indien, Sri Lanka, Singapur, Malaysia und jetzt in Thailand. Wir waren in sozialistischen Staaten und in kapitalistischen Staaten, in Monarchien und Republiken, in atheistischen Staaten, in moslemischen, hinduistischen und buddhistischen Staaten. Wir sind mit dem VW-Bulli in der Sowjetunion gefahren, mit der Eisenbahn, mit Reise-Bussen, mit dem Flugzeug von Colombo nach Singapur, mit dem Boot auf dem Ganges und mit der Fähre nach Penang. Unterwegs haben wir viele verschiedene Menschen kennen gelernt. So verschieden die Menschen auch waren, sie waren doch meist sehr freundlich und hilfsbereit uns gegenüber als Reisenden und fremden Ausländern und wollten uns etwas zeigen. Es gab ein gemeinsames Interesse, miteinander zu sprechen und die Lebensverhältnisse kennen zu lernen, was natürlich nur möglich war, weil wir Englisch sprechen konnten. Darüber hinaus haben wir natürlich auch viele unterschiedliche Landschaften, Flora und Fauna, Architektur und Speisen kennen gelernt. In den vergangenen 6 Monaten haben wir unser Wissen durch praktische Anschauung enorm gesteigert. Quasi durch Anschauung der Welt eine Weltanschauung entwickelt.
Postscriptum April 2024:
Heute wäre diese damalige Reiseroute von 1973 so nicht mehr gut möglich. Die politische Weltlage hat sich verschlechtert und ist in einigen Teilen sehr viel gefährlicher geworden, scheint mir. In der Ukraine ist Krieg, in Russland ist es schwierig für Ausländer. Das Auswärtige Amt hat schon von Reisen nach Russland dringend abgeraten, weil man dort verhaftet werden könne. Deutschland ist ja an dem Krieg zwischen Russland und der Ukraine erheblich beteiligt. Russland und Georgien sind in einem eingefrorenen Kriegszustand, im Iran und in Afghanistan herrschen fanatische Mullahs, die westliche Reisende nicht so gern sehen. Eine Weltumrundung über Land müsste heute eine ganz andere Route nehmen.
© Dr. Christian G. Pätzold, April 2024.
Zum Anfang
2024/03/31
Zum Anfang
2024/03/27
Rosa Luxemburg, 1871 - 1919
Zum Anfang
2024/03/23
Filmtipp:
»Die Dreigroschenoper« (1931) - Film und Gespräch
Ernst Busch in Spielfilmen der Weimarer Republik (Folge 5)
Dienstag, 26. März 2024, 18:00 Uhr
Helle Panke, Kopenhagener Str. 9, Berlin Prenzlauer Berg
"Wiederbegegnung mit einem kostbaren filmischen Dokument: G. W. Pabsts Verfilmung der Dreigroschenoper mischt wesentliche Elemente des Bühnenstücks mit Szenen aus Brechts umstrittener Filmvorlage Die Beule, endend mit den berühmten Schlusszeilen "Und man sieht nur die im Lichte | Die im Dunkel sieht man nicht."
Der gerade 30-jährige Ernst Busch als Moritatensänger (mit mehrfachen Auftritten im Film): eine in Ausdruck und Gesang bestechende Leistung. Carola Neher als Polly, Lotte Lenya als Jenny, Rudolf Forster als Macheath und weitere bekannte Mimen im Ensemble, dazu die Weillsche Musik, authentisch gespielt von der Lewis Ruth Band - das Berlin der endzwanziger Jahre lässt grüßen!"
Einführung: Dr. Jürgen Schebera
Moderation: Dr. Carola Schramm
Eine Veranstaltung der Helle Panke e.V. - Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin in Kooperation mit der Ernst Busch-Gesellschaft.
Eintritt: Euro 3,00/1,50
www.ernst-busch.org
www.helle-panke.de
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2024/03/20
Reinhild Paarmann
"Krieg und Frieden" (1)
1805 besetzten russische Truppen
Dörfer und Städte des Erzherzogtums Österreich,
2022 griffen Putins Truppen
die Ukraine an,
der große Bruder will den kleinen einverleiben,
das große Reich soll auferstehen.
Wir helfen den Überfallenen
mit Haubitzen und Panzern.
Seine Freiheit soll auch unsere sein,
räkeln uns im Frieden,
Sanktionen gegen Putins Krieg
dreht uns den Gashahn zu,
viele Räder stehen still,
weil sein Arm das will,
Alternative Energie oder Wettbewerb
Um jeden Preis.
Ist das der Preis der Freiheit?
Wer muss ihn zahlen, wer nicht?
Auf die Schuldenbremse drücken
die Liberalen.
Wo ist die Schuld,
die wenig haben?
Sollen wir David
Goliath überlassen?
"s' ist Krieg! S' ist Krieg!...
Und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!" (2)
Wo ist unsere Schuld?
Wir haben die Ukraine ermutigt,
der NATO beizutreten.
Wird David wieder Goliath überlisten können?
(1) Tolstoi
(2) Matthias Claudius. 1778 Bayrischer Erbfolgekrieg
© Reinhild Paarmann, März 2024.
Zum Anfang
2024/03/16
Seit 50 Jahren
von Dr. Christian G. Pätzold
In der ufaFabrik in Berlin Tempelhof.
Foto von Dr. Christian G. Pätzold, August 2012.
Kontinuitäten in West-Berlin, Geschichte aus dem alten West-Berlin. Dieses Jahr gibt es einige kulturelle Institutionen, die auf 50 Jahre Existenz in West-Berlin zurückblicken. Das ist kein Zufall, denn 1968 war eine Mini-Revolution, die in den folgenden Jahren zu zahlreichen Neugründungen geführt hatte, die der alten Gesellschaft, die aus der Nazizeit kam, eine sozialistische Alternative entgegenstellen wollten, die allerdings etwas anders war als Ost-Berlin. Denn für die antiautoritäre Student:innenbewegung in West-Berlin war der Sozialismus in Ost-Berlin zu spießig, zu bürokratisch und zu autoritär.
Am offensichtlichsten waren die politischen Buchläden, die damals wie Pilze aus dem Boden schossen, und die ausschließlich politische sozialistische Bücher verkauften. Die Nachfrage nach linker Literatur war bei der jungen Generation enorm, sowohl nach Belletristik als auch nach Geschichte, Politik, Soziologie, ökonomischer Theorie und Wirtschaftspolitik, Psychologie, Philosophie und anderem. Neue linke Verlage wie der Klaus Wagenbach Verlag in West-Berlin waren sehr erfolgreich. In der Lietzenburger Straße am Olivaer Platz gab es im Souterrain einen bekannten politischen Buchladen. Die Buchhändler:innen haben damals stapelweise Bücher aus Peking bestellt, vorzugsweise die Gesammelten Werke von Mao Tse-tung in deutscher Übersetzung. In China war Kulturrevolution. Die Rote Garde, die Jugendorganisation der Kommunistischen Partei Chinas, war damals sehr beliebt. Auch am Savignyplatz in Charlottenburg gab es einen großen politischen Buchladen.
Diese Buchläden gibt es heute nicht mehr. Sie sind irgendwann in den Umwälzungen der letzten 50 Jahre untergegangen. Aber es gibt immer noch linke politische Buchläden in Berlin. Lohnenswerte Adressen mit riesigen Beständen sozialistischer Literatur (Sozialistica) sind das Rote Antiquariat in der Rungestraße 20 in Berlin Mitte. Der Buchladen Schwarze Risse im Mehringhof (Gneisenaustraße 2a) in Kreuzberg, mit dem Laden hängt auch der Verlag Assoziation A zusammen. Und der Kleine Buchladen im Karl-Liebknecht-Haus am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin Mitte. Auch das Antiquariat der Hellen Panke in Prenzlauer Berg.
50 Jahre existiert der Kunstraum Bethanien am Mariannenplatz in Kreuzberg, 1973 besetzt und seitdem bis heute ein Gebäude für Künstler und Kunstausstellungen. Schon im Dezember 1971 wurde das benachbarte Georg-von-Rauch-Haus von Jugendlichen besetzt, das war der Beginn der Hausbesetzerbewegung in Berlin, die besonders in den 1980er Jahren Fahrt aufnahm. Die Hausbesetzerbewegung begann damals, weil viele Häuser leer standen und der Wohnungsmangel groß war. Im Rauch-Haus lebt noch heute ein selbstverwaltetes Wohnkollektiv.
Zu dieser Zeit entstand der bekannte Rauch-Haus-Song, die Hymne der Hausbesetzer, die während der Besetzung 1971 von Rio Reiser von der Band Ton Steine Scherben geschrieben wurde:
"Der Mariannenplatz war blau, soviel Bullen waren da,
und Mensch Meier mußte heulen, das war wohl das Tränengas.
