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im 10. Jahr
Herzlich Willkommen bei kuhlewampe.net. Ein Kultur-Literatur-Gesellschaftskritik-Blog im WWW
Gründer und Herausgeber: Dr. rer. pol. Christian G. Pätzold, Berlin
Kurator für Poesie: Wolfgang Weber, Berlin
Wenn Ihr hier veröffentlichen wollt, schreibt bitte an: post(at)dr-paetzold.info
Kuhle Wampe ist ein Film von Bert Brecht, Slátan Dudow und Hanns Eisler aus dem Jahr 1932.


2024/04/18


Jürgen Henschel - Fotochronist im geteilten Berlin
Ausstellung im Schöneberg Museum, Hauptstraße 40, Berlin Schöneberg
bis 2. Juni 2024


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Ikonisches Foto des sterbenden Studenten Benno Ohnesorg,
Berlin Charlottenburg, 2. Juni 1967, Foto von Jürgen Henschel.
Abfotografiert im Schöneberg Museum.


Das Foto des sterbenden Benno Ohnesorg am Abend des 2. Juni 1967 in Berlin Charlottenburg ist das bekannteste Foto von Jürgen Henschel (1923-2012). Es ist eine Ikone der Studentenbewegung. Und es ist ein für ihn typisches Foto, denn er hat seit Beginn der 1950er Jahre vor allem auch die Proteste auf den Straßen West-Berlins in Fotos festgehalten. Die Werkschau des Fotografen Jürgen Henschel im Schöneberg Museum, des kommunalen historischen Museums des Bezirks Schöneberg in Berlin, zeigt 100 schwarz-weiß Fotos, die zwischen 1953 und 1990 aufgenommen wurden, vor allem in Schöneberg und Tempelhof. Sie stammen aus dem Archiv der Museen Tempelhof-Schöneberg, in dem 23.000 Negative von Jürgen Henschel aus seinem Nachlass aufbewahrt werden. (Weitere 25.000 Negative befinden sich im Archiv des Friedrichshain-Kreuzberg Museums. Zwischen 1959 und 1991 nahm Jürgen Henschel über 200.000 Bilder auf.)

Der Mörder von Benno Ohnesorg war der westberliner Polizist Karl-Heinz Kurras, der Mitglied der SPD in West-Berlin war, und gleichzeitig Mitglied der SED in Ost-Berlin. Viel später wurde bekannt, dass Kurras auch Inoffizieller Mitarbeiter (IM) der Stasi war. Die ganze Geschichte des politischen Mordes war ziemlich wirr und verworren, und genauso wirr war die Situation in West-Berlin. Die SED solidarisierte sich umgehend mit den Studenten und prangerte die Notstandspolitik des westberliner Senats als unmenschlich an.

Bevor Jürgen Henschel als Autodidakt in West-Berlin zum Fotografen wurde, hatte er schon ein bewegtes Leben hinter sich. In Berlin 1923 geboren, wurde er als junger Mann in die Wehrmacht gesteckt und im 2. Weltkrieg an die Ostfront geschickt. Nach sowjetischer Kriegsgefangenschaft entwickelte er eine kommunistische Überzeugung. Nach der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft 1949 lebte er in West-Berlin. Als politisch engagierter Mensch fotografierte er Proteste und Demonstrationen, die Veränderungen in der Stadtlandschaft, den Abriss von Ruinen, die Studentenbewegung, die Kämpfe der Hausbesetzungen, die Auseinandersetzungen um den Autobahnbau, die Eintönigkeit des sozialen Wohnungsbaus, den Alltag der Stadt.

Er fotografierte vor allem für sozialistische Tageszeitung »Die Wahrheit«. Von 1967 bis 1990 war er festangestellter Pressefotograf der »Wahrheit«, der Parteizeitung der Sozialistischen Einheitspartei Westberlins (SEW). Übrigens: West-Berlin oder Berlin (West) wurde von den Kommunisten stets Westberlin geschrieben. Die SEW war die Schwesterpartei der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) in Ost-Berlin, das aber offiziell "Berlin, Hauptstadt der DDR" hieß. (Die Parteizeitung der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) hieß übrigens auch "Prawda" (Wahrheit)).

Die Partei SEW war zu Mauerzeiten (1961-1990) in West-Berlin nicht sehr erfolgreich und dümpelte bei Wahlen um die 1 % herum. Auch die sozialistische Tageszeitung »Die Wahrheit« war keine weit verbreitete Zeitung, sondern überlebte nur dank der Finanzierung aus Ost-Berlin. Jürgen Henschel war auch als der "Mann mit der Leiter" bekannt, denn häufig hatte er eine Leiter bei Demonstrationen dabei, um die Menschenmassen aus einer erhöhten Perspektive beeindruckender fotografieren zu können. Jürgen Henschel war ein politischer zeitgeschichtlicher Fotograf von West-Berlin, er war kein Arbeiterfotograf im eigentlichen Sinn, dafür war er zu spät geboren.

Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass die 100 Bilder des kommunistischen Fotografen heute in der Protz-Villa eines Schöneberger Millionenbauern gezeigt werden.

Dr. Christian G. Pätzold.

Jürgen Henschel - Fotochronist im geteilten Berlin
Ausstellung im Schöneberg Museum, Hauptstraße 40, Berlin Schöneberg
Öffnungszeiten: Samstags bis Donnerstags 14 bis 18 Uhr, Freitags 9 bis 14 Uhr
Der Eintritt ist frei.
www.museen-tempelhof-schoeneberg.de

Seht bitte auch den Artikel "Alfred Hrdlicka - Der Tod des Demonstranten" mit Foto des Kunstwerks in Berlin Charlottenburg vom 2017/06/02 auf www.kuhlewampe.net.


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Der Mann mit der Leiter.
Jürgen Henschel fotografiert eine Friedensdemonstration in der Pallasstraße
auf Höhe des Bunkers und des heutigen Pallasseums, 1986.
Foto Ute und Bernd Eickemeyer, Museum Tempelhof-Schöneberg | Archiv.


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2024/04/14


wolfgang weber
one more once


ein weiteres mal
immer immer wieder
monotonie

immer der gleiche handgriff
gibt's da 'nen begriff für
handgreiflich
nicht doch

routine
standard
vielleicht

wiederkehrend
immer wieder
wieder kehrend

one more once

kehrwieder
insel in hamburg

kehr ein immer wieder
zum stammtisch
bier & schnaps
sagt das klischee

schlechter ruf
schlimmer ruf
hinterzimmer
dunkel
verraucht

unter bestimmten voraussetzungen
geht das immer noch
eintritt erst ab 21

parolen
geschrei
geflüster
speak easy

spielkarten
skat
doppelkopf
elfer raus

schnaps
saufen
grölen

alles vorurteil ?
(fragezeichen)

ja & nein
schwarz & weiß
hell & dunkel

kurz & lang
schnell & langsam
hoch & tief

halb & doppelt
wild & gesittet
wellensittich

groß & klein
so soll es sein

lang & breit
mit darm & ohne
brav & heftig

one more once
so heißt es in einem stück
von count basie
es gibt mehrere falsche schlüsse
besonders bei live aufnahmen

immer wieder
ruft basie
one more once

obwohl das stück
schon mehrmals zuende war
heißt es immer & immer wieder
one more once
noch einmal

nach dem ersten
& dem allerletzten schluss
kommen immer &
immer wieder
weitere falsche schlüsse

one more once
noch ein trommelwirbel
noch ein basslauf
ein weiteres glissando vom klavier

noch ein tutti der bläser
saxophone trompeten
klarinetten flöten

one more once
wie sagen sie im funk [a:]
nicht funk [u]
more bounce to the ounce

© wolfgang weber, april 2024.


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2024/04/10


Dagmar Sinn
Im Tunnel


Vor etwa 20 Jahren - Deutschland, eine Kreisstadt am Niederrhein:
Eine Abiturientin schreibt für den Deutschunterricht eine Hausarbeit mit der Überschrift "Die Angst vor dem schwarzen Loch": Ein junges Mädchen russischer Herkunft nimmt Abschied von ihrer Familie, um in Deutschland armen Menschen zu helfen. Sie kommt vom Weg ab, fängt sich aber und will im Westen ein neues Leben beginnen. Sie kauft sich ein kleines Auto und fährt Richtung Hamburg. Im Elbtunnel fährt sie auf einen Tanklaster auf und verunglückt tödlich.
Eine erfundene Geschichte.

2006, Norwegen, Trondheim:
Die Schülerin ist jetzt Studentin an der NTNU (Norwegian University of Science and Technology). Zusammen mit 3 Bekannten will sie einen Ausflug auf die Inselgruppe der Lofoten machen. Sie mieten einen 14 Jahre alten Mazda. Sie kommen nie an. Abends gegen 23 Uhr werde ich angerufen - Unfall in einem Tunnel. Ich kriege eine Gänsehaut. Die Lenkung des alten Mazda hat versagt. Totalschaden, der PKW verfehlt knapp die Tunnelwand. Die Insassen kommen mit dem Schrecken davon. Unsere Tochter war kurz vorher auf dem Rücksitz eingeschlafen. Nur ihre Jeans ist zerrissen.
Eine wahre Geschichte. Zufall?

destino, spanisch: Schicksal, Bestimmungsort, Ziel.

© Dagmar Sinn, April 2024.


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2024/04/08


Dr. Jane Goodall ist 90
Primatenforscherin und Umweltaktivistin
geboren in London/England am 3. April 1934


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Quelle: www.


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Dr. Jane Goodall im Botanischen Garten Berlin, Juni 2015.
Foto von Dr. Christian G. Pätzold.


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2024/04/06


Tagebuch 1974, Teil 73: Bangkok II (Krung Thep)

von Dr. Christian G. Pätzold


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Königstempel Wat Phra Kaeo (Innenhof), Bangkok.
Quelle: Wikimedia Commons. Foto von Ch. Meissner, September 2004.


1. Januar 1974, Bangkok, Dienstag

Heute war Neujahr, der erste Tag des Jahres 1974. Wir haben uns ausgeruht und gelesen. Ich habe etwas Thailändisch gelernt, um die Basics der wundervollen thailändischen Kochkunst zu verstehen. Thailändische Gerichte:

Mu Pat Prio Wan = Schwein süß-sauer; Lat Kao = auf Reis;
Gai Pat Lat Kao = Huhn mit Reis; Goitio Nam = Nudelsuppe;
Nüa Pat Naman Hoi = Rind gebraten in Muschelöl; Salat Gai = Hühnersalat;
Goitio Pat Tai = Nudeln mit Bambus; Boibia Sai Gung = überbacken mit Krabben;
Salat Kai = Eiersalat; Kai Jak Sai = Omelett mit Gehacktem;
Mi Mai ? = Haben Sie ?; Tau Lai ? = Wie viel kostet ?


2. Januar 1974, Bangkok, Mittwoch

Bangkok war bunt, tropisch, exotisch und interessant. In Thailand herrschte König Bhumibol (1927-2016) mit seiner Königin Sirikit (geb. 1932), die angeblich im Volk beliebt waren. König Bhumibol nannte ich immer Blumenkohl, weil ich mir Bhumibol nicht gut merken konnte. Es ist interessant zu wissen, dass Thailand (früherer Name: Siam) nie eine Kolonie einer europäischen Macht war, im Gegensatz zu den anderen Ländern in Süd-Ost-Asien. Thailand war immer ein selbständiges Königreich.

Thailand war buddhistisch geprägt, aber vermischt mit einem lebendigen Geisterglauben. Kleine Geisterhäuschen auf Pfählen sah man öfter in den Straßen von Bangkok. Dort platzierten die Thailänder:innen Räucherstäbchen und Nahrungsmittel für die Geister, wahrscheinlich um sie bei Laune zu halten.


3. Januar 1974, Bangkok, Donnerstag

Meine Reisepartnerin hat für 90 Baht eine Fahrt durch die Klongs von Bangkok unternommen. Klong heißen die Kanäle, die als Transportwege und als schwimmende Märkte dienten, mit Häusern auf Stelzen an den Ufern. Die Klongs waren auch eine Touristenattraktion, weil man dort das bunte Alltagsleben der Thailänder:innen ansehen konnte. Die schmalen Kanäle waren ziemlich verstopft durch die vielen Boote.

Wir haben den Tempelbezirk besucht, in dem sich der Smaragd-Buddha befindet. Von den hunderten Tempeln Bangkoks ist der Königstempel Wat Phra Kaeo (Tempel des Smaragd-Buddha) der wichtigste Tempel. Wat bedeutet Tempel. Darin befindet sich der Smaragd-Buddha (englisch: Emerald Buddha), das Nationalheiligtum Thailands. Tatsächlich ist der Buddha jedoch nicht aus Smaragd hergestellt, sondern aus Jade. Der Smaragd-Buddha hat 3 verschiedene Gewänder, die den Jahreszeiten angepasst werden, 1 Gewand für die Heiße Jahreszeit, 1 Gewand für die Kühle Jahreszeit und 1 Gewand für die Regenzeit. Das zeigte das Feingefühl der Thailänder, dass sie den Buddha je nach Jahreszeit passend einkleideten. Ich habe den Smaragd-Buddha in der Kleidung für die kühle Jahreszeit gesehen, bei der der größte Teil des Körpers des Buddha mit goldener Kleidung bedeckt ist. Die ganze Tempelanlage war sehr eindrucksvoll, golden und glitzernd, mit der typischen thailändischen Tempelarchitektur.


4. Januar 1974, Bangkok, Freitag

Heute haben wir uns den ganzen Tag um unser Flugticket nach Los Angeles mit zahlreichen Zwischenstops gekümmert. Die günstigste Fluggesellschaft war Korean Airlines. Es gab einige Fluggesellschaften, die sich bemühten, ihre Flugzeuge auf der Trans-Pazifik-Strecke voll zu bekommen, daher waren die Flüge relativ günstig zu haben. Korean Airlines bot Zwischenstops in Hongkong, Taipeh, Seoul, Tokio und Honolulu an, das heißt man konnte dort aussteigen, ein paar Tage oder Wochen bleiben, und dann wieder zum nächsten Stop fliegen. Das war genau in unserer Absicht, denn wir wollten ja die verschiedenen Länder näher kennen lernen.

Vor dem Central Department Store in der Silom Road haben wir demonstrierende Studenten gesehen. Sie agitierten gerade vor dem Kaufhaus gegen den Kauf von ausländischen Waren und Luxusartikeln, was mit der buddhistischen Tugend der Genügsamkeit zusammen passte, und für den Kauf von thailändischen Waren.

© Dr. Christian G. Pätzold, April 2024.


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Der Smaragd-Buddha in Winterbekleidung, Wat Phra Kaeo, Bangkok.
Quelle: Wikimedia Commons. Foto von Gremel Madolora, Dezember 2011.


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2024/04/02


Tagebuch 1973, Teil 72: Bangkok I (Krung Thep)

von Dr. Christian G. Pätzold


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Das Wappen von Bangkok. Quelle: Wikimedia Commons.


29. Dezember 1973, Bangkok (Krung Thep), Sonnabend

Wir waren mit dem Zug in Bangkok eingetroffen und sind mit dem Taxi zum DED Office gefahren. Die thailändische Hauptstadt Bangkok heißt auf Thailändisch Krung Thep. Die Währung hier hieß Baht. Das Königreich Thailand war schon die 3. Monarchie, die wir besuchten, nach dem Kaiserreich Iran und Malaysia. Im Lauf unserer Reise sollten wir noch das Kaiserreich Japan besuchen. Das wars dann aber auch mit den Monarchien. In Amerika, wohin wir danach reisten, gab es keine Monarchien.

Herr Haferkorn vom Deutschen Entwicklungsdienst (DED), den wir im Zug kennen gelernt hatten, ließ uns im Office des DED in Bangkok im Gästezimmer übernachten, jedenfalls solange keine Entwicklungshelfer:innen eintrafen, die dort übernachten wollten. Das war sehr freundlich, dadurch konnten wir die Kosten für ein Hotel sparen und Entwicklungshelfer:innen kennen lernen.

Ich war mir aber nicht so sicher, ob die Thailänder:innen überhaupt Entwicklungshelfer:innen aus der Bundesrepublik Deutschland brauchten. Thailand war ein ganz normales südostasiatisches Land mit einer hohen kulturellen Entwicklung. Entwicklungshilfe hatte Thailand eigentlich nicht nötig. Das Königreich Thailand war nie Kolonie einer ausländischen Macht gewesen. Aber die Thailänder waren ein gutmütiges Volk und haben wahrscheinlich gedacht: Wenn ihr unbedingt deutsche Entwicklungshelfer:innen schicken wollt, dann schickt sie eben. So ein paar Helfer:innen können ja keinen großen Schaden anrichten. Schließlich galt Thailand als Land des Lächelns. Und die deutsche Bundesregierung war natürlich der Meinung, am deutschen Wesen solle die ganze Welt genesen. Für uns war die Bekanntschaft mit den deutschen Entwicklungshelfer:innen in Thailand sehr hilfreich, denn durch sie konnten wir das Leben in einigen thailändischen Dörfern etwas näher kennenlernen.

Der thailändische Kalender war anders als der christliche europäische Kalender. In Thailand hatten wir heute nicht den 29. Dezember 1973, sondern den 29. Dezember 2516. Der Thailändische Suriyakati-Kalender basiert auf der Buddhistischen Zeitrechnung. Die Zählung der Jahre beginnt mit dem Jahr 1 nach dem Todesjahr von Gautama Buddha, also mit dem Jahr 544 vor der christlichen Zeitrechnung. Dadurch sind die Jahreszahlen um 543 größer als in der christlichen Zeitrechnung. Nach dem thailändischen Kalender waren wir also schon im 26. Jahrhundert. Früher auf unserer Reise hatten wir ja schon den Islamischen Kalender kennen gelernt, der auch anders zählt als der christliche Kalender.

Thailand hat auch eine eigene thailändische Schrift, die ich in der Kürze der Zeit nicht lernen konnte. Das war aber kein Problem, da die wichtigsten Infos für Reisende in lateinischer Schrift und in englischer Sprache angeschlagen waren. Allgemein kann man sagen, dass die thailändische Schrift komplizierter ist als die lateinische Schrift, da sie mehr Schriftzeichen hat.

Abends haben wir einen in Hongkong gedrehten Martial-Arts-Film gesehen, »Enter the Dragon« (deutsch: Der Mann mit der Todeskralle) mit Bruce Lee (1940-1973), der der bekannteste chinesische Kung-Fu-Schauspieler war. Es war eine moderne Geschichte, etwas im Stil von James Bond. Es war der letzte Film mit Bruce Lee. Er war kurz vorher am 20. Juli 1973 in Hongkong an Überarbeitung gestorben, mit nur 32 Jahren. Der Film gilt als Klassiker der Kung-Fu-Filme.

Ich habe noch etwas Geld gewechselt. Wechselkurs: 1 DM = etwa 7 Baht.


30. Dezember 1973, Bangkok, Sonntag

Heute waren wir an der Thammasat University, um mit einem Studentenvertreter zu sprechen, dessen Adresse wir hatten. Die Thammasat University war eine renommierte und große staatliche Universität. Unser Gesprächspartner war von der Federation of Independent Students of Thailand (FIST). Er war sehr reserviert und hat kaum mit etwas rausgerückt. Zu Forderungen für die neue Verfassung wollte er gar nichts sagen. Immerhin war von ihm zu hören, dass der König gut sei und beim Volk beliebt. Grundsätzliches zur Monarchie wollte er nicht sagen. Es gab auch eine weitere Studentenorganisation, das Nationale Studentenzentrum Thailands (NSCT), das stärker links ausgerichtet zu sein schien.

Die Thammasat University war in den 1970er Jahren ein Zentrum der prodemokratischen Studentenbewegung, die sich für eine neue Verfassung und für Demokratie einsetzte. Von ihr ging der Volksaufstand im Oktober 1973 aus, der zum Ende der 15-jährigen Militärdiktatur führte. Der Rektor der Universität wurde vom König beauftragt, eine liberale Verfassung auszuarbeiten.

Die Situation Ende 1973 muss vor dem Hintergrund des Vietnamkrieges gesehen werden, der in der Nachbarschaft von Thailand wütete. Die herrschende Oberschicht in Thailand hatte Angst, dass Thailand als Dominostein kommunistisch werden würde, wenn Vietnam, Kambodscha und Laos kommunistisch würden. Viele Studenten der Thammasat University waren links, kommunistisch, sozialistisch, marxistisch oder maoistisch eingestellt. Die Einflüsse der Sowjetunion und der Volksrepublik China waren groß.

Nachts war es hier sehr kühl, nur 15 Grad Celsius, im Norden sogar nur 5 Grad Celsius. Man sagte, es sei der kälteste Winter seit 36 Jahren. Ich habe die Kälte allerdings überhaupt nicht gespürt, für mich war es ganz normales Sommerwetter.


31. Dezember 1973, Bangkok, Montag

Heute war Silvester, der letzte Tag des Jahres, aber von Silvesterfeierlichkeiten in Bangkok habe ich nichts mitbekommen. Wir haben uns etwas ausgeruht. Das ist eine Gelegenheit, auf unsere bisherige Reise zurückzublicken. Seit wir am Sonnabend 7. Juli 1973 in Berlin Richtung Warschau losgefahren sind haben wir schon eine Reihe von Ländern besucht, immer Richtung Osten: Wir waren in Polen, in der Ukraine, Russland, Georgien, Armenien, Iran, Afghanistan, Pakistan, Indien, Sri Lanka, Singapur, Malaysia und jetzt in Thailand. Wir waren in sozialistischen Staaten und in kapitalistischen Staaten, in Monarchien und Republiken, in atheistischen Staaten, in moslemischen, hinduistischen und buddhistischen Staaten. Wir sind mit dem VW-Bulli in der Sowjetunion gefahren, mit der Eisenbahn, mit Reise-Bussen, mit dem Flugzeug von Colombo nach Singapur, mit dem Boot auf dem Ganges und mit der Fähre nach Penang. Unterwegs haben wir viele verschiedene Menschen kennen gelernt. So verschieden die Menschen auch waren, sie waren doch meist sehr freundlich und hilfsbereit uns gegenüber als Reisenden und fremden Ausländern und wollten uns etwas zeigen. Es gab ein gemeinsames Interesse, miteinander zu sprechen und die Lebensverhältnisse kennen zu lernen, was natürlich nur möglich war, weil wir Englisch sprechen konnten. Darüber hinaus haben wir natürlich auch viele unterschiedliche Landschaften, Flora und Fauna, Architektur und Speisen kennen gelernt. In den vergangenen 6 Monaten haben wir unser Wissen durch praktische Anschauung enorm gesteigert. Quasi durch Anschauung der Welt eine Weltanschauung entwickelt.