Und er fragt irgendeinen: "Sag mal, ist hier heut 'n Fest?"
"Sowas ähnliches", sacht einer "das Bethanien wird besetzt."
"Wird auch Zeit", sachte Mensch Meier, stand ja lange genug leer.
Ach, wie schön wär doch das Leben, gäb es keine Pollis mehr.
Doch der Einsatzleiter brüllte: "Räumt den Mariannenplatz,
damit meine Knüppelgarde genug Platz zum Knüppeln hat!"
Doch die Leute im besetzen Haus
riefen: "Ihr kriegt uns hier nicht raus!
Das ist unser Haus, schmeißt doch endlich
Schmidt und Press und Mosch aus Kreuzberg raus."
Der Senator war stinksauer, die CDU war schwer empört,
daß die Typen sich jetzt nehmen, was ihnen sowieso gehört.
Aber um der Welt zu zeigen, wie großzügig sie sind,
sachten sie: "Wir räumen später, lassen sie erstmal drin!"
Und vier Monate später stand in Springer's heißem Blatt,
daß das Georg-von-Rauch-Haus eine Bombenwerkstatt hat.
Und die deutlichen Beweise sind zehn leere Flaschen Wein
und zehn leere Flaschen können schnell zehn Mollies sein.
Doch die Leute im Rauch-Haus
riefen: "Ihr kriegt uns hier nicht raus!
Das ist unser Haus, schmeißt doch endlich
Schmidt und Press und Mosch aus Kreuzberg raus."
Letzten Montag traf Mensch Meier in der U-Bahn seinen Sohn.
Der sagte: "Die woll'n das Rauch-Haus räumen,
ich muß wohl wieder zu Hause wohnen."
"Is ja irre", sagt Mensch Meier "sind wa wieder einer mehr
in uns'rer Zweiraum Zimmer Luxuswohnung
und das Bethanien steht wieder leer.
Sag mir eins, ha'm die da oben Stroh oder Scheiße in ihrem Kopf?
Die wohnen in den schärfsten Villen, unsereins im letzten Loch.
Wenn die das Rauch-Haus wirklich räumen,
bin ich aber mit dabei und hau den ersten Bullen,
die da auftauchen ihre Köppe ein."
Und ich schrei's laut:
"Ihr kriegt uns hier nicht raus!
Das ist unser Haus, schmeißt doch endlich
Schmidt und Press und Mosch aus Kreuzberg raus."
Und wir schreien's laut:
"Ihr kriegt uns hier nicht raus!
Das ist unser Haus, schmeißt doch endlich
Schmidt und Press und Mosch aus Kreuzberg raus."
Die herrschenden Politiker in West-Berlin hatten eine höllische Angst vor einem Aufstand der Jugend in West-Berlin, denn das wäre ein gefundenes Fressen für die Kommunisten in Ost-Berlin gewesen.
Weitere kulturelle Projekte von Hausbesetzern, die heute noch sehr munter sind: Die ufaFabrik in Tempelhof und die Regenbogenfabrik in Kreuzberg. Sie entstanden etwas später, die ufaFabrik wurde 1979 besetzt, die Regenbogenfabrik 1981. Die ufaFabrik ist ein selbstverwaltetes Kulturprojekt auf einem größeren Gelände am U-Bahnhof Ullsteinstraße. Dort befinden sich heute ein Kinderbauernhof, ein Spielplatz, eine Freie Grundschule, ein Naturkostladen, eine Biobäckerei, das Café Rudi & Rosa, mehrere Säle und Studios für Filmvorführungen, Kabarett und Variete, eine Freilichtbühne, ein Gästehaus mit 10 Zimmern, eine Kinderzirkusschule und ein Nachbarschafts-Zentrum. Alles Öko.
Was hat noch die letzten 50 Jahre überlebt? Da wären die Lateinamerika-Nachrichten zu erwähnen, die ursprünglich Chile-Nachrichten hießen, und die ihre Redaktion ebenfalls im Mehringhof in Kreuzberg haben. Sie sind nach dem faschistischen Putsch in Chile im September 1973 entstanden, als das Bedürfnis nach Nachrichten aus Latein-Amerika sehr groß war.
Auch das legendäre griechische Restaurant Terzo Mondo in der Charlottenburger Grolmanstraße am Savignyplatz wurde 1972 gegründet. Es hat bis heute einen separaten Raum mit Bühne für Literaturveranstaltungen und Musikveranstaltungen. Gründer war Kostas Papanastasiou, der der Meinung war, dass die Studenten nach ihren kämpferischen Vietnam-Demos auf dem Kudamm ein Restaurant brauchten, um danach zu feiern. Kostas Papanastasiou war nicht nur Gastwirt, sondern vor allem auch Schauspieler, der durch seine Rolle als griechischer Wirt in der Fernsehserie Lindenstraße sehr bekannt wurde. Kostas ist 2021 gestorben und das Restaurant wird von seinem Sohn Marc-Alexey Papanastasiou fortgeführt, der für seine Gäste manchmal Gitarre spielt und griechische Lieder singt. Ähnlich legendär ist das Schwarze Café in der Kantstraße am Savignyplatz, 1978 gegründet als Treffpunkt der linken Szene, das es auch noch gibt.
So viel zu Kreuzberg, Charlottenburg und Tempelhof. Nach 1990 ist in Ost-Berlin ein ganz neuer Kosmos von kulturellen Initiativen entstanden, hauptsächlich in Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain.
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2024/03/13
Perle des Tages:
Hier mal ein hörenswerter jugendlich-munterer Podcast-Beitrag von Dr. Wolfgang Endler über das Älterwerden:
https://www.podcast.de/episode/620392482/wolfgang-ueber-chancen-des-aelterwerdens
Interviewerin: Jana Berwig
Dieser Podcast-Link funktioniert leider nicht mehr.
Bitte zu www.podcast.de gehen und dort in der Suche-Leiste Berwig eingeben und dann in der Podcast-Reihe von Jana Berwig Wolfgang auswählen!
Entschuldigung für den vermurksten Link.
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2024/03/12
Küchenstillleben
Foto von Dr. Christian G. Pätzold.
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2024/03/09
Für ein Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) von 1.500 Euro
im Monat für Alle !
Für ein menschenwürdiges Leben in Deutschland !
Es ist alles schon durchgerechnet und mit Leichtigkeit finanzierbar.
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2024/03/06
Camping wird in Berlin immer beliebter
Ist das schon der Klimawandel ?
Fotografiert von Dr. Christian G. Pätzold, November 2023
Tiny Homes mit Garten
Wassergrundstück
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2024/03/02
Dagmar Sinn
Die Festung Bourtange - ein historischer Ausflug zum niederländischen Nachbarn
Die Festung Bourtange, rekonstruierte Klappbrücke über den Graben mit Eingangstor.
Foto von © Dagmar Sinn, Dezember 2023.
Schon lange vor dem 30jährigen Krieg, der ganz Europa verwüstet, kämpfen unsere Nachbarn in den heutigen Niederlanden in ihrem eigenen Macht- und Glaubenskrieg. Bereits 1568 rebellieren die nördlichen protestantischen Provinzen gegen ihre Besetzung durch die katholischen Habsburger aus Spanien. Dieser Krieg geht als 80jähriger Krieg in die Geschichte ein und endet 1648 im selben Jahr wie der 30jährige Krieg im restlichen Europa. Aus den protestantischen Nordprovinzen entstehen die heutigen Niederlande, aus den südlichen mehrheitlich katholischen Landesteilen stammt der Vorläuferstaat des heutigen Belgien.
In den Niederlanden gibt es während des Krieges auch Friedenszeiten: Gleichzeitig mit dem Kampfgeist und Erwachen eines Nationalbewusstseins beginnt mit der Blüte von Kunst, Wissenschaft und Handel ab 1580 hier das "Goldene Zeitalter".
In diese Zeit fällt auch das aktive Eingreifen des aus Hessen stammenden Wilhelm I. von Oranien (1533 - 1584), einem der bekanntesten Anführer von protestantischer Seite, der heute noch sehr populär ist und mit der Nationalfarbe Orange (Oranje) verehrt wird. Er lässt auf einem Sandrücken (= Tange) inmitten eines ausgedehnten Hochmoorgebietes eine Festung in Form eines fünfeckigen Sterns mit Bastionen an allen fünf Ecken errichten - Bourtange. Zahlreiche Wassergräben um die Anlage und das unwirtliche Moor sind unüberwindbar. Sein Plan, die Spanier in der Besatzungsstadt Groningen von Versorgungswegen abzuschneiden, gelingt. Die Festung wird nie eingenommen, auch 100 Jahre später nicht.