Postscriptum April 2024:

Heute wäre diese damalige Reiseroute von 1973 so nicht mehr gut möglich. Die politische Weltlage hat sich verschlechtert und ist in einigen Teilen sehr viel gefährlicher geworden, scheint mir. In der Ukraine ist Krieg, in Russland ist es schwierig für Ausländer. Das Auswärtige Amt hat schon von Reisen nach Russland dringend abgeraten, weil man dort verhaftet werden könne. Deutschland ist ja an dem Krieg zwischen Russland und der Ukraine erheblich beteiligt. Russland und Georgien sind in einem eingefrorenen Kriegszustand, im Iran und in Afghanistan herrschen fanatische Mullahs, die westliche Reisende nicht so gern sehen. Eine Weltumrundung über Land müsste heute eine ganz andere Route nehmen.

© Dr. Christian G. Pätzold, April 2024.


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2024/03/31


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2024/03/27


Rosa Luxemburg, 1871 - 1919


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2024/03/23


Filmtipp:
»Die Dreigroschenoper« (1931) - Film und Gespräch

Ernst Busch in Spielfilmen der Weimarer Republik (Folge 5)
Dienstag, 26. März 2024, 18:00 Uhr
Helle Panke, Kopenhagener Str. 9, Berlin Prenzlauer Berg


dreigroschenoper


"Wiederbegegnung mit einem kostbaren filmischen Dokument: G. W. Pabsts Verfilmung der Dreigroschenoper mischt wesentliche Elemente des Bühnenstücks mit Szenen aus Brechts umstrittener Filmvorlage Die Beule, endend mit den berühmten Schlusszeilen "Und man sieht nur die im Lichte | Die im Dunkel sieht man nicht."

Der gerade 30-jährige Ernst Busch als Moritatensänger (mit mehrfachen Auftritten im Film): eine in Ausdruck und Gesang bestechende Leistung. Carola Neher als Polly, Lotte Lenya als Jenny, Rudolf Forster als Macheath und weitere bekannte Mimen im Ensemble, dazu die Weillsche Musik, authentisch gespielt von der Lewis Ruth Band - das Berlin der endzwanziger Jahre lässt grüßen!"

Einführung: Dr. Jürgen Schebera
Moderation: Dr. Carola Schramm

Eine Veranstaltung der Helle Panke e.V. - Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin in Kooperation mit der Ernst Busch-Gesellschaft.

Eintritt: Euro 3,00/1,50

www.ernst-busch.org
www.helle-panke.de


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2024/03/20


Reinhild Paarmann
"Krieg und Frieden" (1)


1805 besetzten russische Truppen
Dörfer und Städte des Erzherzogtums Österreich,
2022 griffen Putins Truppen
die Ukraine an,
der große Bruder will den kleinen einverleiben,
das große Reich soll auferstehen.
Wir helfen den Überfallenen
mit Haubitzen und Panzern.
Seine Freiheit soll auch unsere sein,
räkeln uns im Frieden,
Sanktionen gegen Putins Krieg
dreht uns den Gashahn zu,
viele Räder stehen still,
weil sein Arm das will,
Alternative Energie oder Wettbewerb
Um jeden Preis.
Ist das der Preis der Freiheit?
Wer muss ihn zahlen, wer nicht?
Auf die Schuldenbremse drücken
die Liberalen.
Wo ist die Schuld,
die wenig haben?
Sollen wir David
Goliath überlassen?
"s' ist Krieg! S' ist Krieg!...
Und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!" (2)
Wo ist unsere Schuld?
Wir haben die Ukraine ermutigt,
der NATO beizutreten.
Wird David wieder Goliath überlisten können?

(1) Tolstoi
(2) Matthias Claudius. 1778 Bayrischer Erbfolgekrieg

© Reinhild Paarmann, März 2024.


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2024/03/16


Seit 50 Jahren

von Dr. Christian G. Pätzold


2024-ufafabrik
In der ufaFabrik in Berlin Tempelhof.
Foto von Dr. Christian G. Pätzold, August 2012.


Kontinuitäten in West-Berlin, Geschichte aus dem alten West-Berlin. Dieses Jahr gibt es einige kulturelle Institutionen, die auf 50 Jahre Existenz in West-Berlin zurückblicken. Das ist kein Zufall, denn 1968 war eine Mini-Revolution, die in den folgenden Jahren zu zahlreichen Neugründungen geführt hatte, die der alten Gesellschaft, die aus der Nazizeit kam, eine sozialistische Alternative entgegenstellen wollten, die allerdings etwas anders war als Ost-Berlin. Denn für die antiautoritäre Student:innenbewegung in West-Berlin war der Sozialismus in Ost-Berlin zu spießig, zu bürokratisch und zu autoritär.

Am offensichtlichsten waren die politischen Buchläden, die damals wie Pilze aus dem Boden schossen, und die ausschließlich politische sozialistische Bücher verkauften. Die Nachfrage nach linker Literatur war bei der jungen Generation enorm, sowohl nach Belletristik als auch nach Geschichte, Politik, Soziologie, ökonomischer Theorie und Wirtschaftspolitik, Psychologie, Philosophie und anderem. Neue linke Verlage wie der Klaus Wagenbach Verlag in West-Berlin waren sehr erfolgreich. In der Lietzenburger Straße am Olivaer Platz gab es im Souterrain einen bekannten politischen Buchladen. Die Buchhändler:innen haben damals stapelweise Bücher aus Peking bestellt, vorzugsweise die Gesammelten Werke von Mao Tse-tung in deutscher Übersetzung. In China war Kulturrevolution. Die Rote Garde, die Jugendorganisation der Kommunistischen Partei Chinas, war damals sehr beliebt. Auch am Savignyplatz in Charlottenburg gab es einen großen politischen Buchladen.

Diese Buchläden gibt es heute nicht mehr. Sie sind irgendwann in den Umwälzungen der letzten 50 Jahre untergegangen. Aber es gibt immer noch linke politische Buchläden in Berlin. Lohnenswerte Adressen mit riesigen Beständen sozialistischer Literatur (Sozialistica) sind das Rote Antiquariat in der Rungestraße 20 in Berlin Mitte. Der Buchladen Schwarze Risse im Mehringhof (Gneisenaustraße 2a) in Kreuzberg, mit dem Laden hängt auch der Verlag Assoziation A zusammen. Und der Kleine Buchladen im Karl-Liebknecht-Haus am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin Mitte. Auch das Antiquariat der Hellen Panke in Prenzlauer Berg.

50 Jahre existiert der Kunstraum Bethanien am Mariannenplatz in Kreuzberg, 1973 besetzt und seitdem bis heute ein Gebäude für Künstler und Kunstausstellungen. Schon im Dezember 1971 wurde das benachbarte Georg-von-Rauch-Haus von Jugendlichen besetzt, das war der Beginn der Hausbesetzerbewegung in Berlin, die besonders in den 1980er Jahren Fahrt aufnahm. Die Hausbesetzerbewegung begann damals, weil viele Häuser leer standen und der Wohnungsmangel groß war. Im Rauch-Haus lebt noch heute ein selbstverwaltetes Wohnkollektiv.

Zu dieser Zeit entstand der bekannte Rauch-Haus-Song, die Hymne der Hausbesetzer, die während der Besetzung 1971 von Rio Reiser von der Band Ton Steine Scherben geschrieben wurde:

"Der Mariannenplatz war blau, soviel Bullen waren da,
und Mensch Meier mußte heulen, das war wohl das Tränengas.
Und er fragt irgendeinen: "Sag mal, ist hier heut 'n Fest?"
"Sowas ähnliches", sacht einer "das Bethanien wird besetzt."
"Wird auch Zeit", sachte Mensch Meier, stand ja lange genug leer.
Ach, wie schön wär doch das Leben, gäb es keine Pollis mehr.
Doch der Einsatzleiter brüllte: "Räumt den Mariannenplatz,
damit meine Knüppelgarde genug Platz zum Knüppeln hat!"

Doch die Leute im besetzen Haus
riefen: "Ihr kriegt uns hier nicht raus!
Das ist unser Haus, schmeißt doch endlich
Schmidt und Press und Mosch aus Kreuzberg raus."

Der Senator war stinksauer, die CDU war schwer empört,
daß die Typen sich jetzt nehmen, was ihnen sowieso gehört.
Aber um der Welt zu zeigen, wie großzügig sie sind,
sachten sie: "Wir räumen später, lassen sie erstmal drin!"
Und vier Monate später stand in Springer's heißem Blatt,
daß das Georg-von-Rauch-Haus eine Bombenwerkstatt hat.
Und die deutlichen Beweise sind zehn leere Flaschen Wein
und zehn leere Flaschen können schnell zehn Mollies sein.

Doch die Leute im Rauch-Haus
riefen: "Ihr kriegt uns hier nicht raus!
Das ist unser Haus, schmeißt doch endlich
Schmidt und Press und Mosch aus Kreuzberg raus."

Letzten Montag traf Mensch Meier in der U-Bahn seinen Sohn.
Der sagte: "Die woll'n das Rauch-Haus räumen,
ich muß wohl wieder zu Hause wohnen."
"Is ja irre", sagt Mensch Meier "sind wa wieder einer mehr
in uns'rer Zweiraum Zimmer Luxuswohnung
und das Bethanien steht wieder leer.
Sag mir eins, ha'm die da oben Stroh oder Scheiße in ihrem Kopf?
Die wohnen in den schärfsten Villen, unsereins im letzten Loch.
Wenn die das Rauch-Haus wirklich räumen,
bin ich aber mit dabei und hau den ersten Bullen,
die da auftauchen ihre Köppe ein."

Und ich schrei's laut:
"Ihr kriegt uns hier nicht raus!
Das ist unser Haus, schmeißt doch endlich
Schmidt und Press und Mosch aus Kreuzberg raus."

Und wir schreien's laut:
"Ihr kriegt uns hier nicht raus!
Das ist unser Haus, schmeißt doch endlich
Schmidt und Press und Mosch aus Kreuzberg raus."

Die herrschenden Politiker in West-Berlin hatten eine höllische Angst vor einem Aufstand der Jugend in West-Berlin, denn das wäre ein gefundenes Fressen für die Kommunisten in Ost-Berlin gewesen.

Weitere kulturelle Projekte von Hausbesetzern, die heute noch sehr munter sind: Die ufaFabrik in Tempelhof und die Regenbogenfabrik in Kreuzberg. Sie entstanden etwas später, die ufaFabrik wurde 1979 besetzt, die Regenbogenfabrik 1981. Die ufaFabrik ist ein selbstverwaltetes Kulturprojekt auf einem größeren Gelände am U-Bahnhof Ullsteinstraße. Dort befinden sich heute ein Kinderbauernhof, ein Spielplatz, eine Freie Grundschule, ein Naturkostladen, eine Biobäckerei, das Café Rudi & Rosa, mehrere Säle und Studios für Filmvorführungen, Kabarett und Variete, eine Freilichtbühne, ein Gästehaus mit 10 Zimmern, eine Kinderzirkusschule und ein Nachbarschafts-Zentrum. Alles Öko.

Was hat noch die letzten 50 Jahre überlebt? Da wären die Lateinamerika-Nachrichten zu erwähnen, die ursprünglich Chile-Nachrichten hießen, und die ihre Redaktion ebenfalls im Mehringhof in Kreuzberg haben. Sie sind nach dem faschistischen Putsch in Chile im September 1973 entstanden, als das Bedürfnis nach Nachrichten aus Latein-Amerika sehr groß war.

Auch das legendäre griechische Restaurant Terzo Mondo in der Charlottenburger Grolmanstraße am Savignyplatz wurde 1972 gegründet. Es hat bis heute einen separaten Raum mit Bühne für Literaturveranstaltungen und Musikveranstaltungen. Gründer war Kostas Papanastasiou, der der Meinung war, dass die Studenten nach ihren kämpferischen Vietnam-Demos auf dem Kudamm ein Restaurant brauchten, um danach zu feiern. Kostas Papanastasiou war nicht nur Gastwirt, sondern vor allem auch Schauspieler, der durch seine Rolle als griechischer Wirt in der Fernsehserie Lindenstraße sehr bekannt wurde. Kostas ist 2021 gestorben und das Restaurant wird von seinem Sohn Marc-Alexey Papanastasiou fortgeführt, der für seine Gäste manchmal Gitarre spielt und griechische Lieder singt. Ähnlich legendär ist das Schwarze Café in der Kantstraße am Savignyplatz, 1978 gegründet als Treffpunkt der linken Szene, das es auch noch gibt.

So viel zu Kreuzberg, Charlottenburg und Tempelhof. Nach 1990 ist in Ost-Berlin ein ganz neuer Kosmos von kulturellen Initiativen entstanden, hauptsächlich in Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain.


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2024/03/13


Perle des Tages:
Hier mal ein hörenswerter jugendlich-munterer Podcast-Beitrag von Dr. Wolfgang Endler über das Älterwerden:



https://www.podcast.de/episode/620392482/wolfgang-ueber-chancen-des-aelterwerdens

Interviewerin: Jana Berwig


Dieser Podcast-Link funktioniert leider nicht mehr.
Bitte zu www.podcast.de gehen und dort in der Suche-Leiste Berwig eingeben und dann in der Podcast-Reihe von Jana Berwig Wolfgang auswählen!
Entschuldigung für den vermurksten Link.


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2024/03/12


Küchenstillleben


2024-kuechenstillleben
Foto von Dr. Christian G. Pätzold.


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2024/03/09


Für ein Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) von 1.500 Euro
im Monat für Alle !

Für ein menschenwürdiges Leben in Deutschland !
Es ist alles schon durchgerechnet und mit Leichtigkeit finanzierbar.


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2024/03/06


Camping wird in Berlin immer beliebter
Ist das schon der Klimawandel ?

Fotografiert von Dr. Christian G. Pätzold, November 2023


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Tiny Homes mit Garten


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Wassergrundstück


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2024/03/02


Dagmar Sinn
Die Festung Bourtange - ein historischer Ausflug zum niederländischen Nachbarn


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Die Festung Bourtange, rekonstruierte Klappbrücke über den Graben mit Eingangstor.
Foto von © Dagmar Sinn, Dezember 2023.


Schon lange vor dem 30jährigen Krieg, der ganz Europa verwüstet, kämpfen unsere Nachbarn in den heutigen Niederlanden in ihrem eigenen Macht- und Glaubenskrieg. Bereits 1568 rebellieren die nördlichen protestantischen Provinzen gegen ihre Besetzung durch die katholischen Habsburger aus Spanien. Dieser Krieg geht als 80jähriger Krieg in die Geschichte ein und endet 1648 im selben Jahr wie der 30jährige Krieg im restlichen Europa. Aus den protestantischen Nordprovinzen entstehen die heutigen Niederlande, aus den südlichen mehrheitlich katholischen Landesteilen stammt der Vorläuferstaat des heutigen Belgien.

In den Niederlanden gibt es während des Krieges auch Friedenszeiten: Gleichzeitig mit dem Kampfgeist und Erwachen eines Nationalbewusstseins beginnt mit der Blüte von Kunst, Wissenschaft und Handel ab 1580 hier das "Goldene Zeitalter".

In diese Zeit fällt auch das aktive Eingreifen des aus Hessen stammenden Wilhelm I. von Oranien (1533 - 1584), einem der bekanntesten Anführer von protestantischer Seite, der heute noch sehr populär ist und mit der Nationalfarbe Orange (Oranje) verehrt wird. Er lässt auf einem Sandrücken (= Tange) inmitten eines ausgedehnten Hochmoorgebietes eine Festung in Form eines fünfeckigen Sterns mit Bastionen an allen fünf Ecken errichten - Bourtange. Zahlreiche Wassergräben um die Anlage und das unwirtliche Moor sind unüberwindbar. Sein Plan, die Spanier in der Besatzungsstadt Groningen von Versorgungswegen abzuschneiden, gelingt. Die Festung wird nie eingenommen, auch 100 Jahre später nicht.

Doch der Zahn der Zeit nagt an Bourtange, der Verfall lässt sich nicht aufhalten. Im 19. Jahrhundert wird die Festung aufgegeben und steht kurz vor dem Abriss. Glücklicherweise beschließt man 1970 nach alten Plänen den historischen Wiederaufbau von Festung und Wohnbebauung. Die Umgebung wird renaturiert und mit Naturpfaden, Rad- und Wanderwegen wieder zugänglich gemacht. Heute ist Bourtange ein Museumsdorf und zu jeder Jahreszeit beliebtes Ausflugsziel, nur 2 km von der deutschen Grenze entfernt.

Übrigens wird in den Niederlanden genau unterschieden zwischen dem Westfälischen Frieden und dem Frieden zu Münster im selben Jahr. Der Friedensvertrag vom 24. Oktober 1648 beendet den 30jährigen Krieg in Europa, der Vertrag vom 15. Mai 1648 den 80jährigen Krieg zwischen den Niederlanden und Spanien.

© Dagmar Sinn, März 2024.


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Die Festung Bourtange in den Niederlanden, Stadtplan.
Quelle: Wikimedia Commons.


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2024/02/29


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2024/02/26


Internationales Mail-Art-Projekt von Ingo Cesaro


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Mail Art gab es bisher auf www.kuhlewampe.net noch nie zu sehen, und das ist eine Lücke, die jetzt behoben werden kann. Mail Art ist eine Kunstform, die in den letzten Jahrzehnten sehr an Beliebtheit gewonnen hat. Mail Art ist Kunst, die als künstlerisch gestaltete Postkarten weltweit verschickt wird. Künstlerinnen und Künstler und auch ganz normale Mitmenschen haben schon lange ihre Postkarten künstlerisch gestaltet, aber Ausstellungen mit Mail Art gibt es noch nicht so lange. Eine Ausstellung hat der Dichter und Verleger Ingo Cesaro in Kronach in Franken veranstaltet, anlässlich des 550. Geburtstags von Lucas Cranach d.Ä. im Jahr 2022. Lucas Cranach d.Ä. war ein bekannter Maler der Renaissance, in Kronach geboren, der in Wittenberg zur Zeit der Reformation arbeitete. Der Herausgeber der mail-art-Dokumentation Ingo Cesaro lebt in Kronach und ist selbst als mail-art-Artist aktiv.

Heute in Zeiten der digitalen Kommunikation und der E-Mails werden natürlich nicht mehr so viele Postkarten geschrieben und verschickt wie früher. Vor allem ältere Menschen verschicken noch gern Ansichtskarten, vielleicht aus dem Urlaub oder zum Geburtstag. Und daher wird es vielleicht noch eine Weile Postkarten und Mail Art geben. Zumindest so lange, wie es noch Briefkästen gibt und so lange die Deutsche Post überhaupt noch Post zustellt. Auch das ist fraglich. Die Telefonzellen an den Straßenecken wurden ja schon abgeschaltet, da angeblich alle Leute heutzutage ein Handy haben.

Wie auch immer die Zukunft der Mail Art aussehen mag, Mail Art ist jedenfalls eine Kunstform, die jeder Mensch leicht praktizieren kann, denn sie ist nur mit geringen Kosten verbunden. Jeder Mensch kann ein Künstler oder eine Künstlerin sein. Man braucht nur ein Stück Karton in der Größe einer Postkarte, ein paar Buntstifte oder ausgeschnittene Bilder aus einer Illustrierten, etwas Kleber, und etwas Fantasie, und schon kann man eine Postkarte künstlerisch selbst gestalten. Zum Schluss schreibt man noch Grüße auf die Rückseite, klebt eine Briefmarke auf und steckt die Postkarte in den Briefkasten. Und schon wandert die eigene Kunst in die ganze Welt. Das ist wirklich niedrigschwellige Kunst. Daher ist Mail Art so sympathisch und wurde weltweit populär. In der Mail Art ist Vieles möglich: Zeichnungen, Aquarelle, Collagen, Linolschnitte etc. Das von Ingo Cesaro herausgegebene Mail-Art-Buch enthält viele Anregungen für eigene kreative Schöpfungen. In dem Buch sind auch ganz junge Künstlerinnen und Künstler von 12 und 13 Jahren vertreten. Mail Art sind kleine Kunstwerke, aber doch auf jeden Fall Kunstwerke.

Dr. Christian G. Pätzold.


Cesaros internationales mail-art-Projekt: 550. Geburtstag von Lucas Cranach d.Ä.

Das Buch zur Ausstellung dokumentiert 268 Mail-Art-Einsendungen in Abbildungen.
Das Buch kann bei Ingo Cesaro bestellt werden: ingocesaro@gmx.de
Preis: 15 Euro (in Deutschland und portofrei)


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2024/02/23


Filmtipp:
Joan Baez: I Am A Noise

von Dr. Christian G. Pätzold


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Joan Baez und Bob Dylan, 28. August 1963, bei dem vom Civil Rights Movement
organisierten Marsch auf Washington.
Quelle: Wikimedia Commons.


Ein neuer Film mit Joan Baez ist erschienen. Ich bin ein Fan von Biopics und freue mich, wenn ein guter neuer Film über einen interessanten Menschen in den Kinos gezeigt wird. Joan Baez, Jahrgang 1941, war schon in jungen Jahren sehr bekannt und bewundert, nicht nur in den USA, sondern international. Das lag zum einen an ihrer fantastischen kristallklaren Sopran-Stimme, die es vielleicht 1x in 100 Jahren gibt, und zum anderen an ihrem ausgeprägten Talent für politischen Aktivismus, u.a. gegen die Rassentrennung und gegen den Vietnamkrieg. Sie war aktiv in der Bürgerrechtsbewegung der frühen 1960er Jahre zusammen mit Martin Luther King Jr. Damals wurden die Schwarzen in den USA noch wie 2. Klasse behandelt. We shall overcome some day. Und auch Joan Baez wurde schon in der Schule wegen ihrer mexikanischen Herkunft gemobbt. Das hat sie wahrscheinlich für gesellschaftliches Engagement sensibilisiert. Am Ende der 1960er Jahre war sie dann aktiv in der Studenten- und Jugendbewegung von 1968, zusammen mit Bob Dylan. Ihr Auftritt in Woodstock 1969 war legendär. Martin Luther King Jr. wurde früh ermordet, aber Joan Baez und Bob Dylan sind bis heute am Leben und haben immer noch Ausstrahlung. Joan Baez hat nur mit ihrer Stimme und einer Gitarre Musikgeschichte geschrieben.