Doch der Zahn der Zeit nagt an Bourtange, der Verfall lässt sich nicht aufhalten. Im 19. Jahrhundert wird die Festung aufgegeben und steht kurz vor dem Abriss. Glücklicherweise beschließt man 1970 nach alten Plänen den historischen Wiederaufbau von Festung und Wohnbebauung. Die Umgebung wird renaturiert und mit Naturpfaden, Rad- und Wanderwegen wieder zugänglich gemacht. Heute ist Bourtange ein Museumsdorf und zu jeder Jahreszeit beliebtes Ausflugsziel, nur 2 km von der deutschen Grenze entfernt.
Übrigens wird in den Niederlanden genau unterschieden zwischen dem Westfälischen Frieden und dem Frieden zu Münster im selben Jahr. Der Friedensvertrag vom 24. Oktober 1648 beendet den 30jährigen Krieg in Europa, der Vertrag vom 15. Mai 1648 den 80jährigen Krieg zwischen den Niederlanden und Spanien.
© Dagmar Sinn, März 2024.
Die Festung Bourtange in den Niederlanden, Stadtplan.
Quelle: Wikimedia Commons.
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2024/02/29
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2024/02/26
Internationales Mail-Art-Projekt von Ingo Cesaro
Mail Art gab es bisher auf www.kuhlewampe.net noch nie zu sehen, und das ist eine Lücke, die jetzt behoben werden kann. Mail Art ist eine Kunstform, die in den letzten Jahrzehnten sehr an Beliebtheit gewonnen hat. Mail Art ist Kunst, die als künstlerisch gestaltete Postkarten weltweit verschickt wird. Künstlerinnen und Künstler und auch ganz normale Mitmenschen haben schon lange ihre Postkarten künstlerisch gestaltet, aber Ausstellungen mit Mail Art gibt es noch nicht so lange. Eine Ausstellung hat der Dichter und Verleger Ingo Cesaro in Kronach in Franken veranstaltet, anlässlich des 550. Geburtstags von Lucas Cranach d.Ä. im Jahr 2022. Lucas Cranach d.Ä. war ein bekannter Maler der Renaissance, in Kronach geboren, der in Wittenberg zur Zeit der Reformation arbeitete. Der Herausgeber der mail-art-Dokumentation Ingo Cesaro lebt in Kronach und ist selbst als mail-art-Artist aktiv.
Heute in Zeiten der digitalen Kommunikation und der E-Mails werden natürlich nicht mehr so viele Postkarten geschrieben und verschickt wie früher. Vor allem ältere Menschen verschicken noch gern Ansichtskarten, vielleicht aus dem Urlaub oder zum Geburtstag. Und daher wird es vielleicht noch eine Weile Postkarten und Mail Art geben. Zumindest so lange, wie es noch Briefkästen gibt und so lange die Deutsche Post überhaupt noch Post zustellt. Auch das ist fraglich. Die Telefonzellen an den Straßenecken wurden ja schon abgeschaltet, da angeblich alle Leute heutzutage ein Handy haben.
Wie auch immer die Zukunft der Mail Art aussehen mag, Mail Art ist jedenfalls eine Kunstform, die jeder Mensch leicht praktizieren kann, denn sie ist nur mit geringen Kosten verbunden. Jeder Mensch kann ein Künstler oder eine Künstlerin sein. Man braucht nur ein Stück Karton in der Größe einer Postkarte, ein paar Buntstifte oder ausgeschnittene Bilder aus einer Illustrierten, etwas Kleber, und etwas Fantasie, und schon kann man eine Postkarte künstlerisch selbst gestalten. Zum Schluss schreibt man noch Grüße auf die Rückseite, klebt eine Briefmarke auf und steckt die Postkarte in den Briefkasten. Und schon wandert die eigene Kunst in die ganze Welt. Das ist wirklich niedrigschwellige Kunst. Daher ist Mail Art so sympathisch und wurde weltweit populär. In der Mail Art ist Vieles möglich: Zeichnungen, Aquarelle, Collagen, Linolschnitte etc. Das von Ingo Cesaro herausgegebene Mail-Art-Buch enthält viele Anregungen für eigene kreative Schöpfungen. In dem Buch sind auch ganz junge Künstlerinnen und Künstler von 12 und 13 Jahren vertreten. Mail Art sind kleine Kunstwerke, aber doch auf jeden Fall Kunstwerke.
Dr. Christian G. Pätzold.
Cesaros internationales mail-art-Projekt: 550. Geburtstag von Lucas Cranach d.Ä.
Das Buch zur Ausstellung dokumentiert 268 Mail-Art-Einsendungen in Abbildungen.
Das Buch kann bei Ingo Cesaro bestellt werden: ingocesaro@gmx.de
Preis: 15 Euro (in Deutschland und portofrei)
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2024/02/23
Filmtipp:
Joan Baez: I Am A Noise
von Dr. Christian G. Pätzold
Joan Baez und Bob Dylan, 28. August 1963, bei dem vom Civil Rights Movement
organisierten Marsch auf Washington.
Quelle: Wikimedia Commons.
Ein neuer Film mit Joan Baez ist erschienen. Ich bin ein Fan von Biopics und freue mich, wenn ein guter neuer Film über einen interessanten Menschen in den Kinos gezeigt wird. Joan Baez, Jahrgang 1941, war schon in jungen Jahren sehr bekannt und bewundert, nicht nur in den USA, sondern international. Das lag zum einen an ihrer fantastischen kristallklaren Sopran-Stimme, die es vielleicht 1x in 100 Jahren gibt, und zum anderen an ihrem ausgeprägten Talent für politischen Aktivismus, u.a. gegen die Rassentrennung und gegen den Vietnamkrieg. Sie war aktiv in der Bürgerrechtsbewegung der frühen 1960er Jahre zusammen mit Martin Luther King Jr. Damals wurden die Schwarzen in den USA noch wie 2. Klasse behandelt. We shall overcome some day. Und auch Joan Baez wurde schon in der Schule wegen ihrer mexikanischen Herkunft gemobbt. Das hat sie wahrscheinlich für gesellschaftliches Engagement sensibilisiert. Am Ende der 1960er Jahre war sie dann aktiv in der Studenten- und Jugendbewegung von 1968, zusammen mit Bob Dylan. Ihr Auftritt in Woodstock 1969 war legendär. Martin Luther King Jr. wurde früh ermordet, aber Joan Baez und Bob Dylan sind bis heute am Leben und haben immer noch Ausstrahlung. Joan Baez hat nur mit ihrer Stimme und einer Gitarre Musikgeschichte geschrieben.
Da kommt der Film »Joan Baez: I Am A Noise« genau richtig, als Rückblick auf ihr langes intensives Leben. Sie kam aus einer Quäkerfamilie, die traditionell sensibel gegenüber Diskriminierungen von Menschen sind. Der Titel des Films ist ein Wortspiel: Voice - Noise. Stimme - Laut. Sie war eine laute Stimme, nicht nur gesanglich, sondern auch politisch. Inzwischen hat sie sich von Bühnenauftritten zurückgezogen. Joan Baez hat die Schatzkammer ihres Familienarchivs mit alten Videos und Tagebüchern für den Film zur Verfügung gestellt, das war sehr nützlich.
Ich bin mit einigen Erwartungen ins Kino gegangen. Aber das 2-stündige Biopic war zu meiner Enttäuschung doch sehr küchenpsychologisch geprägt, von ihrem Lampenfieber in frühen Jahren, von ihren Panikattacken und Nervenzusammenbrüchen. Ich hätte mir mehr Filmausschnitte über ihre politischen Aktivitäten gewünscht. Auch längere Filmszenen von ihren Gesangsauftritten. Die Lieder auf ihren Konzertauftritten waren immer nur kurz angeschnitten, vielleicht aus Copyrightgründen ? Joan Baez hat ja ihre bekanntesten Songs nicht selbst geschrieben und komponiert, im Unterschied zu Bob Dylan. Immerhin gab es einige Szenen aus ihrem stattlichen Anwesen mit großem Swimmingpool in Woodside/Kalifornien im Silicon Valley, wo sie allein mit ihrem Hund lebt. Im Alter ist sie zu der Erkenntnis gekommen: Ich konnte nicht gut in einer 2er-Beziehung leben, ich bin aber immer gut mit 2.000 Menschen klar gekommen. 2017 wurde sie in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen.
Joan Baez: I Am A Noise
USA 2023
Regie: Karen O'Connor, Miri Navasky & Maeve O'Boyle
113 Minuten
Biografie:
Jens Rosteck: Joan Baez - Porträt einer Unbeugsamen
Hamburg 2017, Osburg Verlag
Preis: 24 €
ISBN 978-3-95510-142-8
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2024/02/20
Türspione in Avignon
Fotos von © Grietje Willms.
Diese Fotos habe ich in dem <vieux maison d'arrêt>, dem alten Gefängnis in Avignon gemacht.
Sie zeigen die Zellentüren mit ihren Gucklöchern bzw Türspionen von außen, zT. auch von innen.
Das Gefängnis war bis 10 Jahre vor meinem Besuch dort noch in Betrieb. Das konnte man an einigen Malereien in den Zellen erkennen, nicht an den sonstigen Baulichkeiten.
In den 40er Jahren waren in diesem Gefängnis die jüdischen Mitbürger Avignons inhaftiert, bevor sie deportiert wurden.
Grietje Willms
https://grietjewillms.jimdofree.com
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2024/02/17
"Das große Carthago führte drei Kriege.
Es war noch mächtig nach dem ersten,
noch bewohnbar nach dem zweiten.
Es war nicht mehr auffindbar nach dem dritten."
Bertolt Brecht 1951
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2024/02/14
Murphys Gesetz
"Alles, was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen."
Murphy's Law: Anything that can go wrong will go wrong.
Edward Aloysius Murphy Jr., 1918-1990
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2024/02/10
wolfgang weber
schicksal freundlich gestimmt
F1
fatal - ismen
katakl - ysmen
wattnditte
(erdgeschichtliche katastrophe)
modern - ismen
archa - ismen
kommun - ismen
kapital - ismen
fasch - ismen
sozial - ismen
marx - ismen
stalin - ismen
bolschew - ismen
feudal - ismen
formal - ismen
bürokrat - ismen
femin - ismen
patriarchal - ismen
lokalpatriot - ismen
mechan - ismen
anachron - ismen
revanch - ismen
atheis - men
buddh - ismen
islam - ismen
zyn - ismen
somnambul - ismen
antagon - ismen
dual - ismen
ego - ismen
pessim - ismen
optim - ismen
real - ismen
nihil - ismen
nikot - ismen
fatal - ismen
ismen
ismen
ismen
ismen
immer wieder
ismen
F2
goin' down down down goin' slow
alles alles geht den bach herunter
alles alles geht gaaaanz laaaangsaaaam voran
nein nein
handelt lieber nach der devise
keep on keepin' on
immer weiter machen
mussja
(norddeutsche version)
F3
entkommt den fatal - ismen
den self fulfilling prophecies
den düsteren
sich selbst bewahrheitenden prophezeiungen
denkt an die beatles
und den schrei von joe cocker
with a little help from my friends
sucht euch hilfe bei freunden
und anderen hilfreichen menschen
F4
ihr müsst nicht alles alleine schaffen
sprecht leute an
nehmt euer schicksal selbst in die hand
F5
organisiert euch
sucht hilfe
fatal wäre es
gar nichts zu tun
F6
fate in a pleasant mood
schicksal freundlich gestimmt
sun ra and his myth science arkestra
1960
immer wieder neu aufgelegt
das orchester
das mythos und wissenschaft
verbindet
jedenfalls in dieser inkarnation
der mann
der sich sun ra nannte
nach dem ägyptischen
sonnengott
seine verbindungen reichten
bis zum planeten saturn
space is the place
ein anderes seiner sprungbretter
für ausgedehnte improvisationen
F7
ganz so groß muss euer netzwerk
nicht sein
aber haben solltet ihr eines
sonst sitzt ihr da
inmitten der fata morgana
waiting in the desert
for a dessert
ihr wartet in der wüste
auf einen nachtisch
das wäre die feministische variante
mata morgana
F8
plötzlich unerwartet
kommt al capone
um die ecke
al capone
lookin' round the corner
or rather
sneakin' round the corner
um die ecke geschlichen
al capone
niemals ohne kanone
oder melone
ja das ist al capone
fatal für diejenigen
die es trifft
al capone
aß gerne minestrone
reim oder ich fress dich
al capone
liebte seine drinks
mit zitter-
oder tobler-one
F9
soundtrack dazu
nicht von sinatra
frankie boy
sondern
ennio morricone
das ist nicht ohne
dazu mascarpone
© wolfgang weber, februar 2024.
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2024/02/06
Belles choses - Art Nouveau um 1900
Ausstellung im Bröhan-Museum Berlin bis 14. April 2024
Henri de Toulouse-Lautrec (1864-1901):
La Troupe de Mlle Églantine (Poster), Farblithografie, 1895.
Quelle: Wikimedia Commons.
Henri de Toulouse-Lautrec hat die Pariser Boheme am Fin de Siècle dokumentiert,
das war sehr verdienstvoll.
Es ist eine sehr sehenswerte Überblicksausstellung zum französischen Jugendstil.
In der Ausstellung erfährt man auch, dass es sogar politischen Jugendstil gegeben hat, bspw. beim Völkermord an den Armeniern in der Türkei oder bei der Dreyfus-Affäre.
Zur Ausstellung anlässlich des 50. Geburtstags des Museums schreibt das Bröhan-Museum:
"Naturhaft bewegte Linien, raffiniert geschwungene Formen und ein überbordender Reichtum an floralen, figürlichen und abstrakten Ornamenten - das sind die Erkennungszeichen des Art Nouveau, der französischen und belgischen Variante des Jugendstils. Frankreich und Belgien hatten großen Anteil an der Aufbruchsbewegung der europäischen Kunst und Gestaltung um 1900, die der Moderne den Weg ebnete. Besonders von Paris ging eine enorme Sogwirkung aus: Hier wirkten Architekten wie Hector Guimard und Eugène Gaillard; Plakatgestalter wie Henri de Toulouse-Lautrec und Alfons Mucha revolutionierten das Grafikdesign. Aus Anlass des 50-jährigen Jubiläums des Bröhan-Museums widmet sich die umfangreiche Ausstellung einem der Schwerpunkte des Hauses - dem französischen und belgischen Art Nouveau.
1895 eröffnete der aus einer Hamburger Kaufmannsfamilie stammende Siegfried Samuel Bing seine Galerie für zeitgenössisches Kunsthandwerk, die Maison de l'Art Nouveau, die dem neuen Stil seinen Namen gab. Ein zweites, vollkommen eigenständiges Zentrum des Art Nouveau formierte sich mit der École de Nancy im Herzen Lothringens. Émile Gallé und die Manufaktur Daum Frères leisteten vor allem in der Glaskunst Außergewöhnliches, Louis Majorelle war als Möbeldesigner stilbildend. Mit spielerischer Heiterkeit und vor allem der floralen Ornamentik schufen die Art-Nouveau-Künstler in Zentren wie Brüssel, Paris und Nancy eine neue Gestaltung für die Belle Epoque, die schon bald ganz Europa in ihren Bann schlug.
Die Zeit um 1900 war eine Phase der Umbrüche. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse und technische Errungenschaften griffen tief in den Alltag ein, die Industrialisierung erreichte ihren Höhepunkt und das Leben verlagerte sich vom Land in die Städte. Der Art Nouveau schuf "belles choses" - schöne Dinge, die das alltägliche Leben verzaubern und die profane Umgebung in Kunst verwandeln sollten. Es kam zu einem letzten großen Aufleben des europäischen Kunsthandwerks, während gleichzeitig industrielle Materialien und maschinelle Produktionsweisen an Bedeutung gewannen."
Bröhan-Museum - Landesmuseum für Jugendstil, Art Deco und Funktionalismus
Schloßstraße 1a, 14059 Berlin Charlottenburg
Kuratorin der Ausstellung: Dr. Anna Grosskopf
Öffnungszeiten: Di bis So 10 bis 18 Uhr
Tickets: 8/5 €uro
Zur Ausstellung ist ein Katalog mit 192 Seiten und zahlreichen Abbildungen erschienen.
Hector Guimard (1867-1942):
Eingangsbogen der Metro-Station Abbesses in Paris, 1900.
Quelle: Wikimedia Commons.
Die Metroeingänge von Hector Guimard verzaubern die Pariser Straßen bis heute.
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2024/02/02
Reinhild Paarmann
Führung im John-Heartfield-Haus in Waldsieversdorf/Märkische Schweiz
am 21. Oktober 2023
John-Heartfield-Haus in Waldsieversdorf/Märkische Schweiz/Bundesland Brandenburg.
Foto von 2020. Quelle: Wikimedia Commons.
Das Haus mit Garten liegt im Wald am Großen Däbersee. Die Mitarbeiterin vom John-Heartfield Freundeskreis, mit der wir einen Termin haben, führt uns zunächst in die Garage, wo es eine Ausstellung von Plakaten vom politischen Fotomontage-Künstler, Maler, Grafiker und Bühnenbildner John Heartfield gibt: Skelette, die vorher Soldaten waren, der "Hitlergruss": "Kleiner Mann bittet um große Gabe".- Die Korruption wird dargestellt. "Vom Licht zur Nacht", die Bücherverbrennung. "Ich führe Euch herrlichen Pleiten entgegen" (Hitler). "Werkzeug in Gottes Hand? Spielzeug in Thyssens Hand!" Hitler als Marionette.