Da kommt der Film »Joan Baez: I Am A Noise« genau richtig, als Rückblick auf ihr langes intensives Leben. Sie kam aus einer Quäkerfamilie, die traditionell sensibel gegenüber Diskriminierungen von Menschen sind. Der Titel des Films ist ein Wortspiel: Voice - Noise. Stimme - Laut. Sie war eine laute Stimme, nicht nur gesanglich, sondern auch politisch. Inzwischen hat sie sich von Bühnenauftritten zurückgezogen. Joan Baez hat die Schatzkammer ihres Familienarchivs mit alten Videos und Tagebüchern für den Film zur Verfügung gestellt, das war sehr nützlich.

Ich bin mit einigen Erwartungen ins Kino gegangen. Aber das 2-stündige Biopic war zu meiner Enttäuschung doch sehr küchenpsychologisch geprägt, von ihrem Lampenfieber in frühen Jahren, von ihren Panikattacken und Nervenzusammenbrüchen. Ich hätte mir mehr Filmausschnitte über ihre politischen Aktivitäten gewünscht. Auch längere Filmszenen von ihren Gesangsauftritten. Die Lieder auf ihren Konzertauftritten waren immer nur kurz angeschnitten, vielleicht aus Copyrightgründen ? Joan Baez hat ja ihre bekanntesten Songs nicht selbst geschrieben und komponiert, im Unterschied zu Bob Dylan. Immerhin gab es einige Szenen aus ihrem stattlichen Anwesen mit großem Swimmingpool in Woodside/Kalifornien im Silicon Valley, wo sie allein mit ihrem Hund lebt. Im Alter ist sie zu der Erkenntnis gekommen: Ich konnte nicht gut in einer 2er-Beziehung leben, ich bin aber immer gut mit 2.000 Menschen klar gekommen. 2017 wurde sie in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen.

Joan Baez: I Am A Noise
USA 2023
Regie: Karen O'Connor, Miri Navasky & Maeve O'Boyle
113 Minuten

Biografie:
Jens Rosteck: Joan Baez - Porträt einer Unbeugsamen
Hamburg 2017, Osburg Verlag
Preis: 24 €
ISBN 978-3-95510-142-8


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2024/02/20


Türspione in Avignon


avignon1
Fotos von © Grietje Willms.


Diese Fotos habe ich in dem <vieux maison d'arrêt>, dem alten Gefängnis in Avignon gemacht.
Sie zeigen die Zellentüren mit ihren Gucklöchern bzw Türspionen von außen, zT. auch von innen.
Das Gefängnis war bis 10 Jahre vor meinem Besuch dort noch in Betrieb. Das konnte man an einigen Malereien in den Zellen erkennen, nicht an den sonstigen Baulichkeiten.
In den 40er Jahren waren in diesem Gefängnis die jüdischen Mitbürger Avignons inhaftiert, bevor sie deportiert wurden.

Grietje Willms
https://grietjewillms.jimdofree.com


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2024/02/17


"Das große Carthago führte drei Kriege.
Es war noch mächtig nach dem ersten,
noch bewohnbar nach dem zweiten.
Es war nicht mehr auffindbar nach dem dritten."

Bertolt Brecht 1951


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2024/02/14


Murphys Gesetz
"Alles, was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen."
Murphy's Law: Anything that can go wrong will go wrong.

Edward Aloysius Murphy Jr., 1918-1990


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2024/02/10


wolfgang weber
schicksal freundlich gestimmt


F1

fatal - ismen

katakl - ysmen
wattnditte
(erdgeschichtliche katastrophe)

modern - ismen
archa - ismen

kommun - ismen
kapital - ismen

fasch - ismen

sozial - ismen
marx - ismen
stalin - ismen
bolschew - ismen

feudal - ismen

formal - ismen
bürokrat - ismen

femin - ismen
patriarchal - ismen

lokalpatriot - ismen

mechan - ismen

anachron - ismen

revanch - ismen

atheis - men
buddh - ismen
islam - ismen

zyn - ismen

somnambul - ismen

antagon - ismen
dual - ismen

ego - ismen

pessim - ismen
optim - ismen

real - ismen
nihil - ismen

nikot - ismen

fatal - ismen

ismen
ismen
ismen
ismen
immer wieder
ismen

F2

goin' down down down goin' slow
alles alles geht den bach herunter
alles alles geht gaaaanz laaaangsaaaam voran

nein nein
handelt lieber nach der devise
keep on keepin' on
immer weiter machen
mussja
(norddeutsche version)

F3

entkommt den fatal - ismen
den self fulfilling prophecies
den düsteren
sich selbst bewahrheitenden prophezeiungen

denkt an die beatles
und den schrei von joe cocker
with a little help from my friends

sucht euch hilfe bei freunden
und anderen hilfreichen menschen

F4

ihr müsst nicht alles alleine schaffen
sprecht leute an
nehmt euer schicksal selbst in die hand

F5

organisiert euch
sucht hilfe
fatal wäre es
gar nichts zu tun

F6

fate in a pleasant mood
schicksal freundlich gestimmt
sun ra and his myth science arkestra

1960
immer wieder neu aufgelegt

das orchester
das mythos und wissenschaft
verbindet
jedenfalls in dieser inkarnation

der mann
der sich sun ra nannte
nach dem ägyptischen
sonnengott
seine verbindungen reichten
bis zum planeten saturn

space is the place
ein anderes seiner sprungbretter
für ausgedehnte improvisationen

F7

ganz so groß muss euer netzwerk
nicht sein
aber haben solltet ihr eines

sonst sitzt ihr da
inmitten der fata morgana
waiting in the desert
for a dessert

ihr wartet in der wüste
auf einen nachtisch
das wäre die feministische variante
mata morgana

F8

plötzlich unerwartet
kommt al capone
um die ecke

al capone
lookin' round the corner
or rather
sneakin' round the corner

um die ecke geschlichen

al capone
niemals ohne kanone
oder melone

ja das ist al capone
fatal für diejenigen
die es trifft

al capone
aß gerne minestrone
reim oder ich fress dich

al capone
liebte seine drinks
mit zitter-
oder tobler-one

F9

soundtrack dazu

nicht von sinatra
frankie boy

sondern
ennio morricone
das ist nicht ohne
dazu mascarpone

© wolfgang weber, februar 2024.


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2024/02/06


Belles choses - Art Nouveau um 1900
Ausstellung im Bröhan-Museum Berlin bis 14. April 2024


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Henri de Toulouse-Lautrec (1864-1901):
La Troupe de Mlle Églantine (Poster), Farblithografie, 1895.
Quelle: Wikimedia Commons.
Henri de Toulouse-Lautrec hat die Pariser Boheme am Fin de Siècle dokumentiert,
das war sehr verdienstvoll.


Es ist eine sehr sehenswerte Überblicksausstellung zum französischen Jugendstil.
In der Ausstellung erfährt man auch, dass es sogar politischen Jugendstil gegeben hat, bspw. beim Völkermord an den Armeniern in der Türkei oder bei der Dreyfus-Affäre.
Zur Ausstellung anlässlich des 50. Geburtstags des Museums schreibt das Bröhan-Museum:

"Naturhaft bewegte Linien, raffiniert geschwungene Formen und ein überbordender Reichtum an floralen, figürlichen und abstrakten Ornamenten - das sind die Erkennungszeichen des Art Nouveau, der französischen und belgischen Variante des Jugendstils. Frankreich und Belgien hatten großen Anteil an der Aufbruchsbewegung der europäischen Kunst und Gestaltung um 1900, die der Moderne den Weg ebnete. Besonders von Paris ging eine enorme Sogwirkung aus: Hier wirkten Architekten wie Hector Guimard und Eugène Gaillard; Plakatgestalter wie Henri de Toulouse-Lautrec und Alfons Mucha revolutionierten das Grafikdesign. Aus Anlass des 50-jährigen Jubiläums des Bröhan-Museums widmet sich die umfangreiche Ausstellung einem der Schwerpunkte des Hauses - dem französischen und belgischen Art Nouveau.

1895 eröffnete der aus einer Hamburger Kaufmannsfamilie stammende Siegfried Samuel Bing seine Galerie für zeitgenössisches Kunsthandwerk, die Maison de l'Art Nouveau, die dem neuen Stil seinen Namen gab. Ein zweites, vollkommen eigenständiges Zentrum des Art Nouveau formierte sich mit der École de Nancy im Herzen Lothringens. Émile Gallé und die Manufaktur Daum Frères leisteten vor allem in der Glaskunst Außergewöhnliches, Louis Majorelle war als Möbeldesigner stilbildend. Mit spielerischer Heiterkeit und vor allem der floralen Ornamentik schufen die Art-Nouveau-Künstler in Zentren wie Brüssel, Paris und Nancy eine neue Gestaltung für die Belle Epoque, die schon bald ganz Europa in ihren Bann schlug.

Die Zeit um 1900 war eine Phase der Umbrüche. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse und technische Errungenschaften griffen tief in den Alltag ein, die Industrialisierung erreichte ihren Höhepunkt und das Leben verlagerte sich vom Land in die Städte. Der Art Nouveau schuf "belles choses" - schöne Dinge, die das alltägliche Leben verzaubern und die profane Umgebung in Kunst verwandeln sollten. Es kam zu einem letzten großen Aufleben des europäischen Kunsthandwerks, während gleichzeitig industrielle Materialien und maschinelle Produktionsweisen an Bedeutung gewannen."


Bröhan-Museum - Landesmuseum für Jugendstil, Art Deco und Funktionalismus
Schloßstraße 1a, 14059 Berlin Charlottenburg
Kuratorin der Ausstellung: Dr. Anna Grosskopf
Öffnungszeiten: Di bis So 10 bis 18 Uhr
Tickets: 8/5 €uro
Zur Ausstellung ist ein Katalog mit 192 Seiten und zahlreichen Abbildungen erschienen.


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Hector Guimard (1867-1942):
Eingangsbogen der Metro-Station Abbesses in Paris, 1900.
Quelle: Wikimedia Commons.
Die Metroeingänge von Hector Guimard verzaubern die Pariser Straßen bis heute.


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2024/02/02


Reinhild Paarmann
Führung im John-Heartfield-Haus in Waldsieversdorf/Märkische Schweiz
am 21. Oktober 2023


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John-Heartfield-Haus in Waldsieversdorf/Märkische Schweiz/Bundesland Brandenburg.
Foto von 2020. Quelle: Wikimedia Commons.


Das Haus mit Garten liegt im Wald am Großen Däbersee. Die Mitarbeiterin vom John-Heartfield Freundeskreis, mit der wir einen Termin haben, führt uns zunächst in die Garage, wo es eine Ausstellung von Plakaten vom politischen Fotomontage-Künstler, Maler, Grafiker und Bühnenbildner John Heartfield gibt: Skelette, die vorher Soldaten waren, der "Hitlergruss": "Kleiner Mann bittet um große Gabe".- Die Korruption wird dargestellt. "Vom Licht zur Nacht", die Bücherverbrennung. "Ich führe Euch herrlichen Pleiten entgegen" (Hitler). "Werkzeug in Gottes Hand? Spielzeug in Thyssens Hand!" Hitler als Marionette.