John Heartfield wurde als Helmut Herzfeld 1891 in Berlin-Schmargendorf geboren. Sein Vater war Schriftsteller und wurde wegen Gotteslästerung 1898 verurteilt. Die Familie floh in die Schweiz, dann nach Salzburg und wohnte in einer Holzhütte. Dort wurde die Schwester Charlotte geboren. Sie studierte später Kunst und fertigte Püppchen an. Insgesamt waren es vier Geschwister. 1899 verließen die Eltern die Kinder unter ungeklärten Umständen, die von Pflegeeltern aufgenommen wurden. 12 verschiedene Pflegeeltern hatte Helmut.
Zuletzt war er in einer Pflegestelle, wo der Pflegevater Buchhändler in Wiesbaden war. Helmut Herzfeld begann 1905 eine Lehre als Buchhändler, brach sie ab, studierte von 1908-1911 in der Kunstgewerbeschule in München. Dann arbeitete er als Werbegrafiker, 1912 fing er mit einem Studium an der Kunstgewerbe- und Handwerkerschule in Charlottenburg an, wofür er ein Stipendium erhielt.
Im 1. Weltkrieg wurde Helmut eingezogen. Seine Künstler-Freunde wie zum Beispiel Georg Grosz rieten ihm, sich krank zu melden. 1915 entließ ihn die Armee. Gegen das englandfeindliche Deutsche Kaisertum wollte er ein Zeichen setzen und nannte sich ab da John Heartfield.
Heartfield gründete mit seinem Bruder Wieland die oppositionelle Zeitschrift "Neue Jugend" und 1917 den "Malik-Verlag". Er trat mit seinem Bruder der KPD bei. 1933 floh er vor den Nazis nach Prag und 1938 weiter nach London durch Unterstützung von Freunden.
Die Plakate gegen das Hitler-Regime waren sehr kritisch, und Heartfield fürchtete zu Recht um sein Leben. Hinter einer Glasvitrine in der Garage sieht man eine rote Jacke von ihm, dazu ein Foto, wo er sie trägt. Sein Enkel in Rotterdam spendete die Jacke. Heartfield hatte zwei Kinder mit seiner ersten Frau. Eine Tochter lebt in den USA.
Als Heartfield 1945 aus dem Exil zurück nach Leipzig in die DDR kam, galt er als "Westler" und war mit seiner Kunst nicht wohl gelitten. Es herrschte gerade die "Formalismusdiskussion". Abstrakte Kunst war verfemt als westliche Dekadenz gemäß Parteibeschluss von 1951. Heartfield bekam zwei Herzinfarkte und arbeitete dann als Ausstatter und Bühnenbildner auch für das Berliner Ensemble und Berliner Theater. Brecht empfahl ihm zur Erholung die Märkische Schweiz. 1957 pachtete Heartfield ein Grundstück in Waldsieversdorf und errichtete ein Sommerhaus. 1956 wurde er rehabilitiert. Die Ostberliner Akademie der Künste nahm ihn auf. 1968 starb John Heartfield in Berlin.
Wir gehen nun in das Haus. Auf dem Herd in der Küche stehen viele Bücher: "Petroleum" von Upton Sinclair (Malik Verlag, Berlin 1927). Das Haus wird nicht beheizt, obwohl ein Kamin und ein Herd vorhanden sind. Im Wohnzimmer ein Spruch von Kurt Tucholsky an der Wand:
"Wenn ich nicht Peter Panter wäre, möchte ich ein Buchumschlag im Malik-Verlag sein. Dieser John Heartfield ist wirklich ein wahres Weltwunder."
Die Glasvitrinen sind beschlagen. In einer die Strohpüppchen von Liselotte Lange. Auf dem Schreibtisch steht ein Foto, das seine 3. Frau zeigt: Gertrude Heartfield, die er in London im Exil kennenlernte, als er krank war und sie ihn pflegte. In einer Vitrine stehen Weingläser. Eine Veranda ist mit Manilarohr-Möbeln bestückt. Ein Bühnenmodell von 1955 ist zu sehen zu Arno Holz': "Sozialaristokraten". Das Spießig-Bürgerliche sollte übertrieben werden. Außen führt eine Treppe zur Dachterrasse.
Nach dem Tod von Heartfield lebte dort seine Frau bis zu ihrem Tod 1983. Dann ging der Nachlass an die Akademie der Künste der DDR. Mit der Wiedervereinigung erwarb das Land Brandenburg das Grundstück 2008. Seitdem verwaltet der John-Heartfield-Freundeskreis das Haus.
Wir gehen durch den Garten mit dem Brunnen. Überall wachsen Storchenschnabel. Die Kiefern sind krank. Am Apfelbaum, den Heartfield gepflanzt hatte, hängen reife Früchte. Es gibt noch einen Birnen- und einen Quittenbaum. Das Verschneiden helfe nichts mehr.
© Reinhild Paarmann, Februar 2024.
Bitte im Internet die Öffnungszeiten des John-Heartfield-Hauses vor einem Besuch checken und eventuell telefonisch eine Führung vereinbaren !
Seht bitte auch den Artikel "Gründung des Malik-Verlags vor 100 Jahren" vom 2017/04/13 auf www.kuhlewampe.net.
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2024/01/31
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2024/01/28
Filmtipp:
»Gassenhauer« (1931) - Film und Gespräch
Ernst Busch in Spielfilmen der Weimarer Republik (Folge 4)
Dienstag, 30. Januar 2024, 18:00 Uhr
Helle Panke, Kopenhagener Str. 9, Berlin Prenzlauer Berg
"Gassenhauer, das sind fünf Berliner Straßensänger, die zufällig von einem Impressario entdeckt und aus dem Zilleschen Hinterhofmilieu in die Varietélokale des Berliner Nordens verpflanzt werden. Regisseur Lupu Pick gelingt hier eine sehr realistische Milieuzeichnung. Ernst Busch spielt Peter, das Haupt der Sängertruppe; er wird, bevor es zum Happy End mit seiner Marie kommen kann, unschuldig in eine Mordaffäre verwickelt. Sängerisch kommt er freilich kaum zum Zuge, da die beiden musikalischen Hauptnummern (Hinterhofserenade und Marie, Marie) von den populären Comedian Harmonists aus dem Off vorgetragen werden und Busch und Co. dazu lediglich die Playback-Darstellung zu liefern haben."
Einführung: Dr. Jürgen Schebera
Moderation: Dr. Carola Schramm
Eine Veranstaltung der Helle Panke e.V. - Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin in Kooperation mit der Ernst Busch-Gesellschaft.
Eintritt: Euro 3,00/erm. 1,50
www.ernst-busch.org
www.helle-panke.de
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2024/01/27
Winterimpression:
Berberitzen im Schnee
Es gab sogar etwas Schnee in Berlin.
Foto von Dr. Christian G. Pätzold.
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2024/01/24
Berliner Schaufenster:
Kreuzberg SO 36, Mariannenstraße
Foto von Dr. Christian G. Pätzold, November 2023.
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2024/01/20
Reinhild Paarmann
Führung im Brecht-Weigel-Haus in Buckow/Märkische Schweiz
am 20. Oktober 2023
Das Brecht-Weigel-Haus (Eiserne Villa) in Buckow/Märkische Schweiz, Straßenseite.
Foto von Lienhard Schulz, 2011. Quelle: Wikimedia Commons.
Im 2022 neu erbauten Besucherzentrum sehen wir die Ausstellung "Papierkrieg" von Zeitungsartikeln, die Bertolt Brecht im Exil in den USA in Santa Monica geschrieben hat.
Bei Regenwetter gehen wir anschließend mit unserer Ausstellungsleiterin in den "Lyrischen Garten" mit den Dahlien und den orangen Lampion-Blumen. Jeder Besucher sollte, nach Helene Weigels Wunsch, durch den Garten in das Haus gelangen, das auch die "Eiserne Villa" genannt wurde. Es wurde so und wird bis heute so genannt, weil Ernst Wilhelm Matterne 1896 es aus einem Stahlskelett mit doppelter Eisenplattenverkleidung als Brandschutzmaßnahme bauen ließ. Trotzdem brannte das Haus 1909 ab.
1910/11 kauft der Bildhauer Georg Roch das Grundstück und ließ den Nachfolgebau errichten, nach Entwürfen von Bruno Möhring als Atelierhaus.
Brecht pachtete das Haus 1952 mit seiner Frau Helene Weigel und den beiden gemeinsamen Kindern als Sommerwohnsitz zur Erholung und ließ es renovieren. Er lebte dort bis 1956 und schrieb in seinem Arbeitszimmer im "Gärtnerhaus", seinem Rückzugsort, neben dem Theaterstück "Turandot", die "Buckower Elegien". Angesichts des Arbeiteraufstandes vom 17. Juni 1953 verfasste Brecht im Juli/August 1953 u.a. das Gedicht: "Die Lösung":
"Wäre es da
nicht doch einfacher, die Regierung
Löse das Volk auf und
Wählte ein anderes?"
1975 nach dem Tod von Helene Weigel (6.5.1971) verkauften die Brechterben die "Eiserne Villa" an den Staat, das Gärtnerhaus blieb im Besitz der Erben und kann nicht besichtigt werden. Bis zu ihrem Tod 2015 wohnte hier die Tochter Barbara Brecht-Schall. Der Sohn Stefan, der in den USA geblieben war, besuchte einmal im Jahr das Haus.
1977 wurde es Gedenkstätte für das Künstlerehepaar Brecht/Weigel.
Wir gelangen in die Wohnhalle mit der fast sechs Meter hohen Decke und den wunderbaren großen Atelierfenstern. Das Haus ist noch original eingerichtet. Hier steht in der Mitte ein großer, langer Tisch, an dem Brecht und Weigel auch ihre Gäste empfingen, z.B. Erwin Strittmatter, und diente als Speise- und Kommunikationsraum. Weigel saß auf dem "Brautstuhl" von 1793, am Kopfanfang des Tisches, neben ihr nahm Brecht Platz. Ein Teppich wurde, um ihn vor den Besuchern zu schützen, nicht im Raum belassen. Auch die Kissen entfernte man von den Stühlen. In der linken Ecke steht ein Tisch mit "Worpsweder Stühlen", die nur drei Beine haben. Helene Weigel kochte gern im Vorzimmer, der Küche. Sie weckte auch Pilze ein, die sie selbst in der Umgebung sammelte. Brecht aß sie nie, weil er sich vor giftigen fürchtete. Weigel wollte sich in Buckow von der Theaterarbeit erholen. Beide führten eine "Offene Ehe", das heißt, während er selbst mit seiner Frau Helene das Haupthaus bewohnte, hatte Brecht seine Mitarbeiterin und Geliebte Elisabeth Hauptmann im kleinen Gartenhaus untergebracht. Immer, wenn da Rauch aufstieg, wusste Brecht, dass sie da war und er sie besuchen konnte.
Über dem Wohnzimmer befinden sich die Schlafräume und Gästezimmer. Diese konnte man nicht besichtigen.
Brecht starb 1956 an einem Herzinfarkt. Schon als 13-14-Jähriger litt er an Herzrasen.
Wir besichtigten das "Bootshaus", das 2014 modernisiert wurde und als Ausstellungsort der "Mutter Courage" dient mit einem der drei "Mutter-Courage" Wagen. Brecht hatte das Stück im Exil geschrieben. Helene Weigel spielte Mutter Courage mit 49 Jahren. Eigentlich hatte Brecht für seine Frau die Rolle der stummen Kattrin gedacht, denn so konnte sie diese im Exil spielen ohne Sprachschwierigkeiten. Aber sie hatte sie nie gespielt.
Wir sehen Filmausschnitte mit dem berühmten "Mutter Courage-Lied", wo Helene Weigel den "Mutter-Courage Wagen" zieht. In einer Vitrine sind Theater-Requisiten.
Durch den Garten gehen wir zu den Pferde-Skulpturen am See von Georg Roch, dessen Kunstwerke auch im Wohnzimmer des Brecht-Weigel-Hauses stehen, kehren in das Besucherzentrum zurück und sehen einen englischen Film mit deutschen Untertiteln, wie es Brecht in den USA in Santa Monica ging, das er "Ghetto unter Palmen" nannte. Er schrieb hier viele Drehbücher, aber nur eins wurde angenommen. Helene Weigel befand man zu alt, um ihr Rollen zu geben.
Die vielen Exilanten wie zum Beispiel Thomas Mann, mit dem Brecht gar nicht konnte, Lubitsch, Feuchtwanger, Charly Chaplin, Greta Garbo werden vorgestellt. Die Deutschen trafen sich, wenn Amerikanisch geredet wurde, sagte gleich einer: "Sprich Deutsch!"
© Reinhild Paarmann, Januar 2024.
Bitte im Internet die Öffnungszeiten des Brecht-Weigel-Hauses vor einem Besuch checken und eventuell telefonisch eine Führung vereinbaren !
Seht bitte auch den Artikel "Ein Besuch der Brecht-Weigel-Gedenkstätte in der Berliner Chausseestraße" vom 2018/02/13 auf www.kuhlewampe.net.
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2024/01/16
dr. christian g. pätzold
fatum
fatum lateinisches wort
es bedeutet götterspruch schicksal verhängnis
untergang verderben und tod
das wort stammt von dem lateinischen verb
fari sprechen
die sprache war früher etwas magisches
man wusste nicht wo sie herkommt
ihr wurde große kraft beigemessen
fata hießen bei den alten römern
die schicksalsgöttinnen die 3 parzen
nona spann angeblich den lebensfaden
decima entschied über das lebensgeschick
und morta durchtrennte schließlich den faden des lebens
fatalismen schicksalhafte zufälle
die gab es früher mal
heute gibt es sie immer weniger
gott und die götter
die uns früher gequält haben
sind inzwischen tot
das hat schon friedrich nietzsche (1844-1900) festgestellt
wir hatten zum glück die aufklärung
und die entwicklung der wissenschaften
und die erleuchtung
es gibt kein muffiges fatum der vergangenheit mehr
nur noch ursache und wirkung
es gibt keine bösartigen götter mehr
die uns quälen
nur die menschen quälen sich gegenseitig selbst
ja ihr sadist:innen
wenn bei euch die häuser einstürzen
wegen eines brutalen erdbebens
oder wegen der plattentektonik
dann war das nicht ein gott
sondern eure falschen bauvorschriften
die ein erdbebensicheres bauen verhindert haben
trotzden bleibt noch ein restrisiko
unglücklich verlaufender zufälle
wenn ein autofahrer plötzlich ohnmächtig wird
und in fußgänger fährt
oder wenn ein amokläufer plötzlich durchdreht
und um sich schießt
das ist leider so im leben
fatalismus oder widerstand
ist die jugend von heute fatalistisch
und lässt sich bloß ausbeuten ?
sind die alten heutzutage fatalistisch
und warten nur auf die wiederkehr des führers ?
ich hoffe nicht
es gibt immer sone und solche.
© dr. christian g. pätzold, januar 2024.
(nicht von chat gpt, ki oder algorithmen generiert)
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2024/01/13
Max Beckmann, 1884-1950
Stürmische Nordsee (Wangerooge), 1937
Öl auf Leinwand, 59 x 77 cm.
Courtesy Villa Grisebach, Berlin.
Auch das ist Wangerooge: Drohende Schlechtwetterwolken, stürmische See. Ist das ein politisches Bild über 1937? Vorahnung des Weltkriegs? Ich habe Wangerooge ganz anders erlebt. In den Sommerferien, im August mit endlosem Sonnenschein.
Dr. Christian G. Pätzold.
Seht bitte auch den Artikel "Ein letzter Blick auf Deutschland" von Moritz Rinke in: GRISEBACH, Das Journal, 2014.
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2024/01/09
Tagebuch 1973, Teil 71: Penang/Malaysia
von Dr. Christian G. Pätzold
26. Dezember 1973, George Town/Penang, Mittwoch
Wir waren jetzt in George Town auf der Insel Penang, im Norden von West Malaysia nahe der Grenze zu Thailand. Wir haben immer noch nach Möglichkeiten eines Besuchs von Indonesien geforscht und dazu bei verschiedenen Agenturen Infos eingeholt. Aber es gab zu viele Schwierigkeiten, abgesehen von den Piraten im Meer: Im Indonesischen Konsulat haben die Beamten auf einem Ausreise-Flugticket bestanden, wahrscheinlich wegen der vielen Hippies in Penang. Angeblich bräuchte man bei dem Visumsantrag in Singapur kein Weiterflugticket vorzulegen. Mit Flugticket schien die Weiterfahrt von Djakarta nach Bangkok teuer zu werden. Außerdem würde der Abstecher nach Indonesien Zeit verschlingen. In Sumatra schien nur der Norden etwas für Reisende erschlossen zu sein. Die Schiffe nach Medan waren schon für die nächsten 2 Wochen ausgebucht. Die Idee mit Indonesien haben wir fallen gelassen und uns entschlossen, als nächstes Thailand und Laos näher kennen zu lernen.