John Heartfield wurde als Helmut Herzfeld 1891 in Berlin-Schmargendorf geboren. Sein Vater war Schriftsteller und wurde wegen Gotteslästerung 1898 verurteilt. Die Familie floh in die Schweiz, dann nach Salzburg und wohnte in einer Holzhütte. Dort wurde die Schwester Charlotte geboren. Sie studierte später Kunst und fertigte Püppchen an. Insgesamt waren es vier Geschwister. 1899 verließen die Eltern die Kinder unter ungeklärten Umständen, die von Pflegeeltern aufgenommen wurden. 12 verschiedene Pflegeeltern hatte Helmut.

Zuletzt war er in einer Pflegestelle, wo der Pflegevater Buchhändler in Wiesbaden war. Helmut Herzfeld begann 1905 eine Lehre als Buchhändler, brach sie ab, studierte von 1908-1911 in der Kunstgewerbeschule in München. Dann arbeitete er als Werbegrafiker, 1912 fing er mit einem Studium an der Kunstgewerbe- und Handwerkerschule in Charlottenburg an, wofür er ein Stipendium erhielt.

Im 1. Weltkrieg wurde Helmut eingezogen. Seine Künstler-Freunde wie zum Beispiel Georg Grosz rieten ihm, sich krank zu melden. 1915 entließ ihn die Armee. Gegen das englandfeindliche Deutsche Kaisertum wollte er ein Zeichen setzen und nannte sich ab da John Heartfield.

Heartfield gründete mit seinem Bruder Wieland die oppositionelle Zeitschrift "Neue Jugend" und 1917 den "Malik-Verlag". Er trat mit seinem Bruder der KPD bei. 1933 floh er vor den Nazis nach Prag und 1938 weiter nach London durch Unterstützung von Freunden.

Die Plakate gegen das Hitler-Regime waren sehr kritisch, und Heartfield fürchtete zu Recht um sein Leben. Hinter einer Glasvitrine in der Garage sieht man eine rote Jacke von ihm, dazu ein Foto, wo er sie trägt. Sein Enkel in Rotterdam spendete die Jacke. Heartfield hatte zwei Kinder mit seiner ersten Frau. Eine Tochter lebt in den USA.

Als Heartfield 1945 aus dem Exil zurück nach Leipzig in die DDR kam, galt er als "Westler" und war mit seiner Kunst nicht wohl gelitten. Es herrschte gerade die "Formalismusdiskussion". Abstrakte Kunst war verfemt als westliche Dekadenz gemäß Parteibeschluss von 1951. Heartfield bekam zwei Herzinfarkte und arbeitete dann als Ausstatter und Bühnenbildner auch für das Berliner Ensemble und Berliner Theater. Brecht empfahl ihm zur Erholung die Märkische Schweiz. 1957 pachtete Heartfield ein Grundstück in Waldsieversdorf und errichtete ein Sommerhaus. 1956 wurde er rehabilitiert. Die Ostberliner Akademie der Künste nahm ihn auf. 1968 starb John Heartfield in Berlin.

Wir gehen nun in das Haus. Auf dem Herd in der Küche stehen viele Bücher: "Petroleum" von Upton Sinclair (Malik Verlag, Berlin 1927). Das Haus wird nicht beheizt, obwohl ein Kamin und ein Herd vorhanden sind. Im Wohnzimmer ein Spruch von Kurt Tucholsky an der Wand:
"Wenn ich nicht Peter Panter wäre, möchte ich ein Buchumschlag im Malik-Verlag sein. Dieser John Heartfield ist wirklich ein wahres Weltwunder."

Die Glasvitrinen sind beschlagen. In einer die Strohpüppchen von Liselotte Lange. Auf dem Schreibtisch steht ein Foto, das seine 3. Frau zeigt: Gertrude Heartfield, die er in London im Exil kennenlernte, als er krank war und sie ihn pflegte. In einer Vitrine stehen Weingläser. Eine Veranda ist mit Manilarohr-Möbeln bestückt. Ein Bühnenmodell von 1955 ist zu sehen zu Arno Holz': "Sozialaristokraten". Das Spießig-Bürgerliche sollte übertrieben werden. Außen führt eine Treppe zur Dachterrasse.

Nach dem Tod von Heartfield lebte dort seine Frau bis zu ihrem Tod 1983. Dann ging der Nachlass an die Akademie der Künste der DDR. Mit der Wiedervereinigung erwarb das Land Brandenburg das Grundstück 2008. Seitdem verwaltet der John-Heartfield-Freundeskreis das Haus.

Wir gehen durch den Garten mit dem Brunnen. Überall wachsen Storchenschnabel. Die Kiefern sind krank. Am Apfelbaum, den Heartfield gepflanzt hatte, hängen reife Früchte. Es gibt noch einen Birnen- und einen Quittenbaum. Das Verschneiden helfe nichts mehr.

© Reinhild Paarmann, Februar 2024.

Bitte im Internet die Öffnungszeiten des John-Heartfield-Hauses vor einem Besuch checken und eventuell telefonisch eine Führung vereinbaren !

Seht bitte auch den Artikel "Gründung des Malik-Verlags vor 100 Jahren" vom 2017/04/13 auf www.kuhlewampe.net.


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2024/01/31


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2024/01/28


Filmtipp:
»Gassenhauer« (1931) - Film und Gespräch

Ernst Busch in Spielfilmen der Weimarer Republik (Folge 4)
Dienstag, 30. Januar 2024, 18:00 Uhr
Helle Panke, Kopenhagener Str. 9, Berlin Prenzlauer Berg


gassenhauer


"Gassenhauer, das sind fünf Berliner Straßensänger, die zufällig von einem Impressario entdeckt und aus dem Zilleschen Hinterhofmilieu in die Varietélokale des Berliner Nordens verpflanzt werden. Regisseur Lupu Pick gelingt hier eine sehr realistische Milieuzeichnung. Ernst Busch spielt Peter, das Haupt der Sängertruppe; er wird, bevor es zum Happy End mit seiner Marie kommen kann, unschuldig in eine Mordaffäre verwickelt. Sängerisch kommt er freilich kaum zum Zuge, da die beiden musikalischen Hauptnummern (Hinterhofserenade und Marie, Marie) von den populären Comedian Harmonists aus dem Off vorgetragen werden und Busch und Co. dazu lediglich die Playback-Darstellung zu liefern haben."

Einführung: Dr. Jürgen Schebera
Moderation: Dr. Carola Schramm

Eine Veranstaltung der Helle Panke e.V. - Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin in Kooperation mit der Ernst Busch-Gesellschaft.

Eintritt: Euro 3,00/erm. 1,50

www.ernst-busch.org
www.helle-panke.de


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2024/01/27


Winterimpression:
Berberitzen im Schnee


berberitzen
Es gab sogar etwas Schnee in Berlin.
Foto von Dr. Christian G. Pätzold.


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2024/01/24


Berliner Schaufenster:
Kreuzberg SO 36, Mariannenstraße


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Foto von Dr. Christian G. Pätzold, November 2023.


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2024/01/20


Reinhild Paarmann
Führung im Brecht-Weigel-Haus in Buckow/Märkische Schweiz
am 20. Oktober 2023


brechthaus
Das Brecht-Weigel-Haus (Eiserne Villa) in Buckow/Märkische Schweiz, Straßenseite.
Foto von Lienhard Schulz, 2011. Quelle: Wikimedia Commons.


Im 2022 neu erbauten Besucherzentrum sehen wir die Ausstellung "Papierkrieg" von Zeitungsartikeln, die Bertolt Brecht im Exil in den USA in Santa Monica geschrieben hat.

Bei Regenwetter gehen wir anschließend mit unserer Ausstellungsleiterin in den "Lyrischen Garten" mit den Dahlien und den orangen Lampion-Blumen. Jeder Besucher sollte, nach Helene Weigels Wunsch, durch den Garten in das Haus gelangen, das auch die "Eiserne Villa" genannt wurde. Es wurde so und wird bis heute so genannt, weil Ernst Wilhelm Matterne 1896 es aus einem Stahlskelett mit doppelter Eisenplattenverkleidung als Brandschutzmaßnahme bauen ließ. Trotzdem brannte das Haus 1909 ab.

1910/11 kauft der Bildhauer Georg Roch das Grundstück und ließ den Nachfolgebau errichten, nach Entwürfen von Bruno Möhring als Atelierhaus.

Brecht pachtete das Haus 1952 mit seiner Frau Helene Weigel und den beiden gemeinsamen Kindern als Sommerwohnsitz zur Erholung und ließ es renovieren. Er lebte dort bis 1956 und schrieb in seinem Arbeitszimmer im "Gärtnerhaus", seinem Rückzugsort, neben dem Theaterstück "Turandot", die "Buckower Elegien". Angesichts des Arbeiteraufstandes vom 17. Juni 1953 verfasste Brecht im Juli/August 1953 u.a. das Gedicht: "Die Lösung":

"Wäre es da
nicht doch einfacher, die Regierung
Löse das Volk auf und
Wählte ein anderes?"

1975 nach dem Tod von Helene Weigel (6.5.1971) verkauften die Brechterben die "Eiserne Villa" an den Staat, das Gärtnerhaus blieb im Besitz der Erben und kann nicht besichtigt werden. Bis zu ihrem Tod 2015 wohnte hier die Tochter Barbara Brecht-Schall. Der Sohn Stefan, der in den USA geblieben war, besuchte einmal im Jahr das Haus.

1977 wurde es Gedenkstätte für das Künstlerehepaar Brecht/Weigel.

Wir gelangen in die Wohnhalle mit der fast sechs Meter hohen Decke und den wunderbaren großen Atelierfenstern. Das Haus ist noch original eingerichtet. Hier steht in der Mitte ein großer, langer Tisch, an dem Brecht und Weigel auch ihre Gäste empfingen, z.B. Erwin Strittmatter, und diente als Speise- und Kommunikationsraum. Weigel saß auf dem "Brautstuhl" von 1793, am Kopfanfang des Tisches, neben ihr nahm Brecht Platz. Ein Teppich wurde, um ihn vor den Besuchern zu schützen, nicht im Raum belassen. Auch die Kissen entfernte man von den Stühlen. In der linken Ecke steht ein Tisch mit "Worpsweder Stühlen", die nur drei Beine haben. Helene Weigel kochte gern im Vorzimmer, der Küche. Sie weckte auch Pilze ein, die sie selbst in der Umgebung sammelte. Brecht aß sie nie, weil er sich vor giftigen fürchtete. Weigel wollte sich in Buckow von der Theaterarbeit erholen. Beide führten eine "Offene Ehe", das heißt, während er selbst mit seiner Frau Helene das Haupthaus bewohnte, hatte Brecht seine Mitarbeiterin und Geliebte Elisabeth Hauptmann im kleinen Gartenhaus untergebracht. Immer, wenn da Rauch aufstieg, wusste Brecht, dass sie da war und er sie besuchen konnte.

Über dem Wohnzimmer befinden sich die Schlafräume und Gästezimmer. Diese konnte man nicht besichtigen.

Brecht starb 1956 an einem Herzinfarkt. Schon als 13-14-Jähriger litt er an Herzrasen.

Wir besichtigten das "Bootshaus", das 2014 modernisiert wurde und als Ausstellungsort der "Mutter Courage" dient mit einem der drei "Mutter-Courage" Wagen. Brecht hatte das Stück im Exil geschrieben. Helene Weigel spielte Mutter Courage mit 49 Jahren. Eigentlich hatte Brecht für seine Frau die Rolle der stummen Kattrin gedacht, denn so konnte sie diese im Exil spielen ohne Sprachschwierigkeiten. Aber sie hatte sie nie gespielt.