Außerdem haben wir erfahren, dass man in Bangkok einen günstigen Flug von Bangkok nach Los Angeles bekommen kann, mit zahlreichen Zwischenstopps unterwegs, für ca. 350 US-Dollar. Das lag genau in unserer Absicht, denn wir wollten uns peu a peu nach Kalifornien vorwärts bewegen. Im Thailändischen Konsulat haben wir ein Visum für Thailand beantragt, das wir am Donnerstag ohne Schwierigkeiten bekommen haben, kostenlos. Thailand war anscheinend sehr besucherfreundlich. Dann haben wir das Bahnticket nach Bangkok für übermorgen gekauft.
In Penang gab es einige westliche Hippies, die auch spritzten und Hasch rauchten, aber weniger als in Indien. Denn Malaysia war als überwiegend muslemisches Land kein primäres Ziel von Hippies. Die Hippies interessierten sich meist für hinduistische und buddhistische Spiritualität und für indische Gurus.
27. Dezember 1973, George Town/Penang, Donnerstag
Morgens sind wir zum Strand gefahren und sind dort rumgebummelt. Dort gab es australische Reisende, auch deutsche. Anschließend sind wir durch die Straßen von George Town gebummelt und sind auf einen Umzug mit Kapellen und Schönheitsköniginnen getroffen. Einige Preise: Nudelsuppe 50 Cents bis 1 Malay-Dollar, Hünchen mit Reis 1 bis 1,50 Malay-Dollar, Tasse Tee 25 Cents, ¼ Ananas und andere Früchte 10 Cents, 10 Zigaretten 20 bis 40 Cents.
28. Dezember 1973, Butterworth - Bangkok, Freitag
Die Bahnfahrt von Butterworth nach Bangkok kostete 2. Klasse im Sitzen 34 Malay-Dollar als billigstes Ticket, der Sleeper kostete 7 Malay-Dollar mehr. Der Zug fuhr Montag, Mittwoch und Freitag um 7:50 AM ab Butterworth. Als Alternative konnte man auch täglich mit dem Zug 3. Klasse nach Hat Yai in Thailand nahe der Grenze fahren, und von dort weiter nach Bangkok. An der Grenze Malaysia/Thailand gab es keine Zollkontrolle, nur unsere Reisepässe und unsere Impfpässe mussten wir vorlegen. Hat Yai war der erste Stop in Thailand, eine Stadt mit modernen Bauten. An der Grenze fuhren wir durch den Dschungel, später durch Reisfelder und vereinzelte Kautschukplantagen.
Im Zug haben wir Herrn Haverkorn vom Deutschen Entwicklungs-Dienst (DED) kennen gelernt, der uns in Bangkok mit zu sich in das DED Office genommen hat.
Ausgaben in Malaysia
40 DM Zug Penang - Bangkok
25 DM Sonstige Fahrtkosten
30 DM Übernachtung
60 DM Essen und Sonstiges
Zusammen 155 DM für 18.12. bis 28.12.1973 (11 Tage).
Postscriptum zu Malaysia, Januar 2024:
Malaysia ist ein Land in Süd-Asien, das flächenmäßig etwa so groß wie Deutschland ist. In Malaysia leben 33,9 Mio Einwohner (2022), in Deutschland leben 84,4 Mio Einwohner (2022). Daher hat Malaysia im Durchschnitt eine Bevölkerungsdichte von 102 Einwohnern pro Quadratkilometer, Deutschland eine Bevölkerungsdichte von 236 Einwohnern pro Quadratkilometer. In Deutschland leben also durchschnittlich mehr als doppelt so viele Menschen auf einem Quadratkilometer. Als ich vor 50 Jahren Malaysia besuchte, war das Land noch dünner besiedelt und hatte nur 11,6 Mio Einwohner. Im selben Zeitraum ist die Zahl der Menschen auf der Erde von 4 Milliarden auf 8 Milliarden Menschen angestiegen, also eine Verdopplung.
Bemerkenswert ist auch, dass Malaysia in den letzten 50 Jahren so gut wie nie in den westlichen Medien vorgekommen ist, im Unterschied etwa zu den Nachbarländern Myanmar und Thailand. Das zeigt, dass Malaysia ein ziemlich stabiler Staat gewesen ist, in dem nichts Besonderes passiert ist, keine Revolutionen oder Militärputsche oder Bürgerkriege.
© Dr. Christian G. Pätzold, Januar 2024.
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2024/01/05
Tagebuch 1973, Teil 70: Ipoh/Malaysia
von Dr. Christian G. Pätzold
Zinnmine bei Ipoh/Malaysia.
Blick auf die Waschtreppe, wo Sand von Zinnerz und Mineralien getrennt wird.
Die Landschaft ringsum war schon völlig zerwühlt, von dem ursprünglichen Regenwald war nichts mehr zu sehen.
In den Tagebaulöchern sollen später einmal Fischteiche entstehen.
Foto von Dr. Christian G. Pätzold, 24.12.1973.
23. Dezember 1973, Ipoh, Sonntag
In Ipoh waren wir im Haus von Fan Yew Teng untergebracht. Fan Yew Teng's Schallplatten mit Weihnachtsliedern fielen mir etwas auf den Wecker. Morgen war ja Weihnachten und wahrscheinlich wollte er uns mit den westlichen Weihnachtsliedern eine Freude machen. Ich dachte allerdings gar nicht an Weihnachten, erstens war ich nicht christlich eingestellt, und zweitens war ich ja in den warmen Tropen, in denen keine deutsche Dezemberstimmung aufkam.
Fan Yew Teng's jüngerer Bruder wollte uns unbedingt chinesische Tempel zeigen. Wir waren in 2 buddhistischen Tempeln, in einem Tempel wurde gerade ein neuer Buddha errichtet. Wir sahen einen großen Schildkrötenteich mit hunderten Schildkröten darin.
24. Dezember 1973, Ipoh, Montag
Heute war Weihnachten, aber wir hatten kein weihnachtliches Programm, sondern haben die Zinnminen in der Nähe von Ipoh besichtigt. Zinn war ein wichtiger Exportartikel für Malaysia, der bspw. nach Japan und nach Europa geliefert wurde. Malaysia selbst hatte keine nennenswerte Industrie, so dass das Zinn als wertvoller Rohstoff exportiert wurde. Ich kannte Zinn schon seit meiner Kindheit. Nicht wegen der berühmten Zinnsoldaten, sondern weil meine Großeltern noch ein paar Jugendstil-Gegenstände aus Kayserzinn besaßen, die aus der Zeit um 1905 stammten.
Jetzt sah ich also die originale Gewinnung des Zinns im Tagebau. Ein chinesischer Manager der Zinnmine führte uns herum. Die Ausbeutung des Zinns hatte die Landschaft komplett verwüstet, vom ursprünglichen tropischen Regenwald, der hier einmal wuchs, war nichts mehr übrig geblieben. Es gab traditionelle Förderanlagen zu sehen, die aus Holz zusammen gezimmert waren. Daneben gab es auch modernere Anlagen, die von ausländischen Investoren errichtet waren. Die Tagebaulöcher sollten später einmal mit Wasser gefüllt werden und zu Fischteichen werden. Diese Idee fand ich nicht schlecht, denn die Fische könnten ja zur Ernährung der Menschen beitragen.
Das silberglänzende Metall Zinn wird vielseitig verwendet. Legiert mit Kupfer entsteht Bronze. Zinn wird auch zum Löten verwendet, um elektronische Bauteile zu verbinden. Außerdem beim Weißblech für Konservendosen. Zinn hat den Vorteil, dass es nicht giftig ist, im Unterschied zu Blei. Daher gab es früher auch Zinngeschirr.
Die kargen Arbeitslöhne lagen bei 3 bis 5 Malay-Dollar am Tag. In den Tagebauen sollten jedes Jahr Arbeiter sterben wegen Erdrutschen beim Waschen der Felder. Das wurde als normales Arbeitsrisiko eingeschätzt. Historisch waren die Zinngruben hauptsächlich im Besitz von eingewanderten Chinesen und auch die Arbeiter waren Chinesen aus Südost-China. Viele Chinesen wurden durch das riesige Zinnvorkommen reich, so dass Ipoh auch "Die Stadt der Millionäre" genannt wurde. Auf den Kautschukplantagen beschäftigten die englischen Kolonialherren dagegen Tamilen aus Indien. Die einheimischen Malaien blieben hauptsächlich in der Landwirtschaft und im Reisanbau.
Nach der Besichtigung der Zinnfelder haben wir unsere Wäsche zur Wäscherei gebracht. Abends waren wir zu einer Weihnachtsparty der oberen Mittelklasse eingeladen.