Wir sehen Filmausschnitte mit dem berühmten "Mutter Courage-Lied", wo Helene Weigel den "Mutter-Courage Wagen" zieht. In einer Vitrine sind Theater-Requisiten.

Durch den Garten gehen wir zu den Pferde-Skulpturen am See von Georg Roch, dessen Kunstwerke auch im Wohnzimmer des Brecht-Weigel-Hauses stehen, kehren in das Besucherzentrum zurück und sehen einen englischen Film mit deutschen Untertiteln, wie es Brecht in den USA in Santa Monica ging, das er "Ghetto unter Palmen" nannte. Er schrieb hier viele Drehbücher, aber nur eins wurde angenommen. Helene Weigel befand man zu alt, um ihr Rollen zu geben.

Die vielen Exilanten wie zum Beispiel Thomas Mann, mit dem Brecht gar nicht konnte, Lubitsch, Feuchtwanger, Charly Chaplin, Greta Garbo werden vorgestellt. Die Deutschen trafen sich, wenn Amerikanisch geredet wurde, sagte gleich einer: "Sprich Deutsch!"

© Reinhild Paarmann, Januar 2024.

Bitte im Internet die Öffnungszeiten des Brecht-Weigel-Hauses vor einem Besuch checken und eventuell telefonisch eine Führung vereinbaren !

Seht bitte auch den Artikel "Ein Besuch der Brecht-Weigel-Gedenkstätte in der Berliner Chausseestraße" vom 2018/02/13 auf www.kuhlewampe.net.


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2024/01/16


dr. christian g. pätzold
fatum


fatum lateinisches wort
es bedeutet götterspruch schicksal verhängnis
untergang verderben und tod
das wort stammt von dem lateinischen verb
fari sprechen
die sprache war früher etwas magisches
man wusste nicht wo sie herkommt
ihr wurde große kraft beigemessen

fata hießen bei den alten römern
die schicksalsgöttinnen die 3 parzen
nona spann angeblich den lebensfaden
decima entschied über das lebensgeschick
und morta durchtrennte schließlich den faden des lebens

fatalismen schicksalhafte zufälle
die gab es früher mal
heute gibt es sie immer weniger
gott und die götter
die uns früher gequält haben
sind inzwischen tot
das hat schon friedrich nietzsche (1844-1900) festgestellt

wir hatten zum glück die aufklärung
und die entwicklung der wissenschaften
und die erleuchtung
es gibt kein muffiges fatum der vergangenheit mehr
nur noch ursache und wirkung
es gibt keine bösartigen götter mehr
die uns quälen
nur die menschen quälen sich gegenseitig selbst
ja ihr sadist:innen

wenn bei euch die häuser einstürzen
wegen eines brutalen erdbebens
oder wegen der plattentektonik
dann war das nicht ein gott
sondern eure falschen bauvorschriften
die ein erdbebensicheres bauen verhindert haben

trotzden bleibt noch ein restrisiko
unglücklich verlaufender zufälle
wenn ein autofahrer plötzlich ohnmächtig wird
und in fußgänger fährt
oder wenn ein amokläufer plötzlich durchdreht
und um sich schießt
das ist leider so im leben

fatalismus oder widerstand
ist die jugend von heute fatalistisch
und lässt sich bloß ausbeuten ?
sind die alten heutzutage fatalistisch
und warten nur auf die wiederkehr des führers ?
ich hoffe nicht
es gibt immer sone und solche.

© dr. christian g. pätzold, januar 2024.
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2024/01/13


Max Beckmann, 1884-1950
Stürmische Nordsee (Wangerooge), 1937


wangerooge
Öl auf Leinwand, 59 x 77 cm.
Courtesy Villa Grisebach, Berlin.


Auch das ist Wangerooge: Drohende Schlechtwetterwolken, stürmische See. Ist das ein politisches Bild über 1937? Vorahnung des Weltkriegs? Ich habe Wangerooge ganz anders erlebt. In den Sommerferien, im August mit endlosem Sonnenschein.
Dr. Christian G. Pätzold.

Seht bitte auch den Artikel "Ein letzter Blick auf Deutschland" von Moritz Rinke in: GRISEBACH, Das Journal, 2014.


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2024/01/09


Tagebuch 1973, Teil 71: Penang/Malaysia

von Dr. Christian G. Pätzold


26. Dezember 1973, George Town/Penang, Mittwoch

Wir waren jetzt in George Town auf der Insel Penang, im Norden von West Malaysia nahe der Grenze zu Thailand. Wir haben immer noch nach Möglichkeiten eines Besuchs von Indonesien geforscht und dazu bei verschiedenen Agenturen Infos eingeholt. Aber es gab zu viele Schwierigkeiten, abgesehen von den Piraten im Meer: Im Indonesischen Konsulat haben die Beamten auf einem Ausreise-Flugticket bestanden, wahrscheinlich wegen der vielen Hippies in Penang. Angeblich bräuchte man bei dem Visumsantrag in Singapur kein Weiterflugticket vorzulegen. Mit Flugticket schien die Weiterfahrt von Djakarta nach Bangkok teuer zu werden. Außerdem würde der Abstecher nach Indonesien Zeit verschlingen. In Sumatra schien nur der Norden etwas für Reisende erschlossen zu sein. Die Schiffe nach Medan waren schon für die nächsten 2 Wochen ausgebucht. Die Idee mit Indonesien haben wir fallen gelassen und uns entschlossen, als nächstes Thailand und Laos näher kennen zu lernen.

Außerdem haben wir erfahren, dass man in Bangkok einen günstigen Flug von Bangkok nach Los Angeles bekommen kann, mit zahlreichen Zwischenstopps unterwegs, für ca. 350 US-Dollar. Das lag genau in unserer Absicht, denn wir wollten uns peu a peu nach Kalifornien vorwärts bewegen. Im Thailändischen Konsulat haben wir ein Visum für Thailand beantragt, das wir am Donnerstag ohne Schwierigkeiten bekommen haben, kostenlos. Thailand war anscheinend sehr besucherfreundlich. Dann haben wir das Bahnticket nach Bangkok für übermorgen gekauft.

In Penang gab es einige westliche Hippies, die auch spritzten und Hasch rauchten, aber weniger als in Indien. Denn Malaysia war als überwiegend muslemisches Land kein primäres Ziel von Hippies. Die Hippies interessierten sich meist für hinduistische und buddhistische Spiritualität und für indische Gurus.


27. Dezember 1973, George Town/Penang, Donnerstag

Morgens sind wir zum Strand gefahren und sind dort rumgebummelt. Dort gab es australische Reisende, auch deutsche. Anschließend sind wir durch die Straßen von George Town gebummelt und sind auf einen Umzug mit Kapellen und Schönheitsköniginnen getroffen. Einige Preise: Nudelsuppe 50 Cents bis 1 Malay-Dollar, Hünchen mit Reis 1 bis 1,50 Malay-Dollar, Tasse Tee 25 Cents, ¼ Ananas und andere Früchte 10 Cents, 10 Zigaretten 20 bis 40 Cents.


28. Dezember 1973, Butterworth - Bangkok, Freitag

Die Bahnfahrt von Butterworth nach Bangkok kostete 2. Klasse im Sitzen 34 Malay-Dollar als billigstes Ticket, der Sleeper kostete 7 Malay-Dollar mehr. Der Zug fuhr Montag, Mittwoch und Freitag um 7:50 AM ab Butterworth. Als Alternative konnte man auch täglich mit dem Zug 3. Klasse nach Hat Yai in Thailand nahe der Grenze fahren, und von dort weiter nach Bangkok. An der Grenze Malaysia/Thailand gab es keine Zollkontrolle, nur unsere Reisepässe und unsere Impfpässe mussten wir vorlegen. Hat Yai war der erste Stop in Thailand, eine Stadt mit modernen Bauten. An der Grenze fuhren wir durch den Dschungel, später durch Reisfelder und vereinzelte Kautschukplantagen.

Im Zug haben wir Herrn Haferkorn vom Deutschen Entwicklungs-Dienst (DED) kennen gelernt, der uns in Bangkok mit zu sich in das DED Office genommen hat.

Ausgaben in Malaysia

40 DM Zug Penang - Bangkok
25 DM Sonstige Fahrtkosten
30 DM Übernachtung
60 DM Essen und Sonstiges
Zusammen 155 DM für 18.12. bis 28.12.1973 (11 Tage).

Postscriptum zu Malaysia, Januar 2024:

Malaysia ist ein Land in Süd-Asien, das flächenmäßig etwa so groß wie Deutschland ist. In Malaysia leben 33,9 Mio Einwohner (2022), in Deutschland leben 84,4 Mio Einwohner (2022). Daher hat Malaysia im Durchschnitt eine Bevölkerungsdichte von 102 Einwohnern pro Quadratkilometer, Deutschland eine Bevölkerungsdichte von 236 Einwohnern pro Quadratkilometer. In Deutschland leben also durchschnittlich mehr als doppelt so viele Menschen auf einem Quadratkilometer. Als ich vor 50 Jahren Malaysia besuchte, war das Land noch dünner besiedelt und hatte nur 11,6 Mio Einwohner. Im selben Zeitraum ist die Zahl der Menschen auf der Erde von 4 Milliarden auf 8 Milliarden Menschen angestiegen, also eine Verdopplung.

Bemerkenswert ist auch, dass Malaysia in den letzten 50 Jahren so gut wie nie in den westlichen Medien vorgekommen ist, im Unterschied etwa zu den Nachbarländern Myanmar und Thailand. Das zeigt, dass Malaysia ein ziemlich stabiler Staat gewesen ist, in dem nichts Besonderes passiert ist, keine Revolutionen oder Militärputsche oder Bürgerkriege.

© Dr. Christian G. Pätzold, Januar 2024.


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2024/01/05


Tagebuch 1973, Teil 70: Ipoh/Malaysia

von Dr. Christian G. Pätzold


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Zinnmine bei Ipoh/Malaysia.
Blick auf die Waschtreppe, wo Sand von Zinnerz und Mineralien getrennt wird.
Die Landschaft ringsum war schon völlig zerwühlt, von dem ursprünglichen Regenwald war nichts mehr zu sehen.
In den Tagebaulöchern sollen später einmal Fischteiche entstehen.
Foto von Dr. Christian G. Pätzold, 24.12.1973.


23. Dezember 1973, Ipoh, Sonntag

In Ipoh waren wir im Haus von Fan Yew Teng untergebracht. Fan Yew Teng's Schallplatten mit Weihnachtsliedern fielen mir etwas auf den Wecker. Morgen war ja Weihnachten und wahrscheinlich wollte er uns mit den westlichen Weihnachtsliedern eine Freude machen. Ich dachte allerdings gar nicht an Weihnachten, erstens war ich nicht christlich eingestellt, und zweitens war ich ja in den warmen Tropen, in denen keine deutsche Dezemberstimmung aufkam.

Fan Yew Teng's jüngerer Bruder wollte uns unbedingt chinesische Tempel zeigen. Wir waren in 2 buddhistischen Tempeln, in einem Tempel wurde gerade ein neuer Buddha errichtet. Wir sahen einen großen Schildkrötenteich mit hunderten Schildkröten darin.


24. Dezember 1973, Ipoh, Montag

Heute war Weihnachten, aber wir hatten kein weihnachtliches Programm, sondern haben die Zinnminen in der Nähe von Ipoh besichtigt. Zinn war ein wichtiger Exportartikel für Malaysia, der bspw. nach Japan und nach Europa geliefert wurde. Malaysia selbst hatte keine nennenswerte Industrie, so dass das Zinn als wertvoller Rohstoff exportiert wurde. Ich kannte Zinn schon seit meiner Kindheit. Nicht wegen der berühmten Zinnsoldaten, sondern weil meine Großeltern noch ein paar Jugendstil-Gegenstände aus Kayserzinn besaßen, die aus der Zeit um 1905 stammten.

Jetzt sah ich also die originale Gewinnung des Zinns im Tagebau. Ein chinesischer Manager der Zinnmine führte uns herum. Die Ausbeutung des Zinns hatte die Landschaft komplett verwüstet, vom ursprünglichen tropischen Regenwald, der hier einmal wuchs, war nichts mehr übrig geblieben. Es gab traditionelle Förderanlagen zu sehen, die aus Holz zusammen gezimmert waren. Daneben gab es auch modernere Anlagen, die von ausländischen Investoren errichtet waren. Die Tagebaulöcher sollten später einmal mit Wasser gefüllt werden und zu Fischteichen werden. Diese Idee fand ich nicht schlecht, denn die Fische könnten ja zur Ernährung der Menschen beitragen.

Das silberglänzende Metall Zinn wird vielseitig verwendet. Legiert mit Kupfer entsteht Bronze. Zinn wird auch zum Löten verwendet, um elektronische Bauteile zu verbinden. Außerdem beim Weißblech für Konservendosen. Zinn hat den Vorteil, dass es nicht giftig ist, im Unterschied zu Blei. Daher gab es früher auch Zinngeschirr.

Die kargen Arbeitslöhne lagen bei 3 bis 5 Malay-Dollar am Tag. In den Tagebauen sollten jedes Jahr Arbeiter sterben wegen Erdrutschen beim Waschen der Felder. Das wurde als normales Arbeitsrisiko eingeschätzt. Historisch waren die Zinngruben hauptsächlich im Besitz von eingewanderten Chinesen und auch die Arbeiter waren Chinesen aus Südost-China. Viele Chinesen wurden durch das riesige Zinnvorkommen reich, so dass Ipoh auch "Die Stadt der Millionäre" genannt wurde. Auf den Kautschukplantagen beschäftigten die englischen Kolonialherren dagegen Tamilen aus Indien. Die einheimischen Malaien blieben hauptsächlich in der Landwirtschaft und im Reisanbau.

Nach der Besichtigung der Zinnfelder haben wir unsere Wäsche zur Wäscherei gebracht. Abends waren wir zu einer Weihnachtsparty der oberen Mittelklasse eingeladen.


25. Dezember 1973, Ipoh - Penang, Dienstag

Morgens hat uns der Fahrer von Fan Yew Teng zu einer Kautschuk Estate in der Nähe gebracht. Er war Tamile und auf der Estate aufgewachsen. Er sagte, dass die indischen Kastendifferenzen auf den Estates eine große Rolle spielten. Wenn die Bäume beim Einritzen beschädigt werden, sollte es für die Arbeiter vom Aufseher rote Punkte geben, die bald beim Rausschmiss endeten. Ein Arbeiter sollte pro Tag 500 Bäume bearbeiten, und zwar Anschneiden und Einsammeln des Latex. Flüssig gehaltener Kautschuk wurde lieber gekauft als getrockneter, da die Konzerne eigene Verfahren der Weiterverarbeitung hatten. Die Plantage war verkauft und die Arbeiter wussten nicht, was mit ihnen und den Bäumen nach der Übergabe an den neuen Eigentümer passieren würde.

Nachmittags haben wir uns verabschiedet und haben Ipoh verlassen. Wir sind mit dem Zug die 150 Kilometer von Ipoh nach Penang gefahren. Penang ist sowohl der Name des malaysischen Bundesstaates als auch der Name der Insel in der Straße von Malakka, auf der die Hauptstadt George Town liegt. Die Stadt George Town wird von den Einheimischen auch Penang genannt. Die Bahn fuhr bis Butterworth, wo wir gleich vom Zug in die Fähre umsteigen konnten. Die Fähre fuhr regelmäßig in 15 bis 20 Minuten hinüber nach George Town auf der Insel Penang.

Abends sind wir in den Rummel in George Town geraten und sind Riesenrad gefahren. Wir haben ein chinesisches Straßentheater angeschaut. Die Rikschafahrt kostete in George Town 20 Cent bis 1 Malay-Dollar.

© Dr. Christian G. Pätzold, Januar 2024.


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2024/01/01


Das 2. Jahr des Ukraine-Krieges 2023

von Dr. Christian G. Pätzold


Zum orthodoxen Weihnachten hatte der russische Präsident Wladimir Putin eine Waffenruhe von 2½ Tagen angeordnet (6.1.-8.1.2023). Die Ukraine lehnte die Waffenruhe ab, wenn die russische Armee nicht die Ukraine verlassen würde. Aus der Waffenruhe ist dann auch nichts geworden. Ende Januar sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj großspurig den Sieg der Ukraine für 2023 voraus. Die deutsche Bundesregierung hat die Lieferung von Leopard 2 Kampfpanzern an die Ukraine beschlossen. Kampfjets, Langstreckenraketen, die Moskau treffen können, und U-Boote wurden von der Ukraine gefordert.

Putin scheint erst zufrieden zu sein, wenn er einen Eisernen Vorhang an der Westgrenze der Ukraine errichtet hat. Und Selenskyj wird erst zufrieden sein, wenn alle Russen die Ukraine einschließlich der Krim verlassen haben. In dieser Situation einen Waffenstillstand zu vereinbaren war schwer denkbar. Am 20. Februar war sogar US-Präsident Joe Biden in Kiew zu Besuch und hat maximale Unterstützung der Ukraine zugesagt. Das machte noch mal deutlich, dass es sich um einen Krieg zwischen den USA und Russland um die Einflusssphären in Ost-Europa handelte. Der Jahrestag der russischen Invasion am 24. Februar verlief im Kriegsgebiet wie immer. Russland versuchte weiter, die ukrainische Infrastruktur mit Raketen und Drohnen zu zerstören. Putin führte gern Peter den Großen an. Wahrscheinlich möchte er als Putin der Große in die Geschichtsbücher eingehen, der die schöne Krim erobert und das Asowsche Meer zu einem russischen Meer gemacht hat.

Im März und April 2023 war der Krieg relativ eingefroren. Es wurde hauptsächlich um die Stadt Bachmut im Osten gekämpft. Ende Mai wurde verkündet, dass die russische Söldnertruppe Wagner die Stadt Bachmut vollständig erobert habe. Der Mai ging vorüber und die angekündigte ukrainische Gegenoffensive hatte nicht stattgefunden.

Anfang Juni 2023 wurde der große Kachowka Staudamm am Dnepr gesprengt, von wem blieb unbekannt. Große Gebiete der Süd-Ukraine wurden überschwemmt. Ende Juni ereignete sich in Russland der Putsch der Wagner-Gruppe unter Führung von Jewgeni Prigoschin. Die Wagner-Gruppe war eine private Söldnerarmee, die ursprünglich treu an der Seite des Kreml und Präsident Putin gestanden hatte und vom Kreml finanziert wurde. Die Wagner-Armee rückte zunächst auf Moskau vor. Prigoschin gab aber bald auf und wurde in die Verbannung nach Belarus geschickt. Ende August kam Prigoschin dann bei einem mysteriösen Flugzeugabsturz in Russland ums Leben.

Im Herbst war klar, dass aus der groß angekündigten Offensive der Ukraine nichts geworden war. Offensichtlich hatten immer weniger Ukrainer Lust, an der Front zu kämpfen und zu sterben. Der Ukraine schienen so langsam die Soldaten auszugehen.

Die Ukraine forderte die Lieferung von deutschen Taurus Marschflugkörpern mit langer Reichweite von 500 Kilometern, was die deutsche Bundesregierung ablehnte. Mit der Lieferung und dem Einsatz von Taurus Marschflugkörpern würde Deutschland gefährlich nah an einen 3. Weltkrieg mit Russland heranrücken. Und das würde wahrscheinlich ein Atomkrieg mit vielen Toten werden.

Mit dem Überfall der palästinensischen Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und dem anschließenden Krieg zwischen Israel und der Hamas in Gaza hatte sich das mediale Interesse im Westen verschoben. Plötzlich stand nicht mehr der Krieg in der Ukraine im Mittelpunkt, sondern der Krieg in Israel. Nachteilig für die Ukraine war auch, dass in den USA die Bereitschaft zur Finanzierung der Ukraine zurückzugehen schien. Wenn die Ukraine im Jahr 2024 keine Finanzen mehr aus dem Westen erhält, könnte sie von Russland überrannt werden. Auf der anderen Seite scheinen die USA und Deutschland kein Interesse daran zu haben, einen 3. Weltkrieg mit Russland anzufangen. In dieser Situation könnte sich der Ukraine-Krieg noch sehr lange hinziehen.

www.kuhlewampe.net erscheint jetzt im 10. Jahr. Das ist schon ein kleines Jubiläum. Trotzdem sind keine Jubiläumsfeierlichkeiten geplant. An die 40 Autorinnen und Autoren haben sich über die Jahre an kuhlewampe.net mit Beiträgen (als Text in Prosa oder Lyrik, mit Fotos, sogar mit Gesang) beteiligt. Vielen Dank für euer Engagement! Besonders schwierig waren die Jahre der Corona-Pandemie 2020, 2021 und 2022, als kaum kulturelle Veranstaltungen stattfinden konnten, wegen der Ansteckungsgefahr. Im Jahr 2022 gab es in Deutschland etwa 50.000 Corona-Tote. Im Jahr 2023 gab es in Deutschland nur noch etwa 17.000 Corona-Tote. Die große Corona-Seuche hat große Verschwörungstheoriewellen in die digitalen Medien und auf die Straßen gespült. Alle Okkultisten, Astrologen, Mystiker und Glaskugelbesitzer fühlten sich bestätigt: Sie hatten ja schon immer den Untergang der Menschheit vorhergesagt. Inzwischen hat Kuhle Wampe wieder die Besucher:innenzahlen von vor der Pandemie erreicht. Und wird hoffentlich noch ein paar Jahre durchhalten, wenn sich begeisterte Mitschreiber:innen finden.

Wie jedes Jahr im Januar wurde wieder ein neues Hintergrundbild tapeziert. An der Stelle des weißen Marmors vom Taj Mahal in Agra/Indien, der uns im letzten Jahr erfreute, ist jetzt das John-Heartfield-Sommerhaus in Waldsieversdorf in der Märkischen Schweiz, nicht weit von Berlin, zu sehen. Das Foto stammt von Wikimedia Commons. Vielen Dank an die Fotografin oder den Fotografen.

Ich möchte allen kreativen Autorinnen und Autoren sehr danken, die im vergangenen Jahr so viel zu www.kuhlewampe.net beigetragen haben:
Wolfgang Weber, Dagmar Sinn, Reinhild Paarmann, Georg Lutz, Dr. Hans-Albert Wulf, Karl-Heinz Wiezorrek, Sabine Rahe, Hannelore Bernotat, luke sonnenglanz, Enrico Neumann, Dr. Wolfgang Endler, Jürgen Karwelat, Dr. Karin Krautschick und Ella Gondek. Happy New Year und bleibt gesund und munter!


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