25. Dezember 1973, Ipoh - Penang, Dienstag
Morgens hat uns der Fahrer von Fan Yew Teng zu einer Kautschuk Estate in der Nähe gebracht. Er war Tamile und auf der Estate aufgewachsen. Er sagte, dass die indischen Kastendifferenzen auf den Estates eine große Rolle spielten. Wenn die Bäume beim Einritzen beschädigt werden, sollte es für die Arbeiter vom Aufseher rote Punkte geben, die bald beim Rausschmiss endeten. Ein Arbeiter sollte pro Tag 500 Bäume bearbeiten, und zwar Anschneiden und Einsammeln des Latex. Flüssig gehaltener Kautschuk wurde lieber gekauft als getrockneter, da die Konzerne eigene Verfahren der Weiterverarbeitung hatten. Die Plantage war verkauft und die Arbeiter wussten nicht, was mit ihnen und den Bäumen nach der Übergabe an den neuen Eigentümer passieren würde.
Nachmittags haben wir uns verabschiedet und haben Ipoh verlassen. Wir sind mit dem Zug die 150 Kilometer von Ipoh nach Penang gefahren. Penang ist sowohl der Name des malaysischen Bundesstaates als auch der Name der Insel in der Straße von Malakka, auf der die Hauptstadt George Town liegt. Die Stadt George Town wird von den Einheimischen auch Penang genannt. Die Bahn fuhr bis Butterworth, wo wir gleich vom Zug in die Fähre umsteigen konnten. Die Fähre fuhr regelmäßig in 15 bis 20 Minuten hinüber nach George Town auf der Insel Penang.
Abends sind wir in den Rummel in George Town geraten und sind Riesenrad gefahren. Wir haben ein chinesisches Straßentheater angeschaut. Die Rikschafahrt kostete in George Town 20 Cent bis 1 Malay-Dollar.
© Dr. Christian G. Pätzold, Januar 2024.
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2024/01/01
Das 2. Jahr des Ukraine-Krieges 2023
von Dr. Christian G. Pätzold
Zum orthodoxen Weihnachten hatte der russische Präsident Wladimir Putin eine Waffenruhe von 2½ Tagen angeordnet (6.1.-8.1.2023). Die Ukraine lehnte die Waffenruhe ab, wenn die russische Armee nicht die Ukraine verlassen würde. Aus der Waffenruhe ist dann auch nichts geworden. Ende Januar sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj großspurig den Sieg der Ukraine für 2023 voraus. Die deutsche Bundesregierung hat die Lieferung von Leopard 2 Kampfpanzern an die Ukraine beschlossen. Kampfjets, Langstreckenraketen, die Moskau treffen können, und U-Boote wurden von der Ukraine gefordert.
Putin scheint erst zufrieden zu sein, wenn er einen Eisernen Vorhang an der Westgrenze der Ukraine errichtet hat. Und Selenskyj wird erst zufrieden sein, wenn alle Russen die Ukraine einschließlich der Krim verlassen haben. In dieser Situation einen Waffenstillstand zu vereinbaren war schwer denkbar. Am 20. Februar war sogar US-Präsident Joe Biden in Kiew zu Besuch und hat maximale Unterstützung der Ukraine zugesagt. Das machte noch mal deutlich, dass es sich um einen Krieg zwischen den USA und Russland um die Einflusssphären in Ost-Europa handelte. Der Jahrestag der russischen Invasion am 24. Februar verlief im Kriegsgebiet wie immer. Russland versuchte weiter, die ukrainische Infrastruktur mit Raketen und Drohnen zu zerstören. Putin führte gern Peter den Großen an. Wahrscheinlich möchte er als Putin der Große in die Geschichtsbücher eingehen, der die schöne Krim erobert und das Asowsche Meer zu einem russischen Meer gemacht hat.
Im März und April 2023 war der Krieg relativ eingefroren. Es wurde hauptsächlich um die Stadt Bachmut im Osten gekämpft. Ende Mai wurde verkündet, dass die russische Söldnertruppe Wagner die Stadt Bachmut vollständig erobert habe. Der Mai ging vorüber und die angekündigte ukrainische Gegenoffensive hatte nicht stattgefunden.
Anfang Juni 2023 wurde der große Kachowka Staudamm am Dnepr gesprengt, von wem blieb unbekannt. Große Gebiete der Süd-Ukraine wurden überschwemmt. Ende Juni ereignete sich in Russland der Putsch der Wagner-Gruppe unter Führung von Jewgeni Prigoschin. Die Wagner-Gruppe war eine private Söldnerarmee, die ursprünglich treu an der Seite des Kreml und Präsident Putin gestanden hatte und vom Kreml finanziert wurde. Die Wagner-Armee rückte zunächst auf Moskau vor. Prigoschin gab aber bald auf und wurde in die Verbannung nach Belarus geschickt. Ende August kam Prigoschin dann bei einem mysteriösen Flugzeugabsturz in Russland ums Leben.
Im Herbst war klar, dass aus der groß angekündigten Offensive der Ukraine nichts geworden war. Offensichtlich hatten immer weniger Ukrainer Lust, an der Front zu kämpfen und zu sterben. Der Ukraine schienen so langsam die Soldaten auszugehen.
Die Ukraine forderte die Lieferung von deutschen Taurus Marschflugkörpern mit langer Reichweite von 500 Kilometern, was die deutsche Bundesregierung ablehnte. Mit der Lieferung und dem Einsatz von Taurus Marschflugkörpern würde Deutschland gefährlich nah an einen 3. Weltkrieg mit Russland heranrücken. Und das würde wahrscheinlich ein Atomkrieg mit vielen Toten werden.
Mit dem Überfall der palästinensischen Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und dem anschließenden Krieg zwischen Israel und der Hamas in Gaza hatte sich das mediale Interesse im Westen verschoben. Plötzlich stand nicht mehr der Krieg in der Ukraine im Mittelpunkt, sondern der Krieg in Israel. Nachteilig für die Ukraine war auch, dass in den USA die Bereitschaft zur Finanzierung der Ukraine zurückzugehen schien. Wenn die Ukraine im Jahr 2024 keine Finanzen mehr aus dem Westen erhält, könnte sie von Russland überrannt werden. Auf der anderen Seite scheinen die USA und Deutschland kein Interesse daran zu haben, einen 3. Weltkrieg mit Russland anzufangen. In dieser Situation könnte sich der Ukraine-Krieg noch sehr lange hinziehen.
www.kuhlewampe.net erscheint jetzt im 10. Jahr. Das ist schon ein kleines Jubiläum. Trotzdem sind keine Jubiläumsfeierlichkeiten geplant. An die 40 Autorinnen und Autoren haben sich über die Jahre an kuhlewampe.net mit Beiträgen (als Text in Prosa oder Lyrik, mit Fotos, sogar mit Gesang) beteiligt. Vielen Dank für euer Engagement! Besonders schwierig waren die Jahre der Corona-Pandemie 2020, 2021 und 2022, als kaum kulturelle Veranstaltungen stattfinden konnten, wegen der Ansteckungsgefahr. Im Jahr 2022 gab es in Deutschland etwa 50.000 Corona-Tote. Im Jahr 2023 gab es in Deutschland nur noch etwa 17.000 Corona-Tote. Die große Corona-Seuche hat große Verschwörungstheoriewellen in die digitalen Medien und auf die Straßen gespült. Alle Okkultisten, Astrologen, Mystiker und Glaskugelbesitzer fühlten sich bestätigt: Sie hatten ja schon immer den Untergang der Menschheit vorhergesagt. Inzwischen hat Kuhle Wampe wieder die Besucher:innenzahlen von vor der Pandemie erreicht. Und wird hoffentlich noch ein paar Jahre durchhalten, wenn sich begeisterte Mitschreiber:innen finden.
Wie jedes Jahr im Januar wurde wieder ein neues Hintergrundbild tapeziert. An der Stelle des weißen Marmors vom Taj Mahal in Agra/Indien, der uns im letzten Jahr erfreute, ist jetzt das John-Heartfield-Sommerhaus in Waldsieversdorf in der Märkischen Schweiz, nicht weit von Berlin, zu sehen. Das Foto stammt von Wikimedia Commons. Vielen Dank an die Fotografin oder den Fotografen.
Ich möchte allen kreativen Autorinnen und Autoren sehr danken, die im vergangenen Jahr so viel zu www.kuhlewampe.net beigetragen haben:
Wolfgang Weber, Dagmar Sinn, Reinhild Paarmann, Georg Lutz, Dr. Hans-Albert Wulf, Karl-Heinz Wiezorrek, Sabine Rahe, Hannelore Bernotat, luke sonnenglanz, Enrico Neumann, Dr. Wolfgang Endler, Jürgen Karwelat, Dr. Karin Krautschick und Ella Gondek. Happy New Year und bleibt gesund und munter!
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